Lol Tolhurst x Budgie x Jacknife Lee – Los Angeles – PIAS 2023/2024

Von Matthias Bosenick (18.04.2024)

Endlich ist das Vinyl draußen! In anderen Darreichungsformen liegt „Los Angeles“ bereits seit Ende November 2023 vor, nun also auch als Doppel-LP. Darauf hört man nicht nur die Musik einer klassischen Supergroup – „Los Angeles“ verhält sich vielmehr wie eine Compilation grandioser Songs verschiedener Genres, weil das verdiente Trio aus den Schlagzeugern Lol Tolhurst und Budgie sowie dem Produzenten Jacknife Lee einen Haufen Gäste aus allen Ecken der Musikgeschichte hinzuzog. Und zwar nicht nur aus dem Kontext von The Cure, Siouxsie And The Banshees oder aktuellen Chartsproduktionen: Auch LCD Soundsystem, Primal Scream und U2 schickten Abgesandte, um dieses Album zu verfeinern. „Los Angeles“ dürfte eines der besten, weil anspruchsvollsten und abwechslungsreichsten Post-Punk-Indie-Pop-Alben seit Ewigkeiten sein.

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Sleepytime Gorilla Museum – Of The Last Human Being – Avant Night 2024

Von Matthias Bosenick (26.03.2024)

Hier greift selbst die Kategorie Avantgarde viel zu kurz. Sicherlich machen Sleepytime Gorilla Museum aus Oakland in Kalifornien Rockmusik, irgendwo innendrin, aber drumherum passiert so viel experimentelles Zeug, dass es unbedarfte Hörende gar überfordern dürfte. Klassische Songstrukturen jedenfalls findet man selbst unter Riffs und Rock nicht, die Band bricht alles auf, verdreht es, fügt Absonderliches hinzu und bleibt dabei mehr als nur genießbar – das vierte Album „Of The Last Human Being“, das nun nach 17 Jahren Schein-Pause vorliegt, bietet eine eigenwillige Kunstmusik, die weit aus allen Schubladen herausragt und große Freude bereitet. Es gibt auch mal gute Comebacks.

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Die drei ??? (225) und der Puppenmacher – Europa/Sony Music 2024

Von Matthias Bosenick (25.03.2024)

Drei Stunden Hörspiel bietet diese Nummer 225, die sechste Jubiläumsfolge der Serie Die drei ???, verteilt auf fünf teils bunte Schallplatten. Die Geschichte „und der Puppenmacher“ ist ja ganz nett und fügt sich auch angenehm ineinander, doch reichen die paar Buchseiten schlichtweg nicht aus, um drei Stunden Hörspiel auf eine Weise zu füllen, dass man bei der Stange bleibt. Das war nach den langweiligen letzten 100 Folgen genau so zu erwarten und erfüllt sich leider auch noch. Komprimiert auf eine Stunde wäre „Der Puppenmacher“ ein großartiger Fall geworden. So ist es eher eine szenische Lesung als ein Hörspiel und lässt einerseits Action vermissen und andererseits den Wunsch nach Schnellvorlauf laut werden. Nehmt den Hörspielmachern doch mal die Serie aus den Händen!

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Spezial: Head Perfume Records/Windlustverlag

Von Matthias Bosenick (28.02.2024)

Mit drei neuen Zugpferden aus zweien seiner Ställe macht René Seim dieser Tage auf sich aufmerksam: Der Verleger und Labelbetreiber aus Dresden stellt dem europäischen Publikum das retroselige Surfpunk-Duo Turnstyles mit der Best-Of-CD „Variations“ vor und teast das kommende Album des italienischen Rock’n’Roll-Trios Faz Waltz mit der 7“ „Rave A-Comin‘/Jackal Hop“. Außerdem legt er das Best-Of-Büchlein „Mach dich hübsch, spring ins All und komm am Sonntag wieder“ mit seinen eigenen Gedichten aus über zehn Jahren Lyrikerdaseins mit einigen Bonus-Tracks zum dritten Mal auf.

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The Smile – Wall Of Eyes – XL Records 2024

Von Matthias Bosenick (26.02.2024)

Radiohead sind sakrosant, und alles, was auch nur irgendwer aus dieser Band künstlerisch verrichtet, ist dies gleich ebenfalls. Bei dem Trio The Smile sind gleich zwei von Radiohead dabei, mit Thom Yorke sogar die Stimme, was den Bezug zum Mutterschiff für Fans natürlich erleichtert und den Zwang zum Zugreifen erhöht. „Wall Of Eyes“ ist nun schon das zweite Album dieses Projektes, und man erwischt sich als Fan und Verteidiger inzwischen sehr dabei, dass man zwar die musikalische Finesse erkennt, aber das Ergebnis nicht mehr so ganz uneingeschränkt erträgt. Ja, das ist Kunst, und dafür ist es auch noch sehr überraschend populär, doch längst gibt man den Stimmen Recht, die gerade die Stimme von Thom Yorke nicht ertragen können. Sein hohes Winseln übertüncht die herausragende Musik, weil es der nämlich auch noch an Durchschlagskraft fehlt. Den Status von Talk Talk erreichen sie so jedenfalls nicht, trotz aller dahin deutender Anlagen.

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Solbrud – IIII – Vendetta Records 2024

Von Matthias Bosenick (21.02.2024)

Anstatt dass jeder der – alten! – vier Musiker der Kopenhagener Black-Metal-Institution Solbrud wie weiland Kiss ein eigenes Soloalbum herausbringt, bekommen sie alle jeweils eine LP-Seite des Doppel-Vinyls „IIII“ zur Verfügung (und ebenso eines der vier Elemente zugeordnet), um sich kompositorisch auszutoben. Das Ergebnis spricht für sich: Wer weiß, was ein Veto so alles verhindert hätte – so ist es eines der am weitesten die Grenzen verlassenden Black-Metal-Alben überhaupt, mit Ausflügen in Progrock, Akustik-Folk und Classic Rock der Siebziger. Selbst die heute schon fast typischen Anteile an Ambient und Post Rock erweitern das eigene Spektrum der Band, dabei kommt der flächige, epische und blastbeatige Black Metal hier ebenfalls nicht zu kurz. Das Warten hat sich gelohnt!

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Steel Pole Bath Tub – The Skull Tapes – SPBT/No Coast 1987/2023

Von Matthias Bosenick (06.02.2024)

Kaum erheben sich die Noiserockhelden Steel Pole Bath Tub nach rund 20 Jahren Pause wieder von ihren Sofas, erinnern sie sich an kurz nach wie es damals begann, 1987, als Dale Allan Flattum, Mike Morasky und Dorothy Kent alias Darren K. Mor-X alias Darren Kent Morey ihre zweiten Demos als „We Own Drrrills“ auf Kassette herausbrachten, und schicken diese fünf Songs nun überarbeitet als vielfach divers gefärbte 12“ mit Original-Artwork von Flattum alias Tooth zurück ins Weltgeschehen. Der Sound ist sowas von vertraut, man fühlt sich sofort zu Hause: schräge Gitarren, ungenaue Melodien, Gequatsche aus dem Fernseher, mitreißende Rockmusik zwischen Space, Psychedelic, Surf und dem, was dereinst sowohl den Indierock als auch den Grunge zutiefst beeinflussen sollte. Jetzt fehlt noch das allererste Demo aus dem Vorjahr und eine Compilation mit allen 7“es und Raritäten!

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Teen Prime – No. 8 – Teen Prime 2023

Von Matthias Bosenick (23.01.2024)

„No. 8“ ist das dritte Album von Teen Prime, nach „No. 7“ und „No. 4“. Kann man so machen, was hier nun aber rätselhaft wirkt, ist dem Umstand geschuldet, dass das Duo auch seine EPs in die Nummerierung integriert, und was es noch komplizierter macht, ist, dass „No. 6“ bis heute nicht vergeben ist. Das dennoch erst junge (Februar 2022 gegründet) Impro-Duo aus Gitarrist Sebastian Fäth und Schlagzeuger Jörg A. Schneider groovt sich ein, und das so sehr, dass die vierte LP bereits eingespielt ist. Klassische Rockmusik darf man hier nicht erwarten, ein vergleichsweise zugängliches Album aber sehr wohl: Auch wenn die beiden auf herkömmliche Strukturen verzichten, gelingen ihnen ein warmer Sound und ein abstrakter Groove, der dennoch mitreißend ist.

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Sleaford Mods – West End Girls – Rough Trade 2023

Von Matthias Bosenick (22.01.2024)

Yeah! Yeah!!! Mies gelaunt und angepisst huldigen die beiden Polit-Rüpel von den Sleaford Mods ihren ebenfalls nicht unpolitischen Synthiepophelden Pet Shop Boys: Aus Charity-Gründen covern sie deren fast 40 Jahre alte Debütsingle „West End Girls“. Die Musik belassen sie weitgehend bei, damit auch Tempo und Melancholie, und da das Original bereits mehr oder weniger ein Rap war, liegt diese Adaption hier gar nicht so fern, nur dass die Sleaford Mods räudiger rappen. Und auf der 12“-Version auch dirty. Größter Schulterschlag ist, dass die Pet Shop Boys dieser Version nicht nur zustimmten, sondern sie auch gleich remixten.

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Freiwillige Selbstkontrolle – Topsy-Turvy – Buback 2023

Von Matthias Bosenick (17.01.2024)

Wie man das Abseitige und das Eingängige wundervoll in Einklang bringt, belegt die Freiwillige Selbstkontrolle immer wieder und so auch auf dem neuen Album „Topsy-Turvy“. Niemals ist ein Song der Münchener Institution auch nur ansatzweise vorhersehbar, niemals folgt die Komposition vertrauten Mustern, und doch sind die acht neuen Stücke herzerwärmend und eingängig. Und trotz einer 43 Jahre andauernden Erfahrung wirken ausgewählte Elemente auf eine einnehmende Weise amateurhaft, wenn mal ein Percussionbeat minimal dem Takt nachschlägt, der Chorsprechgesang wie von einer Laienschauspieltruppe vorgetragen wirkt oder der Gesang um einen Halbton die eingeschlagene Melodie verfehlt, aber scheiß drauf, oder besser: richtig so, glattgebügelt kann jeder, „Topsy-Turvy“ hat Seele und Charakter, obendrauf politische Haltung und Humor – und ist in keine Schublade einzuordnen. Ja, verdammt: Das ist Kunst!

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