Schlackrufe BRD 2 – Tutti Frutti Igitt Records 2024

Von Matthias Bosenick (09.27.2024)

Was ist hieran das größte Ereignis: dass es zu der wundervoll beknackten Idee, ein Mischgetränk namens Schlacke zu erfinden und dazu eine Tribute-Compilation herauszubringen, einen zweiten Teil gibt? Dass die 24 Beitragenden mit der Grundierung Punk das Zeug – Boonekamp mit Ahoj-Brause – allem Anschein nach tatsächlich probiert haben? Dass es satte 24 Musikstücke zum Thema gibt, die auch für Punkverhältnisse ordentlich produziert, arrangiert und komponiert sind? Dass sich doch so viele Reime auf „Schlacke“ finden lassen? Der Wahlbremer Nils Bauer alias Plautzenotto, selbst Beitragender hier, fügt diese Rasselbande aus Rasselbands auf seinem Label Tutti Frutti Igitt Records unter dem Banner „Schlackrufe BRD 2“ zusammen, das Tape ist leider bereits ausverkauft. Noch so ein Anwärter für das größte Ereignis in diesem Zusammenhang!

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Jan-Friedrich Conrad – Crime Scenes – Bartling Schallplatten 2024

Von Matthias Bosenick (31.05.2024)

Von Jan-Friedrich Conrad stammt der zweitwichtigste Titelsong der Hörspielreihe „Die drei ???“: Die Synthpopmelodie mit den Vocoderstimmen, die den Seriennamen wiederholen. Auch sonst trägt der Komponist seit Jahrzehnten Musik zu dieser und anderen Kopfkino-Serien bei. Auf „Crime Scenes“ sammelt er satte 60 Tracks nicht nur aus Rocky Beach, und zwar als Stream und Doppel-CD sowie in reduzierter Fassung auch als Doppel-LP. Diese Sammlung belegt: Einen Teil der Tracks erkennt man durchaus aus den Hörspielen wieder, ein Teil der Tracks würde auch für sich als attraktive Musik durchgehen und einen Teil der Tracks kann man als kaum mehr denn als funktionalen Zweck betrachten. Ein großer Kaufgrund sind die enthaltenen Raritäten.

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Enablers – Almost To Who Knows Where – Atypeek Music 2024

Von Matthias Bosenick (27.05.2024)

Nach 20 Jahren Existenz kann man ruhig mal eine Best-Of veröffentlichen, oder? Ein seltenes Format außerhalb der Weihnachtszeit, noch seltener in Bezug auf Bands, die aufgrund ihrer musikalischen und sonstigen Ausrichtung nicht eben massentauglich sind und vermutlich weder Club- noch Radiohits vorzuweisen haben. Also interessant sind, wie die Enablers, eine Band aus San Francisco, die Post-Punk-, Post-Rock- und Noiserock-Tracks als Grundlage für einen Textvortrag nutzen, der irgendwo zwischen Poetry und Rap sein Eigenleben führt. Schön, auf diese Weise – „Almost To Who Knows Where“ ist auch noch ein Doppel-Album mit 31 Tracks – auf die Band aufmerksam zu werden – es gilt nunmehr sieben vorausgehende Alben nachzukaufen.

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Spezial: Head Perfume Records/Windlustverlag

Von Matthias Bosenick (28.02.2024)

Mit drei neuen Zugpferden aus zweien seiner Ställe macht René Seim dieser Tage auf sich aufmerksam: Der Verleger und Labelbetreiber aus Dresden stellt dem europäischen Publikum das retroselige Surfpunk-Duo Turnstyles mit der Best-Of-CD „Variations“ vor und teast das kommende Album des italienischen Rock’n’Roll-Trios Faz Waltz mit der 7“ „Rave A-Comin‘/Jackal Hop“. Außerdem legt er das Best-Of-Büchlein „Mach dich hübsch, spring ins All und komm am Sonntag wieder“ mit seinen eigenen Gedichten aus über zehn Jahren Lyrikerdaseins mit einigen Bonus-Tracks zum dritten Mal auf.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Conrad Schnitzler: Sauerkraut nicht Amaranth

Von Onkel Rosebud

Wenn Musik zirpt, blubbert und tiriliert, wenn sie zwitschert, ziept und quiekt, wummert und stampft, dann ist das heute ohne das Vermächtnis des Conrad Schnitzler in Betracht zu ziehen nicht vorstellbar. Denn bis heute wird Schnitzler (geboren am 17. März 1937 in Düsseldorf, gestorben am 4. August 2011 in Berlin an den Folgen einer Magenkrebserkrankung) weltweit als ein Vorreiter der elektronischen Musik verehrt, obwohl er selbst gar keine Musik machen wollte und die kommerzielle Vermarktung seiner Arbeiten strikt ablehnte. Der gelernte Maschinenbauer und Schüler von Joseph Beuys gründete 1969 die Band Kluster, die mit ihm zwei Jahre existierte, und war 1970 Mitglied der zweiten Formation von Tangerine Dream. Er besorgte Kraftwerk den ersten Synthesizer, einen tragbaren Synthi-A der Firma EMS, bekannter unter dem Namen VCS 3.

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New Order – Substance 2023 – Factory/Rhino Records 2023

Von Matthias Bosenick (05.12.2023)

It seems like I’ve been here before: Was machen einst erfolgreiche Musizierende, sobald ihr Zenit überschritten scheint? Compilation- und Live-Alben herausbringen, und sobald noch mehr Zeit vergeht, mit erweiterten Reissues der Erfolgsalben aufwarten. Die für Puristen faktisch schon wieder nicht mehr existierenden New Order absolvieren hier alles gleichzeitig: Sie bringen ein Reissue einer Compilation heraus mit einem Live-Album als Bonus. Nun war „Substance“ – den Titel übernahmen sie 1988 für eine Compilation von Joy Division – 1987 wegweisend und die einzige Möglichkeit, den Überhit „Blue Monday“ in Albumform zu erwerben; auch, wer alle Studioalben hat, braucht „Substance“, und auch, wer „Substance“ hat, braucht dieses Reissue, weil die damals nur auf Tape erschienenen Extra-Tracks hier endlich remastert als dritte CD zugänglich sind. Hier lässt sich dreimal der Weg der Joy-Division-Nachfolger vom Wave und Postpunk zur Synthiepop-Disco nachverfolgen. Übergroß, und das, obwohl Bernard Sumner nicht singen kann.

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Planète Magnifiée/Fantastic Planet: Hommage à Failure – Bitume Prods 2023

Von Matthias Bosenick (29.11.2023)

So bekommt man den Horizont erweitert: Bei Failure handelt es sich um eine US-Indierockband, die in den Neunzigern einige Alben und Singles herausbrachte, sich auflöste und wie fast alle Indiebands im neuen Jahrtausend einen Neustart absolvierte. Man kann ja nicht alles kennen, obschon einige Failure-Musiker später bei diversen Tool-Projekten aufschlugen, da hilft eine Tribute-Compilation schon weiter: „Planète Magnifiée“ wird zweigeteilt vom französischen Label Bitume Prod herausgegeben. Der erste Teil mit 19 Bands liegt bereits vor: Die darauf enthaltenen Coverversionen wecken zum Teil den Geist des Neunziger-Indierock, wie man ihn seinerzeit auf MTV zu lieben lernte, obwohl viele Songs von nach der Reunion dabei sind, verharren aber nicht bei der schnöden Reproduktion. Die Kompilatoren rekrutierten Beitragende aus den unterschiedlichsten Genres, Stoner, Punk, Doom, Electro-Rock, Noisecore, Synthiepop und natürlich Indierock, und erstellen ein breites Portfolio an unbekannten Bands, die einer auch nicht so bekannten Band huldigen. Auch ohne Kenntnis der Originale ist diese Zusammenstellung eine Erkundung wert.

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Les Shtauss – No Feeling – Closer Records/Atypeek Music 1989/2023

Von Matthias Bosenick (27.11.2023)

„No Feeling“ ist Doppel-Retro: Im Jahre 2023 gedenkt das Label Atypeek einer Band, die nur sieben Jahre lang existierte und zwischen 1987 und 1989 auf Closer Records eine Musik veröffentlichte, die damals schon aus der Zeit gefallen war. Dafür klingt die heute umso zeitloser, die Compilation könnte als aktuelles Album durchgehen: Rock’n’Roll, dreckig, energetisch, harmonisch, rauh, beseelt. Atmet den Geist von Jerry Lee Lewis ebenso wie den der Cramps, die ja ihrerseits retro sind, pendelt zwischen Garage und Surf und blickt in Richtung gegniedeltem Punk. Auf Vinyl hatte „No Feeling“ der Band aus Nantes sechs, auf CD acht, jetzt im Stream neun Songs, die die (Wieder-)Entdeckung wert sind. Nun gut, einer muss es schreiben: Willkommen bei den Shtauss!

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The Kinks – The Journey, Pt. 1 & 2 – BMG 2023

Von Guido Dörheide (22.11.2023)

„The Journey, Pt. 1“ (bereits im März erschienen) und „Pt. 2“ stellen mit insgesamt 70 Songs und über dreieinhalb Stunden Gesamtspielzeit alle bisherigen Greatest-Hits-Kompilationsalben der großartigen Band [The Kinks, Anm. d. Hrsgbr.] in den Schatten und sind darüber hinaus liebevoll remastered. Und bei „Lola“ heißt es auch „Coca Cola“ anstatt „Cherry Cola“, halt wie es sich gehört.

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Pet Shop Boys – Smash – Parlophone 2023

Von Matthias Bosenick (05.07.2023)

Und noch eine Compilation mit Hits und Singles. „Smash“ behauptet, auf drei CDs sämtliche Singles des Synthiepop-Duos Pet Shop Boys von 1985 bis 2020 in chronologischer Reihenfolge zu bringen, und da geht es schon los: Die von Bobby O produzierten ersten Singles aus dem Jahr 1984 fehlen hier, die „Lost“-EP aus dem laufenden Jahr ist ebenso wenig berücksichtigt wie die „Agenda“-EP aus dem Jahr 2019 sowie diverse Songs, die lediglich in Großbritannien nicht oder ausschließlich digital als Single erschienen. Derjenige, der alle 14 Alben sowie sämtliche bisherigen Compilations (denn auf denen gab es stets exklusive Singles, die hier wiederum alle berücksichtigt sind; exklusiv für „Smash“ indes gibt es keine) im Regal zu stehen hat, braucht „Smash“ nicht; die paar Single-Edits machen keinen Kohl fett, denen sind im Zweifel die Albumversionen ohnehin vorzuziehen. Bleiben die beiden BluRays, die der erweiterten Box hinzugefügt sind, sowie das Buch mit den Anmerkungen von Neil Tennant und Chris Lowe. Und eine Zeitreise durch fast 40 Jahre Synthiepop mit allen Hochs und Tiefs, die die künstlerische Kurve der Briten in 55 Songs und rund 220 Minuten gut nachzeichnen.

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