Von Guido Dörheide (02.07.2025)
Irgendwo las ich jüngst, wie es zum Titel des neuen Marc-Ribot-Albums kam: Als seine Tochter ein Kind und Marc Ribot ein junger Vater war, zeichnete die Tochter die Karte einer Stadt in tiefem Blau, und er meinte, das wäre eine schöne blaue Karte einer Stadt. Die Tochter korrigierte den Vater und sagte, es sei keine blaue Karte einer Stadt, sondern die Karte einer blauen Stadt. Sowas kriegen nur Töchter hin, ich musste gleich dran denken, wie meine ältere Tochter früher immer auf meine Frage „Hey M., soll ich die Pizza in 6 oder in 8 Stücke schneiden?“ mit „Papa! 6 Stücke. 8 Stücke sind zu viel, die schaffen wir nicht!“ antwortete und wir uns kaputtgelacht haben. Töchter sagen sowas, und es ist großartig, ebenso wie das „Hey Du! Ich mag Dich nicht mehr – gib mir sofort meine Telefonnummer zurück“ von meiner Jüngsten.
Marc Ribot, das ist der Gitarrist von Tom Waits’ Welt-Veröffentlichungen „Rain Dogs“, „Frank’s wild Years“ und allen anderen danach, außerdem hat er bei den Black Keys und Elvis Costello mitgespielt (jahaa – auf „Spike“ und „Mighty Like A Rose“, großartige Alben, und auf „Kojak Variety“, großartig unterschätztes Album) – und dazu kann er auch noch singen! „Songs Of Resistance 1942-2018“ war das Album, das dem zuvor als Tanzmusik verballhornten „Bella Ciao“ mit Tom Waits am Gesang wieder dorthin rückte, wo es unter anderem Hannes Wader Jahrzehnte zuvor abgestellt hatte. Ribots Alleinstellungsmerkmal als Gitarrist ist, dass er als Linkshänder auf einer rechtshändig gestimmten Gitarre spielt (also quasi wie Hendrix, nur umgekehrt, oder wie Django Reinhardt, nur ohne kaputte Hand), was man immer irgendwie heraushört.
Mit „Map Of A Blue City“ hat Ribot heuer ein tolles Album herausgebracht, das zunächst gefühlt stundenlang ruhig, jazzig und von Blasinstrumenten begleitet (wie schon gesagt, jazzig) vor sich hin spielt und dann mit „Optimism Of The Spirit“ (die Gänsefüßchen gehören tatsächlich zum Songtitel) einen letzten Albumtrack bereithält, der den Titel „Bester letzter Albumtrack aller Zeiten“ mehr als verdient.
Aber von vorn: Mit „Elizabeth“ beginnt das Album ruhig und akustikgitarrenlastig, Ribots Stimme klingt toll, und die Melodie nimmt die Hörenden gleich gefangen. Mit „For Celia“ geht es ebenso weiter, man weiß nicht, ob Ribots sparsam hingetupfte Gitarre oder sein Gesang einen mehr gefangennehmen. Auf „Say My Name“ betritt Ribot dann erstmals mehr bandsoundorientierte Gefilde. Der Song könnte gut Platz auf einem Tarantino-Soundtrack finden, er klingt musikalisch und gesanglich nach dem tiefen Süden der USA und ist sehr schön melancholisch und virtuos gespielt obendrein. Und wartet mit einem schönen, stoisch-monoton-schleppendem Schlagzeug auf. „Daddys Trip To Brazil“ ist dann wieder zunächst ein Gitarrenstück, bis wundervolle weitere Instrumente (Saxofon, Flöte, Geige, Bratsche) hinzukommen und das Hörerlebnis vollkommen machen. Ja wow, und so geht es weiter und weiter: Das Titelstück „Map Of A Blue City“ besteht quasi nur aus Gitarre und hingehauchtem Gesang – man quält sich beim Hören quasi durch das Stück und wird am Ende mit einem schmerzhaften Solo belohnt – anschließend dann „Death Of A Narcissist“ mit bluesiger Gitarre (man sieht förmlich die Windhexen über den Highway wehen) und ebensolchem Gesang, gefolgt von „When The World’s On Fire“ und der Frage „Where Will You Run?“ Ja, wohin nur? Das Album liefert keine Antworten, aber einen tollen Soundtrack zu solchen Fragen. Auch „Sometime Jailhouse Blues“ ist eine tolle Zurschaustellung dessen, was man auf einer Gitarre anstellen kann, wenn man es wirklich drauf hat und niemanden beeindrucken will (und es dabei zwangsläufig dennoch in überragendem Ausmaße tut), und dazu singt Ribot hier unheimlich unglaublich – zuerst flüsternd und dann beschwörend und irgendwie raunend, und immer hört man das Umgreifen auf den Bünden der Gitarre, echt toll!
Und wenn wir bis hierher dächten „Jahaa – so ein Gitarrenvirtuose der alten Schule, der uns mal zeigt, wie man die richtigen Griffe greifen tut und so, aber wann und wo holt er uns denn mal so richtig ab?“ – dann hören wir die Antwort auf dem knapp siebenminütigen Schlussstück einer an knapp siebenminütigen Stücken nicht armen Langspielplatte (es sind drei von neun Stücken, die mehr oder weniger an dieser Marke kratzen): „Optimism Of The Sprit“. Man muss es selbst gehört haben, um sich ein Bild davon machen zu können, wie unglaublich man ein wirklich bereits davor schon verdammt gutes Album zum Abschluss bringen kann: „Optimism Of The Spirit“ beginnt mit fast schon sphärischen Elektro- und Gitarrenklängen und gniedelt dann erstmal einige Minuten vor sich hin, was auch unbedingt nötig ist, damit sich die Hörenden in dem Song einrichten können. „Ja tolle Wurst, jetzt hat der Künstler die halbe Spielzeit damit verdaddelt, irgendwelche Geräusche aneinanderzuhängen“, könnte man zum Himmel schreien – wenn nicht dieses Gedaddel schon allein so toll wäre, dass man nicht mehr weghören mag und gespannt auf das ist, was noch kommen mag. Und das lässt wahrlich auf sich warten (ohne dass man sich langweilt) – irgendwie ambientmäßig rumpeln Percussions und Synths vor sich hin, und immer wenn man denkt, es kommt nichts mehr, kommt von irgendwo noch ein Klopfen, Klackern oder irgendwas her. Kein Gesang, braucht es aber auch nicht – welch ein wunderbarer Abschluss für ein großartiges Album.