Big Thief – Dragon New Warm Mountain I Believe In You – 4AD 2022

Von Guido Dörheide (30.12.2022): Guido Dörheides Album des Jahres

Ja. Ich weiß. „Dragon New Warm Mountain I Believe In You“ ist bereits am 11. Februar 2022 erschienen. Warum habe ich darüber noch nichts geschrieben, und warum tue ich es jetzt doch noch?In der Tat hatte ich bereits am 15. Februar angefangen, einige Zeilen über dieses wundervolle Album zu tippen, und dann bin ich irgendwie abgebrochen, vermutlich, weil mir Band und Album sehr am Herzen liegen und mich sehr begeistern, und da fiel mir meine Deutschklausur weiland in den frühen 90ern über Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ wieder ein (meine Lieblingskurzgeschichte), die ich ob meiner Begeisterung über das Werk auf geradezu abenteuerliche Weise verkackt habe.

Aber, wie mein Chef sagt, man muss immer wieder über den Schmerz hinausgehen und somit würdige ich Big Thief hiermit im Rahmen der hier erstmalig erscheinenden Rubrik „Guido Dörheides ALBUM DES JAHRES“.

Oisdann – gemmas o:

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Durchströmungen II: Klangkräfte – Separated Beats 2022

Von Matthias Bosenick (29.12.2022)

Überraschend poppig gestaltet sich die Schein-Compilation „Durchströmungen II: Klangkräfte“ auf dem Klangwirkstoff-Sublabel Separated Beats, das bisher vorrangig (nicht ausschließlich!) mit Experimentellem oder etwas vom weiten Feld des Ambient in Erscheinung trat. Für seine zweite Sammlung rief Benjamin „Ben“ Bekeschus mit Tales Unfolding ein neues Alter Ego ins Leben, unter dem er die Tracks erstellte, unter Zuhilfenahme vieler Freunde Einsatz. Diese 15 Tracks und Remixe sind dicht, beatbetont, melodiös, partiell oldschool bis in die Siebziger bis Neunziger vom Proto-Ambient über Radiopop, Dub und Dancefloor bis Esoterik, stecken voller Details und hören sich gut weg. Und setzen Bekeschus‘ erste Durchströmungen „Glaswolken“ von vor einem Jahr angemessen fort.

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Best-of gestorben in Film und Serien

Von Onkel Rosebud

Das Jahresende und die damit verbundenen Rückblicke bringen es allenthalben mit sich, dass Listen angefertigt werden. Beliebt sind Klassifizierungen nach peinlichstem Lieblingslied, bestem Konzertbesuch, Ereignis sowieso etc. Nach der Wende war ich jahrzehntelang eigentlich nur deshalb Abonnement-Inhaber der Zeitschrift Spex, weil das legitimierte, jeweils im November am Leser-Poll teilnehmen zu dürfen. Im Freundeskreis brachte mir das den Spitznamen „30-Jahrgänge-Spex-Onkel“ ein, weil ich bis heute keine Ausgabe der ehemaligen Popkultur-Illustrierten wegschmeißen kann. Und wenn mal wieder ein Umzug anstand, verstanden meine Kumpels, dass die vielen Schallplatten alle mitmüssen, aber für die Kisten mit dem Subkultur-Magazin hatten sie kein Verständnis.

Das Privileg, Autor dieser Kolumne zu sein, rechtfertigt deshalb die eigentlich völlig unnütze Veröffentlichung meiner persönlichen Top-10-Hitliste aus der Rubrik „Populäre Charakter-Tode in Film und Serien“. Weil ich es kann. Los geht’s:

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Der Finger – Lapidarium – Signora Ward Records 2022

Auf seiner Reise durch die obskuren Subkulturlabels Italiens ist das Moskauer Impromusik-Duo Der Finger nun bei Signora Ward Records angelangt. Dort erscheint mit „Lapidarium“ der Livemitschnitt einer Improvisation, die eine Tanzperformance begleitete, damals, 2019, vor Corona, in Jekaterinburg (Екатеринбу́рг). Das Bild fehlt leider zu diesem Soundtrack, dabei wäre es höchstspannend, sich vorzustellen, wie sich Tanzende zu diesen rhythmusbefreiten Drones mit Saxophon bewegen. Obwohl, eigentlich war es andersherum: Die Musik entstand inspiriert durch die Tänze. Evgenia Sivkova und Anton Efimov – mittlerweile durch Putins Krieg und daraus folgender Flucht räumlich voneinander getrennt – erzeugen mit reduziertem Instrumentarium Drones, freie Melodien und auch mal Lärm, nur nichts, wozu man selbst tanzen kann. Abenteuer Kunst.

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Darts-WM im Ally Pally – Die langlebigste Serie aller Zeiten

Von Onkel Rosebud

Mein Sohn fragte mich neulich, wenn ich nur eine TV-Serie mit auf eine einsame Insel nehmen könnte, welche das wäre? Ich überlegte kurz und reiflich und entschied mich für „Die Simpsons“. Gute Wahl, fand er. In mehr als 30 Jahren wurden bisher über 734 Episoden in 34 Staffeln ausgestrahlt. Das verspräche die maximale Dauer an niveauvoll-subversiver Unterhaltung.

Nur eine Serie hält bisher länger durch, die Darts-Weltmeisterschaft gibt es seit 1977 und geht deshalb im Jahr 2022 – egal von welcher Organisation veranstaltet – in die 45. Staffel. Wir, also meine Familie bestehend aus Vater, Mutter, Kind, sind seit 2007 dabei und wir kennen nur die Versionen der Staffel, die immer zwischen Weihnachten und Neujahr im Ally Pally (Alexandra Pallace, London) von der Professional Darts Corporation (PDC) ausgetragen und bei sport1 übertragen und anfangs von Elmar Paulcke und Thomas „Shorty Schleifstein“ Seyler kommentiert wurde. Die beiden wurden 2018 von Basti Schwele mit wechselnden Co-Kommentatoren abgelöst. Die Kommentatoren sind in sofern wichtig, weil sie alle es geschafft haben und bis heute schaffen, enthusiastisch und glaubwürdig eine Freizeit-Tätigkeit als Sport professionell zu vermitteln, die für den alten, hässlichen weißen Mann im betrunkenen Zustand wie gemacht ist.

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Gravefest – Jugendhaus Ost in Wolfsburg am 17. Dezember 2022

Von Matthias Bosenick (18.12.2022)

Das Kunstmuseum Wolfsburg mit seiner „Empowerment“-Ausstellung als Ziel, kam die morgendliche Nachricht, dass A Secret Revealed aus Würzburg spontan beim „Gravefest“ im selbstverwalteten Jugendhaus Ost in Wolfsburg einspringen würden, genau zum richtigen Zeitpunkt. Acht Bands mit Musikrichtungen, die auf -core enden, als kleinstem gemeinsamen Nenner im von der Stadt frisch sanierten Ost, das die Wünsche der Nutzer dieser 1978 ins Leben gerufenen DIY-Einrichtung nicht nur berücksichtigt, sondern auch noch übertrifft – ein wahres Fest, nicht nur auf dem Grave.

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Marcel Pollex geht baden – Live im Aquarium des Kleinen Hauses des Staatstheaters Braunschweig, 15. Dezember 2022

Von Matthias Bosenick (16.12.2022)

Man könnte ihm ewig zuhören. Wenn Marcel Pollex vorn am Mikro steht und die Welt dadurch verspottet, dass er sie um mindestens eine Windung weitergedreht verbal abbildet, fühlt man sich verstanden und bisweilen auch gemeint. Mit seiner Satire verteilt Pollex die Watschen gleich mehrbödig bis in die Metaebene hinein, mit Nebensätzen, einzelnen Formulierungen und Themensprüngen erwischt es die Gegenwart vom Wochenmarkt über aktuelle Politik bis hin zu Twitter. Dabei verhält er sich nicht wie ein Comedian, der sich die Schenkel klopft, sondern gießt seine Abscheu der Welt gegenüber in wohlformulierte Texte, skurrile Dialoge oder Notizen mit Bruchstellen, inklusive Rollenwechseln und plötzlichem Herumschreien. Man möchte ihm sogar ewig zuhören.

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Front 242 – Rewind – Alfa Matrix 2022

Von Matthias Bosenick (15.12.2022)

Endlich neues Material von Front 242! Oder doch nicht: Lediglich eine EP mit Remixen, die allerdings überwiegend von namhaften Leuten, nicht von den üblichen plakativen Stumpfnickeln der „Szene“: Terence Fixmer, The Hacker, Radical G und – als Vertreter des Labels – Kant Kino. Sie bearbeiten Klassiker neu, „No Shuffle“, „Don’t Crash“ und „Take One“, und man feiert natürlich, dass man aus dem Hause der belgischen EBM-Erfinder überhaupt etwas hört, da nimmt man es ihnen nicht übel, dass die Electro-Techno-Neuversionen ganz so besonders eigentlich gar nicht sind. Immerhin senkt das Label Alfa Matrix mit der zweiten Auflage der 12“ die Zweithandpreise der Erstauflage. Die Bandcamp-Bonustracks indes bekommt man nicht mal als Downloadcode dazu.

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Godless – Star Wars im Western-Format

Von Onkel Rosebud

Meine Freundin hat ein Problem mit Western. Staubige Männer in grobem Leinen, ein wenig Herumgeober mit Pistolen, Saloonpiano, Gelächter, Hosenträger, Duelle, ein Hut landet in der Asche, andauernd passiert irgendetwas in Zeitlupe, einsam wortkarge Typen reiten durch einsame wortkarge Landschaft, Hüa, Hoooh, Brrr, und so weiter. Ihrer Meinung nach haben Western einen ähnlich meditativen Charme wie die Tour de France oder Kamerafahrten der schönsten Zugstrecken Europas.

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Trigger Cut – Soot – Trigger Cut 2022

Von Matthias Bosenick (14.12.2022)

Lärm, ihr Fukker! Mit allem Grund, zusätzlich zu dem, den einem die Welt so zu Füßen legt: Zwischen dem zweiten Album „Rogo“ und dem neuen „Soot“ brannte der Proberaum des Stuttgarter Trios aus, mit einer überwältigenden Spendenaktion gelang es Trigger Cut, sich – die Wendung liegt nicht nur wegen des Covers nahe – wie Phoenix aus der Asche zu erheben, oder auch aus dem titelgebenden „Ruß“. Acht Lärmbrocken, abgehorcht bei Noise Rock und No Wave aus dem New York der Achtziger und Neunziger sowie dem Post-Hardcore der späteren Fugazi, mischen sich Trigger Cut ihre eigene Mixtur aus Rock’n’Roll und Lärm, mit Groove, grandiosen Einfällen an den Instrumenten und einer unerwarteten Catchyness, die sich bisweilen aus dem Gebrüll herauswindet.

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