Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Once a Stuffie always a Stuffie.

Von Onkel Rosebud

Meine Freundin hat meine aktive Wonderstuff-Phase nicht mitgekriegt. In unserer Kennenlern-Periode hat sie im Angesicht meines schwarzen T-Shirt-Friedhofs mal gefragt, wieso ausgerechntet auf der offensichtlich am meisten getragenen Obertrikotage ausgerechnet „The Idiot“ steht. „Wolltest Du Deinen Kritikern zuvorkommen“, kicherte sie. Ich stammelte was über Selbstironie und eine Platte namens „Construction For The Modern Idiot“ (Polydor, 1993), schnallte aber schnell, dass ich bei ihr nicht mit geigengestützem, englischem Alternitive-Rock (sondern mit walisischem Trip-Hop, aber das ist eine andere Geschichte) punkten kann.

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Schirkoa: In Lies We Trust – Ishan Shukla – IND/F/D 2024

Von Matthias Bosenick (30.08.2024)

Hier ist die Methode, wie der Film erstellt wurde, aufregender als der Film selbst, leider: Das Videospiele-Grafik-Tool Unreal Engine ist das Werkzeug, mit dem Regisseur Ishan Shukla seinen Animationsfilm „Schirkoa: In Lies We Trust“ produzierte. Das sparte Kosten und Team, wenn auch nicht Zeit. Dafür Drehbuch: Es fällt schwer, der Motivation der Hauptfigur in diesem – klar – dystopischen SciFi-Film zu folgen, oftmals springt die Darstellung der Geschehnisse abrupt und womöglich basiert alles auf irgendwelchen Indischen spirituellen Kulturbesonderheiten, die man als Nichtinder nicht erklärt bekommt, was das Verständnis nicht vereinfacht. Vielleicht ist das Drehbuch aber auch einfach nur sehr unausgegoren. Das machen die interessanten Bilder leider auch nicht wett.

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Versuch einer Rekonstruktion: Im titelgebenden düsteren Refugium Schirkoa sind alle Bewohner von der phantomartigen autokratischen Instanz Lord O‘ dazu gezwungen, mit Papiertüten über dem Kopf zu leben, auch im Privaten; niemand hat je sein eigenes Gesicht gesehen. Sie bekommen Nummern zugeteilt, die ihrer Wohnadresse entsprechen. 197A und 242B sind eine Art Paar. Er, 197A, ist offenbar Zeitungszusteller, vielleicht aber auch Politiker, oder beides, sie, 242B, lebt im Blue District, dem Vergnügungsviertel, möglicherweise eigentlich Rotlicht. Es geht das Gerücht von Konthaqa um, einer Gegend, in der nicht nur Menschen ohne Papiertüte leben, sondern auch solche mit Mutationen, Anomalien genannt. 242B will unbedingt mit dem freakigen Bus nach Konthaqa flüchten, 197A hingegen glaubt, im autoritär-diktatorisch geführten Schirkoa mit allen Annehmlichkeiten gesegnet zu sein und als Politiker Einfluss auf Erleichterungen nehmen zu können.

197A will sich von einem Hochhaus stürzen, warum auch immer und was man auch erst begreift, als auf dem Dach gegenüber eine Tütenlose mit dem selben Vorhaben ihn darauf anspricht. Sie vögeln auf dem Dach, weil Sex vor einem Suizid den Lebenswunsch um sechs Monate verlängern soll, und pennen danach bei ihm. Er nimmt am nächsten Morgen seinen Sitz im Parlament ein, während Robo-Cops die Frau aus seinem Bett entfernen und mit ihr auf dem Marktplatz eine Art Hexenverbrennung anzetteln wollen. Während man ihm auf Monitoren zeigt, wie man ihren Rucksack entfernt, woraufhin – und das ist der einzige überraschende Moment im Film, also: Spoiler – sich auf ihrem Rücken bunte Schmetterlingsflügel entfalten, sie also als Anomalie enttarnt wird. Daraufhin nimmt 197A seine Tüte ab, offenbart eine Art Widder-Hörner auf seiner Stirn, lässt auf seinem Rücken Fledermausflügel wachsen und eilt zu ihrer Rettung. Wache1, sein Vorgesetzter oder so, entzündet die Flügel der Frau, befiehlt, 197A abzuschießen, was nicht erfolgt, und er flattert davon.

Zufällig landet 197A vor dem Bus, mit dem 242B fliehen wollte, aber, nunmehr tütenlos, von einem Panzer aufgegriffen wurde. Nun steigt er eben in diesen Freak-Bus voller interessant aussehender Anomalien und gerät in das fantasievoll überbordend dargestellte Konthaqa. Dort sucht er nach Lies, der meerjungfräulichen Anführerin der Anomalien, von der die Sage geht, sie sei eigentlich Lord O‘. Plötzlich sitzt er umgestylt in ihrer Badewanne, wird auf einer Bühne als Gott verehrt, tötet Wesen, die ihn bitten, ihnen zu sagen, dass er sie liebt, damit, dass er diesem Wunsch Folge leistet, und der Rest der Bande feiert irgendwas. Bis Wache1 während einer Parade unmaskiert ein Attentat auf 197A verübt und in der folgenden Gefangenschaft Details über die noch lebende unmaskierte Schmetterlingsfrau verrät. Aus Gründen – möglicherweise hat er auf Konthaqa nach mehreren Jahren der gottgleichen Feierei auch keinen Bock mehr – sucht 197A Pilgrimage auf, ein drittes Refugium, in dem er die verbrannt geglaubte Frau findet. Sie erzählen einander irgendwas, woraufhin er betütet zurück nach Schirkoa kehrt und 242B im Blue District aufsucht, klassische Balkonszene inklusive. Fertig, womöglich.

Schwer zu sagen, ob das Nicht-Verständnis der Vorgehensweisen von 197A daher rührt, dass der zumeist englischsprachige Film auch auf Englisch untertitelt ist und die Sprechenden irgendwann in ein hochsprachiges Vokabular verfallen, das man im Unterricht seinerzeit nicht vermittelt bekam, oder daher, dass die Figur irgendwelchen indisch-mythologischen Pfaden folgt, die man als Europäer nicht kennt, oder schlichtweg daran, dass das Drehbuch mies ist. Für letztere Option spricht, dass der Film, obschon zumeist eher schleppend erzählt, an vielen Stellen abrupt die Blickwinkel und die Szenerien wechselt, was ihm etwas Amateurhaftes verleiht. So haben wir das damals mit unseren ersten VHS-Filmen auch gemacht, weil wir es nicht besser wussten und keine besseren Möglichkeiten hatten. Die hat Shukla aber, nämlich eine weiße Leinwand und ein Unreal Engine, mit dem er alles erschaffen kann, was er will. Stattdessen stolpert er durch seinen Film. Warum etwa leisten die Robo-Cops dem Befehl, 197A abzuschießen, nicht Folge, sondern lassen ihn entkommen? War die fluchtermöglichende Verzögerung schlechtes Timing, die Action mies oder der Animator zu faul? Warum zündet 197A die Politiker im Parlament überhaupt an und warum haben sie später sofort ihre Papiertüten wieder auf? Was macht der Typ als androgyner Gott in einer Badewanne? Warum flitzt er zuletzt wieder betütet zu seiner ersten Frau? Warum vögelt er die andere überhaupt? Wenn man sich nie ohne Papiertüte gesehen hat, warum hat man dann darunter attraktive Frisuren und sogar Brillen?

Die Geschichte hat so viele spannende Ansätze. Zu dem Gerücht, es gebe das Refugium der Anomalien, gegen das Schirkoa einen Krieg anzetteln will, gibt es das Gegengerücht, das Gerücht sei lediglich von der Regierung in die Welt gesetzt worden, um die Bewohner in Angst zu versetzen und gefügig zu machen. Die Idee, ausgerechnet den Skeptiker gezwungenermaßen ins gelobte Land aufbrechen zu lassen, ist eigentlich ein schöner Twist. Ansonsten verpufft die Story sehr schnell und man verliert Bezug zu und Interesse an den Figuren.

Visuell ist diese Quasi-Pioniertat wiederum bemerkenswert. Mit der Mischung aus scharfen und verwaschenen Konturen erinnert er an „Der Herr der Ringe“ von Ralph Bakshi, der seinen mit realen Menschen gefilmten Zeichentrickfilm einfach überpinselte. Die Stadtansichten aus der Vogelperspektive hat Shukla von Gaspar Noé, der hier eine Sprechrolle übernimmt. Konthaqa sieht aus wie ein psychedelischer Trip in einem Videospiel, mit rotierenden Zahnrädern und den wilden Wesen und so. Dazu setzt unerwartete Musik ein, die sämtliche Kulturgrenzen sprengt, von dumpfem Techno bis Afrobeat.

„Schirkoa“ basiert auf einer eigenen Graphic Novel, aus der Shukla bereits vor über zehn Jahren einen preisgekrönten Kurzfilm machte, auf dem nun dieser Unreal-Engine-Langfilm basiert. Vielleicht hätte er ihn kürzer belassen sollen, denn die 103 Minuten der Kinofassung haben so ihre Längen. Hier gewinnt die Form über den Inhalt, was enttäuschend ist, denn damit reiht sich Shukla in die Schlange der unzählbaren Hollywood-Macher ein, die aus einer technischen Idee einen schlechten Film machen müssen, Hauptsache, er verkauft sich irgendwie. Dazu kommt, dass heutzutage viele Spiele schon besser aussehen als „Schirkoa“, das vermeintlich verkaufsfördernde Stilmittel also nicht zieht, aber sei’s drum, das kann ja auch gewollt sein.

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Morgue Meat – Apocalyptic Visions – Pest Records 2024

Von Matthias Bosenick (29.08.2024)

Puh, ja: Morgue Meat aus Dallas, Texas, bedienen sämtliche Klischees. Nee, halt: Sie bedienen die Death-Metal-Folklore, so war das gemeint. Bandname irgendwas mit Tod: gegeben. Albumtitel „Apocalyptic Visions“ bekannt und mit Bibelbezug: gegeben. Schriftzug unlesbar: gegeben. Cover irgendwie gruselig: gegeben. Albumtitel in einer Art Frakturschrift: gegeben. Songtitel blasphemisch und todesnah, etwa „Crushing The Messiah’s Skull“ oder „Realm Of Eternal Suffering“: gegeben. Musik meistens schnell, immer tief, teilweise groovend: gegeben. Gesang bisweilen ins Quieken gehend gegrowlt: gegeben. Preis für den Download mit Verweis auf die Offenbarung: $6.66, gegeben. Neu sind die Wurzeln des Trios: Außer in Texas liegen die in El Salvador und Mexico. Behauptet die Info, dass die Band dies musikalisch berücksichtigt, hört man es nicht wirklich heraus: „Apocalyptic Visions“ geht klassisch in die Fresse. Ein Fest für Fans des Genres.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Seelenmusik: Tindersticks

Von Onkel Rosebud

Als 1993 das erste Album der Tindersticks erschien, steuerte Britpop auf seinen Höhepunkt zu. Aber die Band aus Nottingham lebte in einer anderen Welt. In dreiteiligen, grauen Anzügen standen die jungen Männer, die damals schon Musik von älteren Herren machten, auf der Bühne und pflegten in ihren Songs eine langsame, düstere Romantik. Das ist nicht als Beleidigung gemeint. Tindersticks steht für Musik von reifen Herren, die gelernt haben, zu reflektieren, zu horchen, zu fühlen und den Zweifel, auch an sich selbst, zu kultivieren. Es ging ihnen immer um Atmosphären und imaginäre Räume, in denen sich Sehnsucht, Trauer, manchmal auch Glück und Hoffnung entfalten können. 

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Vibravoid – We Cannot Awake – Tonzonen Records 2024

Von Matthias Bosenick (28.08.2024)

„We Cannot Awake“ ist eine bunte, ähm, Tüte geworden: Auf ihrem 90488. Album vermengen Vibravoid aus Düsseldorf psychedelische Genres wie Psych-Pop, Post Punk, Stoner, Fuzz, Space, Noise, Kraut und allerlei weitere bewusstseinserweiternde rockbasierte Ausrichtungen zu einem bunt schillernden Werk. Der schlüssige Schluss straft den Titel Lügen, man wird abrupt aus der Kontemplation gerissen. Gerissen!

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Umbersun – Endless Winter Nights – Pest Records 2024

Von Matthias Bosenick (27.08.2024)

Zuerst denkt man: Kitsch. Doomige Riffs und synthetischer orchestraler Bombast. Sobald aber das Growlen einsetzt und sich in die Stimmung einfügt, lässt man sich auch mitten im Sommer auf die „Endless Winter Nights“ ein. Im Verlauf wird das Debüt-Album des rumänischen Quintetts Umbersun noch waverockig, bekommt einige Gimmicks und entwickelt eine merkwürdig anheimelnde Stimmung aus Depression und Gemütlichkeit. Eine schöne Einstimmung auf die zunehmende Dunkelheit.

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Nur noch ein einziges Mal (It Ends With Us) – Justin Baldoni – USA 2024

Von Guido Dörheide (24.08.2024)

Der Spoiler zum Film: Nur noch ein einziges Mal (It Ends With Us)

HINWEIS: Ich gebe hier nahezu den kompletten Inhalt des Films wieder. Allen, die den Film unvoreingenommen sehen wollen, um sich ein eigenes Bild zu machen, rate ich, den Artikel erst anschließend durchzulesen.

In der letzten Woche schlug die Liebste mir vor, dass wir uns den Film „Nur noch ein einziges Mal“ ansähen, und ich, der ich noch nichts über den Film gehört hatte, befragte Doktor Google, der mir sagte, dass sich der Film mit Blake Lively in der Hauptrolle mit dem Thema „Häusliche Gewalt“ auseinandersetze. Wichtiges Thema, gute Hauptdarstellerin, also buchten wir gute Plätze im größeren der beiden Lichtspieltheater in der zweitgrößten Stadt Niedersachsens (gleich nach Hannover), wo wir ohnehin am Freitag etwas zu erledigen hatten.

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Meer – Wheels Within Wheels – Karisma Records 2024

Von Matthias Bosenick (23.08.2024)

Meer ist wirklich ein schöner Name für eine Band, obschon diese hier aus Norwegen kommt, wo „Meer“ eigentlich „hav“ oder „sjø“ heißt, dann ist die Intention dahinter etwas unklar. Die Musik auf dem dritten Album „Wheels Within Wheels“ wiederum neigt dazu, die Hörenden zu überschwemmen: Orchester-Pop, Bombast, Opulenz, Expressivität, allergrößte Emotionen, im Grunde Kitsch – und auch noch wider besseren Kategorisierens einsortiert im Prog-Rock-Fach. Auf diesem Album bekommt man von allem zu viel, außer von Ruhe und Entspannung. In den wenigen stilleren Sequenzen kommen die Finessen des Oktetts wesentlich besser zum Ausdruck, und doch dominiert eine niederschmetternde Kirchentags-Erbaulichkeit. Da passt die Rückübersetzung: Norwegisch „meer“ (eigentlich „flere“) heißt auf Deutsch einfach „mehr“. Dabei wäre „for mye“ treffender gewesen: „zu viel“.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Eisbergsalat auf Käsebrötchen – Bjarne Sörensen

Von Onkel Rosebud

Meine Freundin meinte neulich, wir müssen mal über Bjarne Mädel reden. Erklär‘ mir doch mal, warum er Everybody’s Darling ist. Sie hört verschiedentliche Podcasts und immer, wenn er zu Gast ist, freut sich der Host unheimlich und lobt sein Kulturschaffen. Ich hob an und referierte über die Figur Berthold „Ernie“ Heisterkamp aus der Serie „Stromberg“, in der Bjarne Mädel trotz fragwürdiger Krawatten, Schweißflecken auf dem Hemd, Depression und vehementer Unsexyness Kultstatus erlangte. Dann „Der Tatortreiniger“. Insbesondere Folge 3 der 2. Staffel, „Schottys Kampf“, gehört in jede Schultüte, wenn es darum geht, zu beweisen, dass deutscher Humor dem britischen ebenbürtig sein kann. Und natürlich noch frühere „Mord mit Aussicht“, da ist er „der Bär“. Meine Freundin gähnte und mahnte mich, endlich zum Punkt zu kommen.

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Ritual – The Story Of Mr. Bogd, Part 1 – Karisma Records 2024

Von Matthias Bosenick (21.08.2024)

Wer eine Katze als Freund hat, weckt schon mal Aufmerksamkeit. Mr. Bogd, offenbar ein Geschäftsmann, der sich auf eine Reise begibt, nennt eine Katze seinen Helden, mitten im Album „The Story Of Mr. Bogd, Part 1“ – dem Comeback des schwedischen Prog-Quartetts Ritual nach 17 Jahren Pause. Das gestalten die Stockholmer gleich mal als Auftakt eines Doppel-Albums, dessen zweiter Teil noch aussteht. Die Musik ist wild: Gefühlt ist hier kein Instrument nicht zu hören, kein prog-verwandtes Genre ebenso, alles pendelt verspielt zwischen Frickelei und Narration, man staunt. Und schnurrt.

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