C.K. McDonnell – The Stranger Times – Eichborn/Bastei Lübbe 2023

Von Guido Dörheide (24.01.2024)

Neulich gegen Ende der Woche hatte ich nichts mehr zu lesen. Also bin ich am Sonnabend um 13:40 Uhr mit dem Fahrzeug gen Innenstadt aufgebrochen, Benno Goeritz hat ja schließlich noch bis 14:00 Uhr auf. Kurz vorher stürmte ich den Laden und schilderte dem Eigentümer meine Notlage. Ich bedürfe dringendst eines Krimis. „Eher blutig, oder eher nicht?“ „Eher nicht, mehr so mystisch, Hauptsache spannend, aber blutig bitte nicht!“ „Dann scheidet Hardy Crueger also schon mal aus!“ Tut er vor allem deswegen, weil ich alles Relevante von ihm bereits gelesen habe. Ich schnappte aber dabei eine wichtige Information auf:

Am 15. Februar 2024 findet die alljährliche „Einfach G.E.L.“-Lesung von Hardy Crueger in der Buchhandlung Benno Goeritz statt. Kommet zuhauf!

Alsdann lobpreiste Herr Hallensleben den 2023 als Taschenbuch auf Deutsch erschienenen Roman „The Stranger Times“ von C.K. McDonnell. Es ginge um eine Frau, die auf der Suche nach Arbeit bei einer merkwürdigen Wochenzeitung landet, und dort gäbe es einen Chefredakteur, der einen abgrundtief bösen Satz nach dem anderen raushaue, dass es eine wahre Freude sei, das zu lesen. Die Begeisterung des Buchhändlers ergriff unmittelbar von mir Besitz, ich nahm das Buch mit und konnte es fürderhin nicht mehr aus der Hand legen. C.K. McDonnell (bürgerlich Caimh McDonnell aus Limerick, Irland) schreibt witzig, fesselnd und mit einem richtig schön bösen Witz.

Das wäre aber alles schon von Anfang an völlig zweitrangig gewesen, wenn ich als erstes den Klappentext gelesen hätte: Es gibt bereits drei Romane aus der „Stranger Times“-Serie, deren zweiter und dritter aber bisher nur als Hardcover und noch nicht als Taschenbuch vorliegen, wie mich Herr Hallensleben auch vollkommen korrekt informiert hatte. Aber, und dann musste ich mich festhalten: Teil 2 trägt den Titel „This Charming Man“ und Teil 3 „Love Will Tear Us Apart“. Hätte ich das gleich zu Anfang gewusst, hätte der Buchhändler mir nichts mehr beschreiben müssen, ich hätte das Buch sofort unbesehen und nicht probegefahren gekauft. Dazu muss ich kurz loswerden: Obwohl der Autor Ire ist, spielen die Romane in Manchester. Und bei „This Charming Man“ handelt es sich um die zweite Single der Band „The Smiths“. Und „Love Will Tear Us Apart“ wird vielen von Ihnen als einer der bekanntesten Songs der Band Joy Division bekannt sein. Beide Bands stammen aus Manchester. Und beide Bands werden von mir seit meinem 13. oder 14. Lebensjahr über alle Maßen verehrt, mittlerweile bin ich uralt und daran hat sich nichts geändert. Beide Bands stammen aus – Sie ahnen es bereits – Manchester.

Mit diesen Vorwissen bestückt, machte ich mich also ans Werk und begann „The Stranger Times“ zu lesen. Hannah Willis, frisch geschieden von ihrem unglaublich vermögenden, aber ebenso mehr unglaublich untreuen Mann, sucht einen Job und landet dadurch bei der „Stranger Times“, einer wöchentlich erscheinenden Zeitung, die sich dem Übersinnlichen und Unbeschreiblichen verschrieben hat. Alle paar Kapitel wird im Roman ein Artikel aus der „Stranger Times“ präsentiert und den Lesenden wird schnell klar, dass die Zeitung ganz bestimmt nur Mumpitz publiziert.

Alsdann machen die Lesenden Bekanntschaft mit Vincent Banecroft, Alkoholiker, praktizierender Misanthrop, komplett verwahrlost, aggressiv, schlagfertig, blitzgescheit, wortgewandt, menschenverachtend und Chefredakteur der „Stranger Times“. Der „Stranger Times“ aus Manchester. Manchester, Heimat zahlreicher mit Kultstatus behafteter Bands wie z.B. den Smiths, Joy Division, Take That und – The Fall. Der unglaublichen Band – meiner Lieblingsband – um den unglaublichen Sänger Mark E. Smith. Banecroft wird zunächst von seinem Äußeren her beschrieben und ich denke – er sieht aus wie Mark E. Smith. Dann wird er dem Wesen nach beschrieben – an nichts und niemandem lässt er ein gutes Wort, seine Äußerungen gleichen eher nuklearen Waffen, Napalm und der guten alten Pfefferpistole denn normalen menschlichen Diskussionsbeiträgen, und ich muss an alle Beschreibungen denken, die ich jemals über den von mir als Musiker über alle Maßen verehrten und als Mensch ebenso gefürchteten Mark E. Smith gehört oder gelesen habe. Kein Zweifel, in Vincent Banecroft lebt der größte Künstler, den Manchester jemals hervorgebracht hat, fort, und allein das rechtfertigt das Weiterlesen von „The Stranger Times.“

Die Schilderung von Banecrofts Persönlichkeit ist aber nicht der einzige Grund, „The Stranger Times“ zu verschlingen wie der Teufel das Weihwasser: Auch die Story hat es in sich wie nur was. Zunächst lernt Hannah ihre neuen Kolleg:innen kennen, allesamt eine Ansammlung skurriler Sonderlinge, die den Lesenden jedoch nicht zuletzt anhand der detaillierten Beschreibungen seitens des Autors schnell ans Herz wachsen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Art und Weise, wie sich die Protagonisten fortwährend mit Worten duellieren. So torpediert Banecroft – der mit seiner Büroleiterin Grace, einer nahezu fanatischen Christin, die Abmachung laufen hat, keine Schimpfwörter zu gebrauchen und den Namen des Herrn nicht zu verfluchen – seine Untergebenen (der Euphemismus „Mitarbeiter:innen“ wäre hier wirklich fehl am Platz) mit grandios formulierten Schimpftiraden (der Übersetzer André Mumot hat wirklich vortreffliche Arbeit geleistet), die diese mit einem Höchstmaß an Schlagfertigkeit kontern, so dass dem guten Banecroft oft nichts anderes übrig bleibt, als den Beschimpften Recht zu geben. Und auch das hört sich bei ihm immer sehr herabwürdigend, rüpelhaft und treffend bis ins letzte Detail ausformuliert an. Im Gegensatz zu Mark E. Smith, der gebürtig aus Salford bei Manchester stammt, ist Banecroft Ire, und an einer Stelle wird er sinngemäß als die Antwort der Iren auf alles, was die Briten ihnen jemals angetan haben, bezeichnet.

Nicht nur Dialoge beherrscht McDonnell meisterhaft, er baut auch eine Geschichte auf, die die Lesenden förmlich in sich hineinzieht, so dass sie es kaum schaffen, das Buch jemals aus der Hand zu legen. Die „Stranger Times“ befasst sich ausschließlich mit Übersinnlichem wie zum Beispiel der Geschichte eines Klempners, dem der Geist des verstorbenen David Bowie innewohnt, der unbedingt ein Album mit neuen Bowie-Songs aufnehmen möchte. Dem Klempner passt es aber überhaupt nicht, sich zu diesem Behufe in ein Tonstudio begeben zu müssen, da dann seine eigentliche Arbeit liegen bleibt und zahllose Keller unter Wasser stehen werden.

Durch abenteuerliche Verwicklungen wird die Redaktion der „Stranger Times“ dann in polizeiliche Ermittlungen hineingezogen, in deren Verlauf sich dann die Fokussierung der Zeitschrift auf Übersinnliches und Aberwitziges als unglaublich nützlich erweist. Mehr werde ich über den Inhalt nicht verraten, wenn Ihnen übersinnliche und phantastische Geschichten gefallen, wird es auch „The Stranger Times“ tun. Ähnlich wie Terry Pratchett gelingt es McDonnell, die Abgefahrenheit der ganzen Geschichte in das England der Gegenwart einzubinden, die Charaktere lebhaft und glaubwürdig darzustellen, so dass man es am Ende nicht mit einer phantastischen Räuberpistole, sondern mit einer dennoch realistisch anmutenden Handlung zu tun bekommt, die einen am Ende daran zweifeln lässt, dass die Welt so funktioniert, wie man es bislang immer geglaubt hat. Ich habe das Buch in wenigen Tagen durchgelesen und mir dann gleich Band 2 und 3 bestellt – jeweils als gebundenes Buch mit außen schwarz eingefärbten Seiten (Wertige Optik, wertige Haptik!). Und kann schon mal ein wenig spoilern: Band 2 beginnt genauso vielversprechend, wie Band 1 über die gesamte Lesezeit gewesen ist. Mein Dank gilt der Belegschaft der Buchhandlung Benno Goeritz für diese wunderbare Buchempfehlung.