Von Matthias Bosenick (02.10.2024)
Von wegen, das rheinmainische Quartett Giants Dwarfs And Black Holes ist musikalisch an die Siebziger angelehnt: Sicher, die Wurzeln psychedelischer und progressiver Rockmusik finden sich auch auf dem dritten Album „Echo On Death Of Narcissus“ sehr ausgeprägt, aber strukturell ist die Musik doch wesentlich moderner, in ihren sonstigen Zutaten ebenso, solch eingestreute Riffs etwa gab es in dem Sound vor 50 Jahren noch nicht, und überhaupt, die vielfach überschrittenen Grenzen, das Selbstbedienen bei allem, was ansonsten noch so mit Rock’n’Roll-Instrumentarium machbar ist. Dazu der changierende Gesang von Christiane Thomaßen, die ihre Stimme sogar mal ins Soulige bringt. Ab ins All, da knistert die Sportzigarette!
Mt. Oriander/Amid The Old Wounds – Split – Time As A Color 2024
Von Matthias Bosenick (01.10.2024)
Der Herbst ist da, und mit ihm ein passender Soundtrack: Melancholie, Innerlichkeit, Selbstreflexion, Einkehr transportieren die drei Songs, die die zwei Emos Mt. Oriander alias Keith Latinen und Amid The Old Wounds alias Daniel Becker auf dieser Split-7“ zusammentragen. Während letzterer das Singer-Songwritertum solo an der Akustischen auslebt, präsentiert sich ersterer voll instrumentiert im milden Shoegaze-Indierock-Gewand. Die schönen Songs wären noch schöner mit einem etwas unschrägeren Gesang, aber irgendwie passt das ja auch in den Herbst, nech!
Michael Schenker – My Years With UFO – Ear Music 2024
Von Guido Dörheide (30.09.2024)
Einst unterhielt ich mich mit meinem damaligen Kollegen Manfred über die Schenker-Brüder aus Sarstedt bei Hildesheim, Niedersachsen, Germany. Und Manfred war voll des Spottes über Michael, den jüngeren Schenker, ob seines Ausstiegs bei ihm seinen Bruder seinen Scorpions nach dem ersten Album, und meinte, „Ah höhöhö, der ging dann zu UFO (das Manfred etwa „Ufo“ aussprach) und meinte, er könne da was werden. Ah höhöhöhö!“ Ja klar, Michael Schenker hätte natürlich auch mit den Scorpions Mitglied der größten deutschen Stromgitarrenmusikkappelle (ja genau, das ist nämlich genau nicht die peinliche Tippfehlercombo „Rammstein“) werden können, aber in wessen Schatten hätte er da wohl auf Dauer gestanden? Raten Sie mal! „You’re no good, can’t you see, brother Rudi, Rudi, Rudi“ ist das Stichwort.
WeiterlesenGhost:Whale – Dive:Two – P.O.G.O./Bitume 2024
Von Matthias Bosenick (30.09.2024)
Dieser Geisterwal verbindet auf seinem zweiten Album Dub und Doom. So geht das: Wenn es alles bereits gibt, einfach einiges davon neu kombinieren. Aber Vorsicht, die Musik hier klingt nicht wie das, was man sich unter der Kombi aus den zwei genannten Stilen vorstellt – sondern eher wie Industrial. „Dive:Two“ von den Brüsseler Doppelpunkt:Liebhabern Ghost:Whale ist außerdem gleich ein Doppel-Album geworden, ohne Punkt, aber mit instrumentalem Doom, den er zum Ende der ersten CD und besonders ausgeprägt auf der zweiten ordentlich toastet und stampft. Gesang braucht der Sound tatsächlich nicht, die endlos ausufernden Tracks – mit zwei Bässen und ohne Gitarre übrigens – sind abwechslungsreich genug, um damit zu fesseln, obschon Walgesang eine interessante Ergänzung wäre. Vielleicht auf dem dritten Album?
Nick Cave And The Bad Seeds – Wild God – Bad Seed/Play It Again Sam 2024
Von Matthias Bosenick (26.09.2024)
Mit großer Geste umarmt Nick Cave die Welt wieder. Gospel, Orchester, Piano, Flöten, eine dezente und kaum als solche wahrnehmbare Rockband, raumgreifende schönste Melodien, überkopfgroße erbauliche Songs, kein Kitsch, oh Lord! Alles sehr anspruchsvoll und inbrünstig, aufgekratzter Rock’n’Roll war früher, heute sind wir closer to God, da springen wir wie Super Mario von Wolke zu Wolke, ab ins Nirvana. Die opulente Wucht haut einen um, und hinterher braucht man unbedingt irgendwas Dreckiges. Gern auch etwas Älteres von Nick Cave oder gleich Grinderman.
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Danke Goth – Anja Huwe
Von Onkel Rosebud
Meine Freundin neigt zur Synästhesie. Buchstaben oder Zahlenfolgen erzeugen vor ihrem inneren Auge Farben oder Temperatur. Zum Beispiel bezeichnet sie die Ziffer 9 als warmes Grün. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass Töne für sie nicht nur klingen, sondern gleichzeitig schmecken. Neulich habe ich ihr Auszüge aus dem mich begeisternden Tonträger „Codes“ von Anja Huwe vorgespielt. Ihr Kommentar lautete sinngemäß: „Riecht nach abgestorbenem Gehölz. Schmeckt wie Esche mit Brombeeren.“ Ziemlich gute Antwort, dachte ich, weil meine Freundin bis dahin Anja Huwe nicht kannte, und dass sie mit ihr eine Sache und mit 4-5% der Weltbevölkerung gemein hat: Synästhesie. Kurze Erklärung: Normalerweise reagiert beispielsweise der Geruchssinn auf einen olfaktorischen Reiz, etwa eine duftende Blume oder frische Brötchen. Das Gehör wiederum nimmt Lärm oder klackende Hackenporsche wahr. Menschen mit Synästhesie riechen Gerüche oder hören Töne aber nicht nur, sie können sie auch „sehen“ oder „schmecken“.
WeiterlesenU2 – Zoo TV: Live In Dublin 1993 EP – Island Records 2024
Von Matthias Bosenick (25.09.2024)
Das Vinyl ist knattergelb. Die Songs waren großartig, damals, zwischen 1991 und 1993, die Zeit, aus der die fünf (in Japan auf CD sechs) Tracks stammen, die die Iren U2 auf der 12“ „Zoo TV: Live In Dublin 1993“ erst jetzt herausbringen. Der große musikalische Umbruch, der Schritt von den nachdenklichen hymnischen Weltverbesserern zu den tanzbaren ironischen Hedonisten, so die damalige entsetzte Haltung der Achtziger-Altfans, die „Achtung Baby“ 30 Jahre später komischerweise schon immer gut fanden und offenbar erst im Rückspiegel feststellten, dass „Rattle And Hum“ 1989 kein Gegenentwurf, sondern eine Vorstufe zu „Achtung Baby“ war. Feiern wir also mit dieser auch auf CD und im Stream erhältlichen EP die guten, alten Zeiten mit den guten, alten, ehrlichen Rockern aus Dublin.
… In Viscero – Italia Violenta – Pest Records/Metal Ör Die Rex 2024
Von Matthias Bosenick (24.09.2024)
Kann man so machen: Als Extreme-Metal-Band aus Ungarn das brutale Kino aus Italien als Basis für das eigene Konzept heranziehen, sein Album entsprechend „Italia Violenta“ nennen, die Tracks nach Filmen der Sechziger bis Neunziger benennen und die Songs, soweit sich das nachvollziehen lässt, auf Italienisch growlen, grunzen, keifen. Hier geistern Dämonen, Zombies und Hexen durch die Stücke, die amtlich brettern und mit einem schönen fuzzy-drängenden Bass zu fetten Gitarren die Heads zum Bangen bringen. Und das nur zu dritt! Ein überzeugendes Debüt, da … im Darm.
Thy Apocalypse – Fragment troisième – Chabane’s Records 2014/Bitume Prods 2024
Von Matthias Bosenick (23.09.2024)
Kaum ausgesprochen, schon umgesetzt: Mit Thy Apocalypse ist das vermutlich vorletzte offene Projekt von Adunakhor Z. aka Adz. aka Julien J. Neuville aus Frankreich auch bei Bitume angekommen. „Fragment troisième“ ist das titelgemäß dritte Album des Projektes, erschienen vor zehn Jahren, da steht also noch einiges aus. Als Thy Apocalypse kombiniert Neuville Black Metal mit Industrial, und man kann nur staunen, wie gut ihm dies gelingt. Eiskalter Sound eint beide Genres, in Kombination überschreiten sie ihre eigenen Grenzen. Dunkel-Disco mit Gebrüll, Most mit Stampf, Gebretter mit Wumms. Diese Version des Albums bezeichnet Neuville überdies als „V2.0“, da er es remixte und remasterte sowie mit einem neuen Cover versah.
Fly Cat Fly & She Phoenix – Live im Kufa-Haus Braunschweig am 21. September 2024
Von Matthias Bosenick (22.09.2024)
Endlich ist „Freaks“ draußen, das neue Album von Fly Cat Fly! Das Braunschweiger Duo feiert die Veröffentlichung, indem es die Platte einmal komplett live spielt und die neuen Songs als Bonus mit einer Auswahl alter Songs garniert. Wer für die Musik der Eheleute das Etikett „Indie-Rock“ hervorholt, fasst die Schublade nicht weit genug, und an dem Abend im Kufa-Haus brettern die beiden dem Publikum so einige weitere Option um die sperrangelweit geöffneten Ohren. Den Starter macht She Phoenix, eine Singer-Songwriterin, die an E-Piano und Akustikgitarre komplex-melodiöse Soul-Songs intoniert. Passt!