Von Matthias Bosenick (17.12.2020)
Für den Rezensenten ist es ein schwieriges Terrain: Lyrik, Gedichte, Poesie, da fehlt ihm im allgemein und grundsätzlich der Zugang. Nun bildet dies jedoch den Schwerpunkt im Schaffen des Dresdener Autoren und Verlegers René Seim. Eine Betrachtung seines Oeuvres aus der Position des Unbeleckten kann daher nur viel zu weit am Wesen der Dinge vorbeigehen. Versucht sei eine Annäherung an drei Bücher des Multitalents, der nicht nur als Autor und Verleger (Windlustverlag), sondern auch als DJ Cramér („Wildblumenblues“, „Wildes Parfum“), Fotograf und Labelbetreiber (Head Perfume Records) tätig ist: „Bunte Hunde, wilde Vögel“, „Spielereien einer vielschrötigen Flöte“ und „Fliegende Fenster“, allesamt erschienen im eigenen Windlustverlag.
Archiv der Kategorie: Buch
Dan Yell – Hirnfick, Scheusal & ich – Dan Yell 2020
Von Matthias Bosenick (18.11.2020)
Nach der Lektüre dieses Büchleins hätte der Rezensent dem Autoren davon abgeraten, es zu veröffentlichen. In „Hirnfick, Scheusal & ich“ macht Dan Yell seine Sicht auf eine toxische Beziehung zu einem anderen Punkmusiker öffentlich und legt sein Inneres offen. Für ihn ist es Verarbeitung, für den Genannten womöglich Provokation sowie für den Leser eine Art Brief mit der Nacherzählung der Geschichte und einer von sehr vielen Varianten, mit so etwas umzugehen – jedoch nicht in aller Augen die beste. Als psychologisches Lehrstück für die subjektive Auseinandersetzung mit Mobbing ist es passabel, als Hilfestellung nur bedingt. Dem Büchlein liegt wahlweise eine CD oder ein Tape mit der Punk- und Wave-Musik bei, die im Text Erwähnung findet.
Ben Aaronovitch – Ein weißer Schwan in Tabernacle Street (False Value) – DTV 2020
Von Matthias Bosenick (09.11.2020)
Hat er gut gemacht! In den vergangenen fast zehn Jahren schien es, als habe Ben Aaronovitch zuletzt das Ziel verfolgt, so viel wie möglich aus seiner zum Kult erhobenen „Die Flüsse von London“-Serie um den Zauberpolizisten Peter Grant herauszuquetschen, koste es, was es wolle, und seien es Qualität oder Verständlichkeit. Im achten Band der Reihe hat er sich offenbar wieder gefangen: Die Story ist nachvollziehbar, die Nebenhandlungen fügen sich in die Hauptgeschichte ein und lenken nicht von ihr ab, die Vorbereitung auf die Lösung schließt etwas Neues mit ein und die ausreichend diffuse Lösung ist dann doch nicht vorhersagbar. Inklusive Humor und Ermittlungsarbeit ist alles drin, was man sich wünscht. Nur der Preis ist frech, aber dafür kann Aaronovitch wohl weniger.
Matthias Hufnagl – Interim. Gineitel Lichtorgeln – Windlust-Verlag 2020
Von Matthias Bosenick (15.10.2020)
O Lyrik, du ungnädige Literaturgattung! Wer nicht sowieso einen Zugang zu dir hat, tut sich auch mit dem Gedichtband „Interim. Gineitel Lichtorgeln“ von Matthias Hufnagl schwer. Zunächst zumindest: Man muss sich reinknien, muss es wirken lassen, sich den Bildern hingeben, den sprachlichen wie den tatsächlichen, die der Berliner DJ, Dichter und Hobbyfotograf mit Wurzeln in Dresden seinen minimalistischen Betrachtungen zur Seite stellt. Dann bekommt man einen Eindruck von Nachtleben, Fernweh, Wehmut und dem Gefühl dafür, wie schwer ein Leben ist, indem man seine Position noch nicht gefunden hat. Und davon, wie die Texte im Livevortrag wohl wirken mögen.
Sibylle Schreiber – Vom Lachen über den Tod – Ehrlich-Verlag 2019
Von Matthias Bosenick (08.07.2020)
„Der Tod ist leider niemals lustig“, befand Terence Hill alias „Nobody“, und so begegnet die Gesellschaft diesem dem Leben immanenten Phänomen zumeist, indem sie es bestenfalls ausblendet. Gegensätzliche Erfahrungen wiederum machte die Wolfsburger Autorin Sibylle Schreiber, als sie als Lesende einige Zeit im Hospiz verbrachte: Ohne den Tod zu veralbern, begegnet man ihm dort zuweilen überraschend gutgelaunt. Behutsam und warmherzig berichtet Schreiber von Erlebnissen, die Belegschaft und Bewohner mit rührenden, fröhlichen, unerwarteten, schlagfertigen Reaktionen auf das nahende Sterben machten.
Frank Schäfer – Die Neuerfindung des Rock’n’Roll – Verlag Andreas Reiffer 2020
Von Matthias Bosenick (17.06.2020)
Seine persönlichen Betrachtungen zur elektrisch verstärkten Gitarrenmusik bündelt Frank Schäfer in diesem Bändchen der neu ins Leben gerufenen Edition Kopfkiosk des Verlags Andreas Reiffer. Eben dieses Persönliche macht die Lektüre so reizvoll, denn nicht nur seine gefühlten Tatsachen, sondern auch seine historischen Nacherzählungen offenbaren seine subjektive Gewichtung, etwa in den Auslassungen. Man kennt ja seinen Pappenheimer, und man feiert diese eigens aufgehübschten Essays für ihren vertrauten Zungenschlag. Man liest ihn einfach gern, den Schäfer, und hat dabei stets seine charakteristische Vorlesestimme im Ohr.
Jörg Hiecke/René Seim (Hg) – Ich liebe Musik Vol. 2 – Windlustverlag 2020
Von Matthias
Bosenick (30.03.2020)
Ein überwältigend bewegendes Buch.
Die Vorgabe von Ideen- und Herausgeber Jörg Hiecke war, etwas zum
Titelthema „Ich liebe Musik“ zu verfassen und dabei ein
spezielles Lied hervorzuheben. 69 Beiträge sammelte er mit Verleger
René Seim, die sie nun in diesem Kompendium bündeln. Da die beiden
Dresdener sind und sich die Vielzahl der Beitragenden aus dem näheren
Umfeld fanden, bekommt man berührende Geschichten über Musikfansein
in der DDR, zur Wendezeit, nach dem Mauerfall – und sowieso von
ganz vielen Momenten erzählt, in denen Musik eine wegweisende
Wirkung auf die Verfasser hatte. Wehmut ist ein beherrschendes
Gefühl, und Liebe, auch ungenannt, sowieso. Eine grandiose Idee, 21
Jahre nach dem ersten Mal immer noch, mit einem grandiosen Ergebnis.
Hardy Crueger – Schlachthaus – Hardy Crueger 2020
Von Matthias
Bosenick (27.02.2020)
Wenn schon ein sympathischer Mensch
auf solch menschenverachtende Ideen kommen kann, mag man sie sich gar
nicht in den Köpfen solcher Leute vorstellen, wie Hardy Crueger sie
in seinem neuen Thriller „Schlachthaus“ beschreibt. Um die
größenwahnsinnige Motivation von Serienmördern geht es, und
Crueger beweist sich als Fachmann sowohl in Täter- als auch in
Opferpsychologie. Das Buch ist spannend und abstoßend zugleich, man
mag es nicht lesen, aber auch nicht aus der Hand legen. Ein
schmerzhafter Parforceritt für die empfindsame und empathische
Seele.
Machyyre – Wunschbrunnen – Wolfsrudel/Puppengott 2020
Von Matthias
Bosenick (25.02.2020)
Was’n Paket! Jonas Kolb aus
Schöningen bringt sein neues Album „Wunschbrunnen“ unter dem dem
schwer aussprechbaren Alias Machyyre nicht einfach als CD heraus,
sondern in ein dickes Buch mit Stickern, Extra-Booklet (seinem
„Puppetier“-Comic), Mini-Buch und sonstigen Goodies eingebettet.
Musikalisch lässt er sich noch am ehesten in der Neuen Deutschen
Todeskunst verorten, und wenn man das weiß und sich dann aber vom
ersten Track gleich in bester Black-Metal-Manier anbrüllen lässt,
ist man umgehend geplättet. Dunkle Poesie mit minimalistischer Musik
und vielen Überraschungen, nicht nur optischen. Verstörend gut.
The Russian Doctors – Das große Pratajev-Liederbuch II – Verlag Andreas Reiffer 2019
Von Matthias
Bosenick (23.12.2019)
Sergeij Waschowitsch Pratajev war
ein Zeitgenosse von Arnold Hau (mit mehr Gewicht auf „Genosse“
als auf „Zeit“), von ähnlicher Universalgelehrtheit, aber erst
ein halbes Jahrhundert später von Holger Oley und Frank Bröker
entdeckt. Dem trinkfesten Russen widmete das Entdeckerduo so manche
Veröffentlichung, und die jüngste bündelt die von Pratajev
inspirierten Texte zu den Alben, die es unter dem Namen The Russian
Doctors zwischen 2013 und 2020 herausgebracht haben wird, versehen
mit erläuternden Fußnoten. Eine handliche Reiselektüre, auch zur
Wandergitarre.