Automat – Heat – Compost 2023

Von Matthias Bosenick (29.09.2023)

Was macht man in der Hitze für Musik an? Chillige, trippige, dubbige am besten. Also „Heat“ von Automat, der Indie-Supergruppe minus Jochen Färber, der nicht mehr mitspielt. Dafür gibt’s einen Stapel anderer Gäste, die in Wort und Ton das Ihrige zu dieser organisch-elektronischen Reggae-Dub-Downbeat-Kopfnick-Chillplatte beitragen. Bassist Zeitblom, Schlagzeuger Achim Färber und Keyboarder Max Loderbauer fläzen sich am Jamaikanischen Strand, den sie eigens in einem Berliner Club aufhäuften, und knabbern an einem Toast aus London. Hier haben sogar die bunten Getränke ein Echo. Und die Musik ist so warm wie der Titel des Albums, das es physisch überdies ausschließlich als Doppel-LP gibt.

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Thierry Arnal – The Occult Sources (Original SoundTrack) – Atypeek Music 2023

Von Matthias Bosenick (28.09.2023)

Bei „The Occult Sources“ muss es sich um einen enorm bedrückenden Horrorfilm handeln, nimmt man den Soundtrack von Thierry Arnal aus Lyon als Hinweis (ist es aber nicht, es ist offenbar Kunst). Seine 20 verlangsamten Tracks in einer Stunde Spielzeit hält er minimalistisch, kreuzt kaum mehr als zwei, drei Geräuschquellen pro Track, verliert sich abwechselnd in Drones, Pulsieren, demolierten Melodiefragmenten, pluckerndem Industrial und Noise und vollbringt all dies auf eine Weise, die einen sehr leichten Zugang zu diesem Abgrund ermöglicht. So viel Dunkelheit! Und dabei auch noch so schön. Entspannungsmusik für gutgelaunte Überdrüssige.

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Collapse Under The Empire – Recurring – Finaltune Records/Broken Silence 2023

Von Matthias Bosenick (27.09.2023)

Die jüngeren Alben und Singles des Hamburger Electro-Postrock-Duos Collapse Under The Empire waren sich so sehr ähnlich, dass man nach anfänglicher Euphorie über den neuen Sound zu der Erkenntnis kam, dass sich eben dieser Sound alsbald abnutzte, und man das Projekt aus den Augen verlor. Daher ist das instrumentale Konzeptalbum „Recurring“ also nicht ein erstes neues Album nach einer Lücke, sondern die lediglich unbegleitete Fortsetzung des eingeschlagenen Weges. Die Musik ist grundsätzlich schön, aber einfach gehalten: Achteltakte, schlichte Gebrauchsmelodien, pompöse Effekte, vertraute Akkorde. Das anfänglich bei der Band noch tiefer verwurzelte Dunkle dringt erst spät und nur spärlich ins Album ein, bis dahin kann man es sich in der Wattemusik gemütlich machen. Das funktioniert tadellos, etwas mehr Kantigkeit wäre jedoch wünschenswert.

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Manu Louis – Club Copy – Igloo Records 2023

Von Matthias Bosenick (25.09.2023)

„Club Copy“, das neue Mini-Album des in Berlin arbeitenden Belgiers Manu Louis (nicht Lovis), mag Popzitat sein, ganz wie es das Cover und die CD signalisieren, jedoch anders ausgerichtet: Nicht die Beatles oder Velvet Underground stehen Pate für seine Musik, sondern aktuelle Club- und Radioströmungen, und wer sich damit gar nicht auskennt, bekommt immerhin ein hübsches Electro-Werk kredenzt, angenehm im Downbeat angesiedelt, trocken produziert und mit Catchyness angereichert. Nur den Vocoder dürfte der Herr Louis gern ausgeschaltet lassen, die Songs ohne sind die besseren auf dem Album.

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Closure In Moscow – Soft Hell – Bird’s Robe Records 2023

Von Matthias Bosenick (25.09.2023)

Die Musik-Artwork-Schere klafft weit auseinander, der Titel bildet das bindende Element: Scheint man es laut Cover mit etwas kunstvoll Gruseligem zu tun zu haben, ist die Musik ein hyperaktiver Power-Prog-Pop – „Soft Hell“ also, da haben Closure In Moscow schon Recht. Selbst in entschleunigten Passagen wirbelt das Quintett aus Melbourne ADHS-mäßig herum, rührt flächendeckend Elemente aus Radio-R’n’B, Teenage-Indierock und verschachtelten Progbaukästen zusammen – und lässt den Sänger mit der ungnädig hohen Stimme die schönen Passagen nur mit Schmerzen hörbar machen.

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New Model Army and Sinfonia Leipzig – Sinfonia – Ear Music/Edel/Attack Attack 2023

Von Guido Dörheide (20.09.2023)

HINWEIS: Hier geht es nur um die CD „Sinfonia“ und nicht um die DVD. Begeistert von der Musik habe ich nicht gewartet, bis ich das Bildmaterial gesichtet habe, sondern komplett begeistert und enthemmt gleich mal losgeschrieben. Alsdann, gehen wir es an:

New Model Army. NMA. Oder einfach nur „Army“, wie Schulfreund Martin sie damals nannte. Wie lange finde ich die schon toll? Nun, seit 1989, seit ich mir „Thunder And Consolation“ auf der Klassenfahrt nach Würzburg in der 10. Klasse des Humboldt-Gymnasiums kaufte – auf einen Tipp meiner Klassenkameradin Silke hin, die ich sinngemäß fragte, ob Army nur so ein Modetrend oder eine feste Größe auf dem Weg der Bildung eines erwachsenengerechten Musikgeschmackes sei – und Silke (die mir kurze Zeit später, als ich von Vinyl auf CD umstieg, meine komplette Toten-Hosen- und Ärzte-Sammlung abkaufte, danke nochmal dafür; die indizierten Ärzte-Alben hatte die Mutter meines Freundes Klaus für mich bei Salzmann in Braunschweig erstanden) meinte, Army könnte ich unbesehen kaufen, von denen wäre immerhin „51st State“. Danke, Silke, denn New Model Army begleiten mich seitdem durch mein Leben und ich feiere diese Band, als gäbe es kein Morgen.

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The Arch – Sanctuary Rat – Dryland Records 2023

Von Matthias Bosenick (19.09.2023)

„Babsi ist tot“, behauptete die Band The Arch 1986 auf ihrer Debüt-12“ „As Quiet As“, und wer die Band nun in den Grufticlubs als One-Hit-Wonder abtut, übersieht den zweiten Hit „Ribdancer“ aus dem Jahr 1990 – und den Umstand, dass die Belgier seitdem kontinuierlich Alben herausbringen, wenn auch in gebührlichem Abstand. „Sanctuary Rat“ ist das siebte Album in 27 Jahren, und darauf eint das Quartett die Elemente, die es berühmt machten, aber transferiert in die Gegenwart: elektronische Sounds, darin eingebettete E-Gitarren, dramatischen männlichen Gesang, zudem eine Musik, die so ähnlich auch in den Neunzigern hätte erstellt werden können, also eher retro erscheint, was insofern nicht schlimm ist, als dass es sich bei The Arch nicht um Newcomer handelt, die die Plattensammlung ihrer Eltern plünderten und nachspielen; eine Musik, die gleichzeitig taufrisch produziert ist und klarer klingt, als es in den frühen Neunzigern möglich gewesen wäre.

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Kaamosmasennus – Le jour ne se lève plus – Bitume Prods 2023

Von Matthias Bosenick (23.08.2023)

So ein Winter in Finnland ist für uns Mitteleuropäer kaum zu imaginieren: Sind wir schon bei dezemberlichen Tageslichtzeiten von nur acht Stunden von Winterdepressionen bedroht, wie soll es einem dann weiter nördlich sein, womöglich jenseits des Polarkreises, wo sich die Sonne gar nicht über den Horizont wagt! Auf „Le jour ne se lève plus“ („Der Tag erhebt sich nicht mehr“) findet sich Julien J. Neuville unter seinem neuen Alias Kaamosmasennus („Jahreszeitliche Depresssion“) genau in diese Situation ein und vertont einen Winterspaziergang in Finnland, mit allem, was dazugehört, Schwermut und Lobpreisung, und zwar als variantenreich ausformulierten Funeral Doom Metal, wie passend. Vier Tracks in 40 Minuten, die wahrhaftig eine dunkle, winterliche, melancholische Atmosphäre verbreiten. Auf diesem Spaziergang begleitet man den Musiker mit deutlich mehr Bereitschaft als zu „Le voyage nocturne“, Neuvilles Drogentrip durch Mexiko, den er kürzlich als Salaman Isku wiederveröffentlichte: Beides zwar geile Alben, aber Kaamosmasennus klingt weniger schädlich für den Körper.

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Spear Of Destiny – Ghost Population – Easterstone 2022/2023

Von Matthias Bosenick (22.08.2023)

Kirk Brandon macht einfach verlässlich gute Musik, egal, mit welchem Projekt, ob Theatre Of Hate, Dead Men Walking oder Spear Of Destiny. Von letzterer Band gibt’s aktuell mit „Ghost Population“ eine neue LP, mit Rockmusik, melancholisch und kraftvoll, sehr melodisch und gesanglich inbrünstig, der Mann hat aber auch eine unverwechselbare, ausdrucksstarke hohe Stimme. Man kann es nicht weniger lieben als jedes andere Stück Musik, an dem Brandon beteiligt ist. Und so recht musikalisch voneinander trennen kann man seine Projekte auch nicht, aber das macht nichts, man bekommt immer Qualitätsmusik aus dem Londoner Postpunk-Waverock-Umfeld. Er hat ja auch immer versierte Leute mit dabei.

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Rouge Brulé – Rouge Brulé – db2fluctuation 2023

Von Matthias Bosenick (18.08.2023)

Angekündigt als vielversprechender neuer Act auf dem gemeinsamen Label von Daniel Bressanutti und Dirk Bergen, den beiden Mit-Gründern der belgischen EBM-Erfinder Front 242, ignorierte der Rezensent das Debüt des anonymen Projektes Rouge Brulé, man muss ja hauszuhalten lernen und die Bude ist doch schon so vollgestopft, Allessammler hin oder her. Doch schützt Alter bekanntlich vor Torheit nicht: Einige Wochen nach der Veröffentlichung offenbart der fast 70jährige Bressanutti, dass er selbst es war, der das Doppel-Album einspielte und fast zwei Monate nach dem 1. April veröffentlichte, der Scherzbold. So viel Platz ist dann natürlich noch im Regal, zu Recht: Dieses Mal kombiniert der Experimentator den Jazz in seinen dystopischen Ambient. Hatten wir noch nicht von ihm.

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