René Seim – Eine Peitsche aus Sand – Windlustverlag 2024

Von Matthias Bosenick (07.10.2024)

Unveröffentlichte Lyrik aus den zurückliegenden 20 Jahren, ergänzt um Grafiken von Anne Zückert, kredenzt der Verleger, Labelbetreiber, DJ und Dichter René Seim aus Dresden in seinem neuen Buch mit dem kopfverdrehenden Titel „Eine Peitsche aus Sand“. Obschon sein Humor abermals ein unterschwelliger bis offenbarer Begleiter ist, erwecken Seims Gedichte dieses Mal weiträumig den Eindruck von Melancholie und Einsamkeit, denen der Dichtende jedoch zumeist entwaffnend begegnet. Er übertüncht die dunkle Grundierung farbenfroh und gibt den Lesenden mit ähnlicher Gemütslage damit Werkzeuge an die Hand, mit denen sie ähnlich verfahren können. Alle anderen erfreuen sich an indirekten Bildern, verknappter Komplexität und sprachlichen Spielereien.

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Till Burgwächter – Wenn der Werwolf dreimal klingelt – Verlag Andreas Reiffer 2024

Von Matthias Bosenick (19.09.2024)

Liest man „Wenn der Werwolf dreimal klingelt – Grusel, Gore und ganz viel Blut“, ist es, als führe man mit Autor Till Burgwächter ein Gespräch, als höre man ihm beim launigen Fachsimpeln, Empfehlen und Demontieren zu. Thema dieses Buches sind Horrorfilme, und es erhebt keinerlei Anspruch auf Lexikalität oder Vollständigkeit, sondern vermittelt einen niedrigschwelligen Überblick für Einsteiger und Liebhaber – alle finden bei der Lektüre unausgebuddelte Schädel, die Gravedigger Burgwächter für sie zutage fördert. Zum Lesevergnügen trägt Burgwächters absichtlich subjektive Sicht bei; wenn einer sein Lieblingsthema mit ironischer Kritik darbietet, glaubt man ihm umso mehr. Und möchte ihm seinerseits Empfehlungen zurufen, aber die kann er ja nicht hören, ist vermutlich gerade im Stadion oder auf einem Metal-Konzert.

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Steven Hassan – The Cult Of Trump – Simon & Schuster Inc. 2019

Von Guido Dörheide (17.09.2024)

Kurz vor der US-Präsidentschaftswahl fand ich es an der Zeit, mir ein Buch zuzulegen, das sich mit den Gefahren, die von eine:r der beiden Bewerber:innen ausgehen, beschäftigt. Empfohlen hat es mir die Liebste, mit dem Hinweis, dass es leider nur im englischen Original verfügbar sei, Steven Hassan sei aber der führende US-amerikanische Sektenpsychologe, also quasi der Dieter Rohmann der Vereinigten Staaten. Ich kann gleich vorwegnehmen: Das Lesen eines englischsprachigen Fachbuchs hätte ich mir anstrengender vorgestellt. Hassan schreibt unterhaltsam und lockert seine Analyse mit bildhaften Beschreibungen und Anekdoten auf. Das Buch ist bereits 2019, also noch während Trumps hoffentlich einziger Präsidentschaft, erschienen, ist aber inhaltlich aktueller denn je.

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John Wray – Unter Wölfen – Rowohlt 2024

Von Guido Dörheide (13.08.2024)

Ich habe mir ein Death-T-Shirt gekauft, das Cover-Artwork von „Leprosy“, aber in schwarzweiß, sieht uralt und damit authentisch aus, und ein junger Mann in einem italienischen Restaurant in Göttingen reckte mir spontan zwei Pommesgabeln entgegen, als ich am Eingang stand und darauf wartete, dass der Liebsten, ihrer Tochter und mir ein Sitzplatz zugewiesen wurde. Das hat mich gefreut, und warum habe ich das Teil gekauft? Wegen „Unter Wölfen“ von John Wray. Dieses Buch ist für mich heuer das, was in den 90ern mein „Nick-Hornby-Moment“ gewesen war. Damals war es „High Fidelity“, über das ich las und von dem ich dachte, es könnte mein Lieblingsbuch werden. Was es auch tat und für ganz lange Zeit blieb. Ähnliche Gefühle beschlichen mich vor ein paar Wochen, als ich über „Unter Wölfen“ las. Ich bestellte mir das Buch und war ähnlich begeistert wie vor knapp 30 Jahren von Hornbys Zweitlingswerk. Was schreiben nun also die anderen, was mich so neugierig machte? Nun, zunächst viel Lobenswertes, Kenntnisreiches und Aufgeschlossenes, mit Ausnahme von swr.de: „Black Metal. Megadeth, Anthrax, Slayer oder Hanoi Rocks heißen die einschlägigen Bands.“ Wäh? Dann folgt ein Textauszug und darauf der Kommentar „Diese selbst ziemlich musikalische Beschreibung eigentlich unbeschreiblicher Musik stammt von dem amerikanisch-österreichischen Autor John Wray.“ As zum Teu??? Allein „Black Metal“ – nicht eine der genannten Bands gehört zu diesem Genre und Hanoi Rocks ist nicht einmal Heavy Metal. Was sie nicht schlechter macht. Von denen brauche ich auch noch ein T-Shirt. Und heute (der SWR-Artikel stammt vom 21. Juni 2024) ist Heavy Metal, egal ob Death-, Black-, Thrashmetal oder von mir aus auch Grindcore auch nicht nur ansatzweise irgendwie unbeschreiblich.

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Helmut Exner – Tammo. Wunderkind wider Willen – EPV-Verlag 2024

Von Guido Dörheide (29.07.2024)

Nur ein Jahr nach „Rio und die mörderischen Bilder“ legt Helmut Exner mit „Tammo. Wunderkind wider Willen“ den 21. Band seiner Lilly-Höschen-Reihe vor. Die Heldin (immer noch so ausgesprochen, wie man es schreibt, nicht wie Unterbüx), eine pensionierte Lehrerin aus Lautenthal, dürfte inzwischen 91 Jahre alt sein und wohnt immer noch mit ihrer einige Jahre jüngeren Freundin Gretel Kuhfuß zusammen. Zusammen sind sie quasi sowas wie die Miss Marple und der Doktor Watson des Oberharzes und helfen der Polizei (Hauptkommissar Rabe – „Specht, wenn ich bitten darf, äh Quatsch, jetzt vergesse ich schon meinen eigenen Namen, Sperling heiße ich.“ – und seine zahlreichen Mitstreiterinnen mit den ebenfalls klangvollen Namen Huhn, Frosch usw.) bei der Aufklärung von Verbrechen, in die sie, oft durch unbeabsichtigtes Tun von Lillys ehemaligen Schüler:innen, stets zufällig hineinschlittern.

So auch hier: Tammo Schuh, ein hochintelligenter Junge aus Clausthal-Zellerfeld, schreibt ein Referat über das Schicksal jüdischer Familien während des 3. Reichs im Harz und wird dadurch in Geschehnisse verstrickt, die ihn noch bis ins Erwachsenenalter verfolgen und sein Leben dadurch mit dem von Frau Höschen und Frau Kuhfuß verwickeln.

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Alexander Kühne (Hg.) – Der Jugendclub Extrem – Verlag Kettler 2024

Von Matthias Bosenick (22.07.2024)

Eigentlich vielmehr ein bebilderter Erinnerungsband für Dabeigewesene, das Dokument eines eskapistischen Abenteuers, ist „Der Jugendclub Extrem“ vielmehr zu einem Geschichtsbuch geworden, an dem auch Interessierte Freude und Erkenntnisgewinn ziehen können, die es nicht zwischen 1984 und 1994 nach Lugau in der Niederlausitz schafften – geschweige denn, in der DDR aufwuchsen und somit überhaupt Gelegenheit für den Clubbesuch hatten. Grundlage für dieses dicke Buch bilden Fotos, die Henri Manigk und Frank Kiesewetter vom Clubleben machten, ergänzend sammelte Herausgeber und Clubmitgründer Alexander Kühne Berichte und Interviews von Machern, Muszierenden und Gästen des Indie-Clubs mit seiner nicht nur für DDR-Verhältnisse ungewöhnlichen Geschichte.

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Freida McFadden – The Housemaid Is Watching – Poisoned Pen Press 2024

Von Guido Dörheide (01.07.2024)

Freida McFadden aus New York City ist Besitzerin einer schwarzen Katze und arbeitet hauptberuflich als Ärztin, spezialisiert auf Schädel-Hirn-Traumata. Neben dem Job hat sie schon über 20 Romane geschrieben. Drei davon bilden die „Housemaid“-Reihe, die so heißt, weil deren Heldin Wilhelmina („Millie“) Calloway nach dem Ende einer zehnjährigen Haftstrafe wegen Totschlags verschiedene Jobs als Haushälterin antritt, während derer sie regelmäßig von ihrer Vergangenheit eingeholt wird (wie es zu dem erwähnten Totschlag kam, will ich hier nicht verraten, falls Sie die Bücher noch lesen wollen, auf jeden Fall hatte Millie gute und nachvollziehbare Gründe dafür). Im Zuge der wechselnden Beschäftigungen in verschiedenen Haushalten wird Millie wiederholt Zeugin von Manipulation, Unterdrückung und sexueller Gewalt, wobei nie etwas so ist, wie es zunächst scheint, was in den ersten zwei Bänden immer dann deutlich wird, wenn der erste Abschnitt (erzählt aus Millies Sicht in der Ich-Perspektive) endet und der zweite beginnt (erzählt aus der Sicht einer anderen Person aus deren Ich-Perpektive). Dabei gibt es immer Tote mit ordentlich viel Blut und am Ende fügen sich alle Puzzleteile aufs Wunderbarste und Überraschendste ineinander.

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Jens Schäfer – Langes Elend – Jens Schäfer 2024

Von Guido Dörheide (09.06.2024)

Vorab: Eine kurze Berichterstattung vom Börßumer Bücher Bahnhof, Börßum 2. Juni 2024:

Am vergangenen Sonntag besuchten die Liebste und ich zum ersten Mal Börßum, den beliebten Samtgemeindesitz im Landkreis Wolfenbüttel. Und das ist hier jetzt nicht nur so launig dahingeplappert: Eben diesen Sitz, nämlich den Börßumer Bahnhof in der Bahnhofstraße, der an diesem Tag zum „Börßumer Bücher Bahnhof“ umfunktioniert wurde (was soviel bedeutet wie Börßumer Bücher-Bahnhof oder Börßumer Bücherbahnhof, verzeihen Sie es mir, liebe Lesenden, ichbekämpfeimmernochdasLeerzeichenwoimmerichkann), den haben wir besucht. Während der Fahrt spielten wir „Gelbes Auto“, ein Spiel, das meine jüngste Tochter uns beigebracht hat. Wer zuerst ein gelbes Auto sieht, darf die/den Andere:n antippen und „Gelbes Auto!“ sagen. Dabei zählen auch DHL- und ADAC-Fahrzeuge, was immer schmerzhaft für mich ist, wenn Töchterchen und ich unweit des Wohnsitzes meiner Mutter auf die Schnellstraße einfahren und dabei am DHL-Stützpunkt vorbeikommen. Und vor der Tür des Börßumer Bücher Bahnhofs Gebäudes sahen wir zuallererst – ein gelbes Auto. Nämlich den Bücherbus des Landkreises Wolfenbüttel, der 46 Standorte im Landkreis anfährt und somit vielen Menschen die Literatur und andere Medien vor die Haustür bringt, die aus Gründen keine Bibliothek aufsuchen können. Toll sowas, denn Literatur ist so unendlich wichtig und Einrichtungen, die den Zugang dazu erleichtern, sind aller Lobpreisungen wert.

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Michael Howe – Terrible Maps – HarperCollins 2023

Von Matthias Bosenick (06.06.2024)

Das buchgewordene Meme: Weil die Kommentare zu seinen ernstzunehmenden Kartographiebeiträgen in diesem Internet häufig sehr despektierlich ausfielen, drehte Kanalbetreiber Michael Howe den Spieß einfach um und erschuf „Terrible Maps“, einen Kanal mit Kartenmaterial zu absurden Themen. Oder Wortspielen. Oder einfach nur hanebüchenem Blödsinn. Und diese Memesammlung funktioniert auch als Buch noch mehr als prächtig, es vergeht kaum ein Umblättern ohne Lachanfall. Englisch- und Geographiekenntnisse sowie ein fundiertes Allgemeinwissen sind eine günstige Voraussetzung für den Genuss. Eignet bestens sich als Geschenk – danke, Andrea!

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Julia A. Jorges – Hochmoor – Blitz-Verlag 2024 / Mordsgeschichten auf der Oker, 11. Mai 2024

Von Guido Dörheide (28.05.2024)

Am 11. Mai befahren die Liebste und ich mit dem Fahrzeug die Harzautobahn in umgekehrter Richtung. Nicht etwa als Geisterfahrende, sondern durchaus auf der korrekten Fahrspur in Fahrtrichtung Norden. Ziel unseres Weges ist Braunschweig, eine von amüsant-charmanter Selbstüberschätzung geprägte Bier-, Fußballtraditions-, Löwen- und Universitätsstadt, die mit Unterbrechungen ein Vierteljahrhundert lang meine Heimat war. Nun also mal die Okermetropole als Tourist bereisen, mit Lost-Place-Begucken, Pizza bei meinem Namensvetter in der Neuen Straße (Immer wieder preisgünstig & lecker, und bei der Höllenpizza wird man gefragt, ob man sie „so, wie sie ist“ oder weniger scharf haben wolle. „So, wie sie ist“ macht sie fürwahr ihrem Namen alle Ehre.) und dem Besuch einer Veranstaltung aus der Reihe „Mordsgeschichten auf der Oker“ (Infos und Reservierung unter https://www.okertour.de/klassiker/reservierung-mordsgeschichten-auf-der-oker) als krönendem Abschluss.

Zu sehen und zu hören gibt es die in Goslar aufgewachsene Braunschweiger Autorin Julia Annina Jorges, die mit leiser, aber eindringlicher und allzeit gut zu verstehender Stimme zunächst die Kurzgeschichte „Zwischen zwölf und Mittag“ und dann Auszüge aus ihrem aktuellen Roman „Hochmoor“ liest.

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