Von Matthias Bosenick (30.03.2023)
Dieses Mal geht das Duo Nac/Hut Report aus Kraków etwas anders an seine zerhackte Entspannungsmusik heran: Kurzwellen-Radiosignale aus aller Welt bilden die Grundlage für das, was auf „Absent“ wie geschredderter Dreampop der Marke Cocteau Twins klingt. Als hätte man Elizabeth Fraser zu dicht am Gartenabfallhäcksler geparkt. Immer wieder erstaunt, wie eine dergestalt zerstörte Musik so wunderschön sein kann. Vermutlich, weil sie mit einem solch ätherischen Gesang versetzt ist, der die Samples und Electroeffekte bündelt, sich aber nicht davon ausnehmen kann, selbst bisweilen elektronisch abgewürgt zu werden. Wunderschön, wie immer!
Archiv der Kategorie: Album
dEUS – How To Replace It – PIAS 2023
Von Matthias Bosenick (23.03.2023)
Zuerst zwei Alben in zwei Jahren herauswerfen, weil man ja so viel Material hat, und dann direkt danach elf Jahre Pause machen: dEUS haben Humor. Dabei kündigte Violinist Klaas Janzoons dem Rezensenten 2014 in seiner Bar Plaza Real in Antwerpen noch an, dass es ein neues Album bereits 2015 oder 2016 geben sollte. Unklar, ob er damals schon von „How To Replace It“ sprach, aber jetzt ist es da und setzt den Kurs fort, weg vom Kunstlärm der frühen Neunziger hin zum daraufhin entwickelten Kunstpoprock mit gelegentlichem Sägen. Die Band hat ein Händchen für schöne Melodien und Harmonien und auch dafür, ihre selbst erdachte musikalische Schönheit mit aggressiven Untertönen zu versetzen. Man muss das Album laut hören, um die Feinheiten zu erfassen, ansonsten könnte womöglich der Eindruck entstehen, es sei weich und langweilig, AOR oder Yachtrock für herausgewachsene Indiekids. Ist es aber nicht, jedenfalls nicht ausschließlich. Etwas Enttäuschung ist dennoch zulässig.
The Black Cat’s Eye – The Empty Space Between A Seamount And Shock-Headed Julia – Tonzonen Records 2023
Von Matthias Bosenick (22.03.2023)
Der betäubte Diamant! Das bislang ausschließlich live in Erscheinung getretene Quintett The Black Cat’s Eye debütiert mit einem Studioalbum, dessen Name sperriger ist als seine Musik: „The Empty Space Between A Seamount And Shock-Headed Julia“ will psychedelische Rockmusik sein, bedient sich aber vornehmlich bei den mild proggenden Pink Floyd rund um „Comfortably Numb“ und „Shine On You Crazy Diamond“. Das machen sie ausgezeichnet, die Jungs aus Frankfurt am Main, sie fügen die Zutaten einer progressiven Rockmusik handwerklich passabel zusammen, nur: Sie fügen dem fast nichts hinzu, das man dort nicht ohnehin erwartet. Psychedelisch ist es zwar auch nicht so richtig, aber trotzdem angenehm für die Ohren.
Pascow – Sieben – Kidnap Music/Rookie Records 2023
Von Guido Dörheide (19.03.2023)
Ja Pascow, neues Album! Leckt mich am Arsch mit all dem anderen Mist. Hier erstmal vielen vielen lieben Dankeschön an Christian aus Hannover, dass er mich vor einigen Jahren mit „Geschichten, die einer schrieb“ zum Fan gemacht hat. Pascow mit P aus Gimbweiler mit G sind in den knapp 25 Jahren ihres bisherigen Bestehens zu einer, wenn nicht zu DER deutschen Punkrock-Institution herangewachsen, von daher verkneife ich mir gleich zu Anfang jedwede Sonderzug-Kalauer. Der Name Pascow klingt zwar wie eine Ortschaft im Brandenburgischen, wie Buckow oder Bratzow (Heimat des gebenden Blicks), benannt hat sich das Quartett aus Alex Pascow (Gitarre, Gesang), Swen Pascow (Gitarre), Flo Pascow (Bass) und Ollo Pascow (Drums) aber nach Victor Pascow, dem griechischen Einmannchor aus „Friedhof der Kuscheltiere“ von Stephen King, dem Mann mit dem Herzen eines kleinen Jungen, das in einem Glas auf seinem Schreibtisch steht. Pascow haben wir wunderbare Albumtitel wie „Richard Nixon Discopistole“, „Letzter Halt gefliester Boden“ oder „Diene der Party“ zu verdanken, weshalb sich „Sieben“ im Vergleich ein wenig langweilig ausnimmt, aber dafür angenehm selbsterklärend ist.
WeiterlesenDavid Rothenberg, Bernhard Wöstheinrich, Ali Sayah – Homayoun – Iapetus Media 2023
Von Matthias Bosenick (16.03.2023)
Dieses offenbar spontan im Studio zusammengefügte namenlose Trio aus David Rothenberg, Bernhard Wöstheinrich und Ali Sayah macht keine Kompromisse. Drei multidisziplinäre Menschen verbringen mit ihren Instrumenten und einiger moderner Technik Zeit in Berlin, starten ihre Session noch mit Rhythmen, lassen die alsbald fahren und verlieren sich in – nun: vermutlich sich selbst, bevor sie doch wieder in einem gemeinsamen Tritt geraten. Grob sortiert sich dieses Album wohl selbst automatisch unter Jazz ein, auch wenn mit den elektronischen Anteilen etwas Industrial, Techno und Ambient Einzug finden. Mit den Klarinetten, die vorrangig zu hören sind, birgt „Homayoun“ einen grundsätzlich warmen Sound, das scheinbar Willkürliche und die hintergründige Leere machen den Zugang indes nicht allzu leicht.
Yo La Tengo – This Stupid World – Matador 2023
Von Matthias Bosenick (14.03.2023)
Zuverlässig wie ein Nähwerk tackert das Schlagzeug, und ebenso zuverlässig bringen Yo La Tengo aus Hoboken, New Jersey fortwährend neue Alben heraus, die nicht nur qualitativ nie unter Höchstniveau liegen, sondern dazu auch noch experimentell, emotional, noisy, stoisch, variantenreich, zart, durchgeknallt und wunderschön sind. „This Stupid World“ reiht sich da ein, je nach Zählung Studioalbum Nummer 17 bis 564.194 in fast 40 Jahren. Der Indierock des Trios ist seit jeher durchsetzt von Herumprobieren, Lärm und tiefster Schönheit, diese Art zu Mausen lässt die Katze nimmermehr. Das Doppel-Vinyl ist dreiseitig kreditiert, aber vierseitig bespielt und transparent blau, also ebenso experimentell und schön wie die Musik darauf.
slowthai – UGLY – Method Records 2023
Von Guido Dörheide (12.03.2023)
Haaach – was ist das für 1 Jahr! Gerade mal knapp mehr als zwei Monate dran am seien, und schon neues Material von zwei meiner liebsten dedicated followers of the UK: Eine Woche vor „UK GRIM“ von Sleaford Mods veröffentlicht slowthai als weiterer Chronist des decline of the British Empires sein drittes Album und lässt wiederum kein gutes Haar an den rauchenden Trümmern desselben.
YNWA – You‘ll never walk alone. Das kennen wir. Und nun lernen wir: UGLY – You gotta love yourself. So heißt slowthais neues Album nämlich ausgeschrieben. Tyron Kaymone Frampton, wie slowthai mit bürgerlichem Namen heißt, begeisterte mich im Jahr 2019 mit „Nothing Great About Britain“ zutiefst, schoss sich dann Anfang 2020 mit einem missglückten und glücklicherweise schnell verziehenen Auftritt bei den NME Awards zunächst ab, um dann ein Jahr später mit „Tyron“ ein Brett von einem Doppelalbum herauszubringen, das mehr als neugierig auf sämtlichen weiteren Output machte.
WeiterlesenSleaford Mods – UK Grim – Rough Trade 2023
Von Guido Dörheide (12.03.2023)
Haaach – was ist das für 1 Jahr! Gerade mal knapp mehr als zwei Monate dran am seien, und schon neues Material von zwei meiner liebsten dedicated followers of the UK: Erst slowthai und dann Sleaford Mods veröffentlichen innerhalb einer Woche ihre neuen Alben und lassen wiederum kein gutes Haar an den rauchenden Trümmern des British Empire.
Sleaford Mods, das sind Jason Williamson und Andrew Fearn aus Nottingham, East Midlands, UK. Und so hören sie sich auch an: Williamson kotzt sich im wunderschön anzuhörenden Dialekt seiner Heimat über die Missstände in seiner Heimat aus und spart dabei wie immer nicht an Kraftausdrücken. Unter diese herrlichen Tiraden mischt Fearn wie gewohnt elektronische Beats, die sich immer ein wenig anhören wie auf einer leicht defekten alten Snaredrum eingespielt, sowie zahlreiche elektronische Effekte, Keyboardsounds und vieles mehr. So oder so ähnlich bereichern Sleaford Mods schon seit ihrem Debütalbum im Jahr 2007 das Leben all derer, denen das Vereinigte Königreich und eine nennenswerte Zahl an dessen Einwohnern (zuvorderst sei hier ein wunderbares und mehr als liebenswürdiges schottisches Ehepaar genannt, das mir persönlich bekannt ist) sehr am Herzen liegt und die dessen Niedergang kaum mit ansehen können.
WeiterlesenWas meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Die Band mit dem Video, wo die Frau die Straße runtergeht.
Von Onkel Rosebud
In dieser Folge wollen wir Abschied nehmen von der Großartigkeit des Klangkörpers Massive Attack. Die sind natürlich kein Phil Collins, den man immer gnadenlos damit konfrontieren muss, sich endlich um seinen Garten zu kümmern, statt zu singen und Musik herzustellen. Ich muss jedoch vorausschicken: Ich war richtiger Fan von Massive Attack. Ich besitze alle Singles. Elf Stück! Und alle Platten natürlich auch. Das kann ich sonst nur noch von einer Überband vorweisen, deren Namen jetzt hier nicht hingehört.
WeiterlesenDobbeltgjenger – The Twins – Apollon Records 2023
Von Matthias Bosenick (07.03.2023)
Fetzige Melancholie und melodische Tanzbarkeit als catchy Rockmusik, so kommen Dobbeltgjenger aus Bergen auf ihrem vierten Album „The Twins“ daher. Darauf mischt das Quartett Anlehnungen an guten Achtziger-Pop, den Dance Rock (offizielle Wikipedia-Klassifizierung) von !!!, den Funk von INXS und den Synthierock (ebenfalls Wikipedia) des Debüts der Dänischen Nachbarn Spleen United zu einer gutgelaunten Depressions-Verarbeitungs-Platte. „The Twins“ ist ungemein ohrwurmlastig und mitreißend, die Norweger kombinieren Rockinstrumente und Electroeffekte auf eine organische Weise zu einer Radiomusik, wie man sie sich 2023 viel viel lieber wünschte als die, die man stattdessen zu hören bekommt.