Von Matthias Bosenick (24.07.2021)
Großartige Schauspieler, interessante Inszenierung, lückenhaftes Drehbuch – ein typischer Vinterberg also: „Der Rausch“ berauscht nur so lang, wie man nicht darüber nachdenkt. Nicht ganz so schlimm wie bei „Die Jagd“ verbirgt Regisseur Thomas Vinterberg wesentliche Handlungselemente dergestalt vor dem Zuschauer, dass der deren Abwesenheit nicht sofort bemerkt. Zudem bezieht der Däne zu dem Thema, das er sich als Platzhalter für die Darstellung vierer Midlifekrisen ausgesucht hat, keine konkrete Stellung: Für Besonnene ist der Film vielleicht eine Warnung, für Leichtfertige aber eher eine Ermunterung. Mit seinen Plotholes und der expliziten Ermunterung, seine Minderwertigkeitskomplexe mit Alkohol auszugleichen, ist „Der Rausch“ leider keine uneingeschränkte Empfehlung wert.
Archiv der Kategorie: Kino
Nomadland – Chloé Zhao – USA 2020
Von Matthias Bosenick (11.06.2021)
Endlich Kino! „Nomadland“ ist eine Art Doku-Spielfilm mit hübschen Bildern und allem voran Frances McDormand, der man nur zu gern dabei zusieht, wie sie die haus-, nicht obdachlose Fern spielt, die mit ihrem Van namens Vanguard durch die USA juckelt, um etwas Geld zu verdienen, Menschen zu begegnen und nach dem Tod ihres Mannes und dem Verlust ihres Wohnsitzes überhaupt eine neue Richtung in ihrem Leben zu finden. Ein Mike Leigh hätte dem Film vermutlich mehr Drama gegeben, darauf verzichtet die gebürtige Chinesin Chloé Zhao, nicht aber auf Emotionalität, und wählt dabei eine unamerikanische Darstellungsweise, vermeidet also Kitsch und Pathos. Ein schöner Einstand ins neue Kinojahr.
Tenet – Christopher Nolan – USA 2020
Von Matthias Bosenick (29.08.2020)
„12 Monkeys“ 2020: In diesem Zeitparadoxonfilm hat alles für den späteren Verlauf eine Bedeutung, und allein für das komplexe Drehbuch muss man „Tenet“ schon feiern. Auch wenn man nicht alles sofort erfasst, hinterlässt der Film doch den Eindruck, schlüssig zu sein, und das steigert den Genuss. Christopher Nolan mixt die Genres und wagt aberwitziges Neues in einem abgegriffenen Metier. Wer gut aufpasst, hat mehr davon, und wer dies nicht beherzigt, wird sich vermutlich langweilen. Für den aufmerksamen Zuschauer ist dies ein beachtliches Stück Hollywood.
Sorry We Missed You – Ken Loach – UK/B/F 2019
Von
Matthias Bosenick (05.02.2020)
Da hat sich der linke
Antikapitalist Ken Loach aber etwas vorgenommen: In seinem neuen Film
„Sorry We Missed You“ versucht er den Rundumschlag gegen alles,
was ihn an der Moderne im Prä-Brexit-England stört, von
Ausbeuterjobs über wachsende Gewaltbereitschaft, Pflegenotstand und
miese Zukunftsaussichten bis hin zum Gesundheitssystem. Eine zarte
Lösung bietet er zwar an, aber letztlich absolut keine Hoffnung. Der
vielzitierte kleine Mann hat in Loachs Augen keine Chance, in diesem
System zu bestehen, weder mit Zynismus noch mit schierer
Willenskraft. Schwere Kost, kein Kinovergnügen, aber genau deshalb
sehr wichtig.
Knives Out (Mord ist Familiensache) – Rian Johnson – USA 2019
Von Matthias
Bosenick (08.01.2020)
Hollywood versucht sich mit „Knives
Out“ an einer britischhumorigen Agatha-Christie-Kriminalgeschichte
mit Starbesetzung. Das Ergebnis ist trotz Überlänge turbulent und
kurzweilig, aber bei Weitem nicht so gelungen wie und auch viel
amerikanischer, als die Macher wohl glauben. Solide Unterhaltung zum
Mitermitteln mit diversen überraschenden Wendungen.
Die schönste Zeit unseres Lebens (La belle Époque) – Nicolas Bedos – F 2019
Von Matthias
Bosenick (06.12.2019)
Hinter diesem einfältigen deutschen
Titel verbirgt sich einer der brillantesten Filme des Jahres:
vielschichtig, komplex, schwarzhumorig, zynisch, romantisch,
herzenswarm, böse, einfallsreich, temporeich, lustig. Wer das
Drehbuch schrieb, verdient allen Respekt; allein das kurze
Nacherzählen ist schon schwierig. Liebesdrama mit inszenierter
Zeitreise, könnte man sagen, und wird diesem Knaller nicht gerecht.
Wichtig: Hitler kriegt aufs Maul! Franzosen können also auch
Komödien abseits des Mainstreams.
Giraffe – Anna Sofie Hartmann – DE/DK 2019
Von Matthias Bosenick (23.11.2019)
So viel gewollt und am Ende doch nichts erreicht: Regisseurin Anna Sofie
Hartmann will von ihrer Heimat erzählen, der dänischen Insel Lolland nämlich,
und was es dort mit den Menschen macht, dass der Tunnel nach Fehmarn nun endgültig
beschlossen ist. Sie lässt dabei zahlreiche Schicksale anklingen, führt aber
nichts zu einem emotional berührenden oder auch nur narrativ überzeugenden
Ausgang. Eine verschenkte Chance, die einem sogar leidtut, weil man die
grandiosen Ideen erkennt. Schade!
PJ Harvey: A Dog Called Money – Seamus Murphy – IRL/GB 2019
Von Matthias Bosenick (21.11.2019)
Wir sehen der
englischen Musikerin Polly Jean Harvey dabei zu, wie sie in den
Elends- und Krisengebieten dieser Welt (Afghanistan, Kosovo, USA)
Inspiration für ihr 2016er-Album „The Hope Six Demolition Project”
findet und diese vor Publikum in Musik umsetzt. Da die Dokumentation
ihres irischen Freundes Seamus Murphy ohne tiefergehende
Informationen auskommt, ist man darauf angewiesen, lediglich die
Bilder und die Töne wirken zu lassen. Für alles andere muss man
seinen Plattenschrank oder das Internet bemühen. Der Film ist
ansprechend fotografiert, die bluesbasierte Indie-Musik ist
unantastbar, lediglich die fehlenden Zusammenhänge sorgen für etwas
Stirnrunzeln. Der Film lief in Braunschweig im Rahmen der
Sound-On-Screen-Reihe des 33. Internationalen Filmfests.
Shaun das Schaf 2: UFO-Alarm (Farmageddon) – Will Becher & Richard Phelan – GB 2019
Von Matthias
Bosenick (17.10.2019)
Fast alles richtig gemacht! Die
Gagdichte ist immens, die Figuren sind grandios, die Geschichte ist
schlüssig, der vertraute Kosmos ist eingehalten, der Spaß richtet
sich an alle Altersstufen, die Anspielungen sind Legion, die
Schnappatmung ist garantiert. Da nimmt man die zu sehr kindgerechten
Anteile, den leichten Qualitätsabfall gegen Ende und den miesen
Soundtrack trotzdem dankbar in Kauf. Im zweiten Kinofilm trifft das
Knetgummischaf Shaun aus dem Umfeld von Wallace & Gromit auf ein
Alien und hilft ihm, zu seinem Planeten zurückzukehren. Ohne Worte!
Once Upon A Time … In Hollywood – Quentin Tarantino – USA 2019
Von Matthias
Bosenick (21.08.2019)
Da verwirklicht sich der
Meisterregisseur Quentin Tarantino einen Jugendtraum und dreht einen
mordscoolen Film über die Zeit, aus der die Filme stammen, die ihn
als Heranwachsenden beeinflussten. Gleichzeitig nutzt er diese
Hommage dazu, den Hippiealptraum schlechthin märchenhaft und blutig
umzudeuten. Wer nicht dieselbe Sozialisation wie Tarantino erfuhr und
die zwei wechselhaften Stunden bis zum Höhepunkt einigermaßen
durchgehalten hat, weiß dann, wofür sich der Film lohnt. Es ist
schwierig, „Once Upon A Time … In Hollywood“ als durchweg
gelungen zu empfinden, aber ausgesprochen einfach, die grandiosen
Aspekte zu feiern.