Von Matthias Bosenick (11.12.2023)
Was sind Sepultura eigentlich so ganz ohne die Cavalera-Brüder? Ach so, muss die brasilianische Thrash-Metal-Band seit 1996 und 2006 sowieso auskommen. Ein gewitzter Anlass für Max und Igor, nach einem Gig ein Schild hochzuhalten, auf dem sie die Nichtexistenz Sepulturas ohne sie festlegen – Anlass war die Ankündigung von Sepultura, sich 2024 zum 40. Geburtstag aufzulösen. Zwar sind mit Andreas Kisser und Paulo Jr. zwei altgediente Musiker noch dabei, aber strenggenommen keine Gründungsmitglieder. Und was machen die Cavaleras derweil? Bringen mit „Unhealthy Mechanisms“ das zweite Album ihres neuen Projektes mit dem treffenden Namen Go Ahead And Die heraus. Drauf ist, wofür man Sepultura kennt: Riffs und Grooves, schwer bis schnell, in die Fresse gespielter Thrash Metal. Trotzdem darf man Sepultura vermissen, auch mit Derrick Green waren sie noch geil. Sind, noch gibt’s sie ja.
Archiv der Kategorie: Album
Vince Clarke – Songs Of Silence – Mute 2023
Von Matthias Bosenick (10.12.2023)
Na klar, Depeche Mode, Yazoo, Erasure, das kennt man, VCMG sicherlich auch noch, The Clarke & Ware Experiment oder The Assembly schon nicht mehr so genau, die ganzen anderen Projekte auch nicht: Der als Vincent John Martin geborene Synthiepopheld Vince Clarke aus Basildon ist seit den Siebzigern musikalisch unterwegs und veröffentlicht erst 2023 ein als Soloalbum deklariertes Werk. Den Titel „Songs Of Silence“ nimmt er nur halb genau, weil auf diesem die Stille durchaus bedienenden Album keine Songs enthalten sind. Sondern Ambient-Experimente mit geringsten bpm-Werten und mehr Soundscapes als Melodien. Das kann er, und selbst, wenn man dies mit seinem Achtziger-Synthiepop nicht in Einklang bringen kann, finden sich sehr wohl Analogien in seiner Discographie. „Songs Of Silence“ passt perfekt in den tiefsten Winter.
Sâver – From Ember And Rust – Pelagic Records 2023
Von Matthias Bosenick (06.12.2023)
Härte ohne Tempo, Schönheim im Lärm: Die Herausforderung, das schwierige Album nach der großen Aufmerksamkeit zu erstellen, meistert das Sludge-Doom-Trio Sâver aus Oslo damit, dass es sein zweites Album „From Ember And Rust“ einfach mal extrem geil sein lässt. Erwartungshaltung, Erfolgsdruck, scheiß was drauf, die drei machen einfach, worauf sie Bock haben, und das ist ohnehin die allerbeste Kreativitäts-Erfolgsformel. Dem kommt wohl zugute, dass alle drei Musiker bereits auf langjährige Erfahrung zurückblicken können – sie bündeln ihre Kompetenzen in Sâver und beglücken eine wachswende Gefolgschaft, die sich nach „From Ember And Rust“ noch vergrößern dürfte. Denn Sâver erweitern das Spektrum: Den neu für sich entdeckten Moog von der „Emerald“-Split-EP mit Psychonaut haben sie auf diesem Album auch untergebracht.
Ni – Fol Naïs – Dur & Doux 2023
Von Matthias Bosenick (04.12.2023)
Wer braucht schon Stimmen, wenn die Instrumente stimmen? Bei Ni – Eigenschreibweise ni und nicht etwa Ekke Ekke Ekke Ekke Ptang Zoo Boing – handelt es sich um ein Quartett aus Bourg-en-Bresse irgendwo in den Alpen zwischen Lyon und Genf. Für ihr drittes Album mit dem altfranzösischen Titel „Fol Naïs“ – „verrückt geboren“ wie der Narr am Königshof, und außerdem „voll nice“ – warfen die vier Musiker einen direkten Blick auf Metal und Tempo und reicherten ihren ohnehin schon hochkomplexen jazzigen Mathcore damit an. Für einen Gesang wäre da wahrlich kein Platz, jedenfalls nicht, wenn man nicht Frank Zappa ist. Der hinterließ hier ebenso sehr seine Spuren wie Fantômas, Meshuggah, Aphex Twin, Mr. Bungle und System Of A Down. „Fol Naïs“ ist Kunst, zu der man gleichzeitig headbangen und staunen kann.
MT Gemini – Conquering Ruler – Antibody Label 2023
Von Matthias Bosenick (01.12.2023)
Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass der Brüsseler Yannick Franck sein Alias MT Gemini dafür ins Leben rief, um seine Einflüsse Jamaikanischer Musik zu verarbeiten, also Dub, Reggae, Rocksteady, Ska, denn was er auf seinem neuen Mini-Album „Conquering Ruler“ präsentiert, würde man eher im Industrial, Dark Ambient und Experimental-Noise verorten. Doch wer genau hinhört, entdeckt in diesen abgrundtief dunklen Horror-Soundscapes vereinzelte Offbeat-Samples. Heißt also, dass Franck die altvertrauten karibischen Rhythmen als Vorlage nimmt, um sie weiterzuentwickeln, und zwar deutlich weiter, als es der Gute-Laune-Anschein der Originale vermuten lässt: „Conquering Ruler“ ist eine akustische Herausforderung, die das Hören zwar zum Genuss, aber nicht zum Wohlfühlmoment macht.
Schneider Collaborations – Sechs, sieben Veröffentlichungen – Schneider 2023
Von Matthias Bosenick (30.11.2023)
Lediglich sechs Platten bringt der hyperaktive Zauberschlagzeuger Jörg A. Schneider im Oktember heraus, doch während dies eine Niederschrift erfährt, verschickt er schon die siebte. Seine Improvisations-Kollaborateure sind dieses Mal Gitarrist Thomas Kranefeld, Gitarrist N, Gitarrist Mikel Vega, Gitarrist Barley Rantilla, zum zweiten Mal Gitarrist Michel Kristof sowie unter dem Alias The Nude Spur abermals Thomas Kranefeld. In Zustellung befindet sich zudem das zweite Album mit dem verräterischen Titel „Dos“ des Projektes Glimmen. Falscher Name eigentlich: Der Mann glimmt nicht, er brennt – wie die Feuer auf den Plattencovern.
Bruno Karnel – Hic sunt dracones – Bitume Prods 2023
Von Matthias Bosenick (28.11.2023)
Musikalisch eine Hydra, gesanglich jedoch eher ein Grisù: Auf seinem neuen Album „Hic sunt dracones“ erkundet Bruno Karnel die von ihm bislang unerforschten Randgebiete der progressiven Rockmusik, die für eingegroovte Hörer progressiver Musik indes weit weniger unerforscht sind. Mit versierten Gastmusikern setzt Karnel, Musiker aus Meaux zwischen Paris und Reims, seine Visionen um, die er abermals auf Landkarten zwischen ewigem Eis in Skandinavien, der peruanischen Atacama-Wüste und dem historischen Mexico ansiedelt. Seine Musik ist zumeist von einer dominanten Leadgitarre getrieben, lässt auch Streichern und Orgeln Raum und transportiert den Grundlagen entsprechend wechselnde Stimmungen. Den Gesang indes hätte Karnel getrost ebenfalls anderen Leuten überlassen und sich ganz aufs Musizieren verlegen sollen: Seine Stimme ist nicht ganz treffsicher und versetzt dem Hörgenuss einen Stoß zwischen die Schulterblätter. Hic est Sifridus.
Guided By Voices – Nowhere To Go But Up – Guided By Voices Inc. 2023

Von Guido Dörheide (26.11.2023)
Mit der brandneuen Kritik zum brandneuen Album „Nowhere To Go But Up“ verfasst der Verfasser dieser Zeilen bereits den dritten Artikel in diesem Jahr, der sich mit einem neuen Album von Guided By Voices beschäftigt (dem insgesamt 39. seit 1987, also GbV-Album, nicht Krautnick-Artikel). Aber ist es wirklich eine Kritik, wenn jemand über eine Band schreibt, von der er noch nie etwas wirklich schlecht fand? Gehen wir bei und finden wir es heraus, vielleicht entpuppt sich das neue Werk ja auch als der größte Scheiß, den Robert Pollard aus Dayton/Ohio in seiner bereits endlosen und nicht enden wollenden Karriere abgeliefert hat. Bei meiner Internetrecherche nach Rezensionen habe ich sogar auf Anhieb eine gefunden, bei der das Album als ziemliche Enttäuschung – vor allem im Vergleich mit dem Vorgänger „Welshpool Frillies“ aus dem Juli dieses Jahres – eingeordnet wurde. O haue ha.
WeiterlesenSoldout – Pull Down – Music-Records 2023

Von Matthias Bosenick (24.11.2023)
Mit „Si vous pensez que vous êtes trop vieux pour faire du Rock … alors vous l’êtes!“ zitieren Souldout, Eigenschreibweise SoldouT, aus Petite-Rosselle in Frankreich den Herrn Lemmy Kilmister, und deshalb rasieren sich die drei bis vier Männer kurzerhand Iros, kleiden sich in Denim und Leder und werfen mit „Pull Down“ ein Heavy-Rock-Debütalbum in den Ring, das das Ohrenmerk eher auf Spielfreude lenkt als auf Innovation, und genau deshalb ist das auch völlig in Ordnung so. Man hört die Einflüsse heraus, etwas unmetallisch gespielte frühe Metallica, etwas dreckigen Rock’n’Roll von Motörhead, den Riffrock von AC/DC, den Bluesrock von Rose Tattoo. „Pull Down“ groovt und rockt, kann man sich live in der Hardrock-Kaschemme um die Ecke bestens vorstellen.
WeiterlesenSimple Minds – New Gold Dream: Live From Paisley Abbey – BMG 2023
Von Matthias Bosenick (23.11.2023)
Welche Aussage ist besser: „Live klingt es exakt wie auf dem Album“ oder „Live ist es komplett anders als das Album“? Das hängt von der Vorlage ab: Wenn Yo La Tengo oder Sonic Youth ihre komplizierten Lärmsounds live werkgenau und verlustfrei reproduziert bekommen, kann man nur staunen. Wenn dies bei The Faint geschieht, glaubt man an Vollplayback. Und der Nutzen, einen Liveauftritt als Konserve zu Hause zu haben? Ist eigentlich nur gegeben, wenn es einen künstlerischen Mehrwehrt zu belauschen gibt. Die Simple Minds reproduzieren „New Gold Dream (81-82-83-84)“, ihren Scheitelpunkt zwischen elektronisch-monotonem Untergrund-Punk und Stadion-Rock, 40 Jahre später in veränderter Besetzung – nur Sänger Jim Kerr und Gitarrist Charles „Charlie“ Burchill sind auf beiden Alben zu hören – und veröffentlichen den Mitschnitt aus der Paisley-Abbey-Kapelle als Tonträger. Der ist acht Sekunden kürzer als das Original, weicht in Details von der Vorlage ab und klingt natürlich abgeklärter als die jugendliche Vorlage.