Kokkinià – The Last Are Lost From The List – Bitume Prods/Kokkinià 2025/2022

Von Matthias Bosenick (30.06.2025)

Drei Jahre nach der Veröffentlichung in Eigenregie bringt das Label Bitume Prods das Debüt „The Last Are Lost From The List“ der griechischen Heavy-Psych-Rockband Kokkinià neu heraus, ergänzt um zwei neue Songs, die das Spektrum der Athener erheblich erweitern. Basieren die ersten sieben Songs noch auf variantenreichem Bluesrock, entwickelte die Band in der Zeit danach einen Blick für Progressivität. Den für soziale Gerechtigkeit und Antifaschismus behielt sie bei.

Dazu zur Erklärung vorneweg: Kokkinia (Κοκκινιά) ist der alte Name der Stadt Nikea oder Nikaia (Νίκαια), als Vorort von Athen gelegen im Bezirk Piräus. 1922 siedelten sich dort nach dem Griechisch-Türkischen Krieg Flüchtlinge aus Kleinasien, also der heutigen Türkei, an; ihren Namen erhielt die Stadt angeblich von dem Umstand, dass dort viele Kommunisten lebten, denn er bedeutet Rot. 22 Jahre später verübten Nazis dort ein Massaker. Auf dieser Basis formulieren Kokkinià auch ihre Inhalte, mit sozialen Themen als Schwerpunkt; ihren ersten Auftritt hatten sie 2018 bei einem Antifa-Festival.

Nun zur Musik: Das Album beginnt mit „Whoami“ blueslastig und behält diese Grundierung auch weitgehend bei, zumindest für die ersten, weil alten sieben Stücke. Dabei gelingt der Band der Spagat zwischen Filigranität und Wuchtigkeit, zwischen Kontemplation und Ausbruch, bisweilen innerhalb der einzelnen, daher recht langen Songs, und dann sogar wie nebenbei, eher unbemerkt. Eben noch soliert die Gitarre progressiv vor sich hin, da tritt irgendwer irgendwem auf den Fuß und die Maschinerie entfesselt eine brutale Härte. Was die Stimme noch unterstreicht, denn der Gesang changiert zwischen rauh röhrend und zurückgenommen, ganz so, wie es die Unterlage mitträgt.

Selbst die bleibt nicht gleich: Einerseits ist die Gitarre ausgezeichnet darin, heavy zu riffen, aber eben nicht ausschließlich. Manche Passagen verfeinert sie mit vertrackten Licks, wo sie nicht als Melodieinstrument eingesetzt ist. Und dann bekommt der Bass eine Groovezeit, die dem Soundbild eine weitere Nuance hinzufügt. Mittendrin sorgt „Syopee“ für ein komplett eigenes Gewand: Das minimalistische Instrumental ist lediglich mit Akustikgitarre und Keyboard eingespielt und bettet sich passend zwischen „Enigma“ und „Shelt3r“ ein; letzteres etwa liefert so einen groovenden Bass inmitten psychedelischer Gitarren. Das letzte alte Stück „Lethe“ ist ziemlich depressiv und auch wütend, obgleich es im balladesken Bereich temperiert ist.

Dann kommen noch zwei neue Songs: Das mehr als achtminütige „Thromos/Thyella“ beginnt mit einem frickeligen Rhythmus, der Stop-And-Go mit dem Gitarrenbrett erinnert an Helmet und die Melvins, und sobald es in den zweiten Teil des Songs übergeht, werden Erinnerungen an den Grunge wach, etwa an Alice In Chains. „Arboreal“ wiederum kann sogar leichte Spuren von Tool enthalten.

Die Band Kokkinià existiert mindestens seit 2018, damals noch mit anderem Sänger (Νίκος Μανικιώτης) und Bassisten (Παύλος Γασπαρινάτος). Die erste Single mit „With The Lights On“, „Blue On Black“ und „Give A Damn“ entstand 2021 noch in der alten Besetzung und landete wohl deshalb nicht auf dem Album. Dort zu hören sind Marinos Tzaferis (Μαρίνος Τζαφέρης) an der Gitarre und den Keyboards, Savvas Kalymnios (Σάββας Καλύμνιος, recht höchstwahrscheinlich ein Künstlername, der echte Heilige ist 1862 geboren) am Schlagzeug (diese beiden spielen außerdem zusammen bei Blandras) sowie einem neuen Sänger, der mal als Vangelis R, Vaggelis R oder Vangelis N auftritt. Den Studio-Bassisten David Prudent kennt man noch von Doctor Livingstone sowie von unzählbar vielen weiteren Bands aus dem recht brutalen bis dunklen Metal-Bereich; auf dem Album ist er offenbar lediglich Gast, für die beiden neuen Songs holten sich Kokkinià jedenfalls Andreas Moutsis als Bassisten dazu. Als weitere Gäste sind außerdem zu hören: Manos Karteris an der Laute sowie Konstantinos Gkionis, Marina Noti, Thanos Tsotsonis und Ivi Vasiliou mit – nun – Handclaps. Der Titel und das Cover sind übrigens dem Mural „The Last Are Lost From List“ von WD Street Art entnommen, nur mit einem zusätzlichen The.