Von Matthias Bosenick (03.04.2025)
Der gute, alte Neunziger-Noiserock kann immer noch was, und er muss dabei gar nicht altbacken klingen. Zum vierten Mal bescheren uns Trigger Cut aus Stuttgart mit „A History Of Junk“ auf Albumlänge ein zeitgenössisches Update dieser Rock’n’Roll-Spielart, die sich an keine Regeln hält und gerade damit Raum lässt für unerwartete Spielereien, abseitige Strukturen und einen enormen Schwung an Energie. Und das nur zu dritt!
Archiv der Kategorie: Album
Sacred Son – Grief Commodity – Sacred Son 2025
Von Matthias Bosenick (02.04.2025)
Der Mann, der Stilbrüche zum Stil erhob, der aus der Kombi aus Genretreue und –untreue eine eigene Kunstform erhob, arbeitet diese auf seinem neuen Album „Grief Commodity“, das er unter seinem Solo-Black-Metal-Moniker Sacred Son herausbringt, noch breiter aus. Hier ist der Londoner Dane Cross wahrhaftig wieder solo unterwegs, nicht mit der Quartettbesetzung seiner vorherigen Alben, und zwar derart solo, dass er die Stücke auf der Voice-Memos-App seines iPhones aufnahm. Das ist quasi das Lofi-BM-Trve des dritten Jahrtausends. Und es funktioniert.
Marshall Allen – New Dawn – Week-End Records 2025
Von Matthias Bosenick (31.03.2025)
Mit 100 Jahren sein Debütalbum herausbringen? Kann man machen. Nochmal so lange warten bis zum Nachfolger wird indes eher unwahrscheinlich. Debütant ist Marshall Allen allerdings lediglich als Solist, denn allein mit dem Sun Ra Arkestra ist der Saxophonist und Freejazzer unzählbare Male zu hören. Die größte Überraschung an seinem Album „New Dawn“ ist daher wohl, dass es sich weit weniger free oder spacig anhört, als es in dem Kontext zu erwarten wäre. Jazz ja, aber eher chillig-loungig oder beschwingt. Ohne den Beitrag der Tochter von Kumpel Don Cherry wäre es ein Instrumental-Album geworden, und Neneh veredelt den Titeltrack gekonnt. Allein die Streicher sind etwas gewöhnungsbedürftig, aber auch mit ihnen macht das vorwiegend mit Arkestra-Freunden eigespielte Album eine Menge Spaß.
Oddateee – Rabbit Season – Atypeek Music/KdB Records 2025
Von Matthias Bosenick (28.03.2025)
Die „Rabbit Season“ läutet eine Zeitreise ein: Diese gute halbe Stunde Hip Hop hätte so auch vor ungefähr 25 Jahren bereits erschienen sein können. Das ist kein Nachteil, im Gegenteil, es ist eine Freude, diesen dunklen, recht experimentellen Düster-Downbeat-Hip-Hop anzuhören. Dafür lud sich Host Oddateee alias Ricardo Galindez vier Features ins Studio, das er vor einiger Zeit von der Bronx nach Lyon verlegte, darunter Dälek. In dieses Rabbit Hole steigt man gern hinab.
Korhan Futacı – Heavyweight Rehearsal Tapes – Puma Records 2025
Von Matthias Bosenick (27.03.2025)
Noch vor dem offiziellen Start seines neu zusammengefundenen Quartetts gewährt der Istanbuler Untergrund-Jazz-Held und Saxophonist Korhan Futacı der Öffentlichkeit Einblicke in die Arbeitsweise seines komplett türkisch besetzten Star-Ensembles: Die „Heavyweight Rehearsal Tapes“ sind genau dies, bei Proben in Groningen mitgeschnittene Aufnahmen der vier Musiker – neben dem Chef: Barış Ertürk (Baritonsaxophon, Effekte), Esat Ekincioğlu (Kontrabass) und Mehmet Ali Şimayli (Schlagzeug, Synthies). Heraus kommt eine mitreißende Jazzreise vom Orient zum Okzident, die den Free Jazz im Zaum hält und wundervolle Landschaften zeichnet.
Tier – Backwood Blues – Pink Tank Records 2025
Von Matthias Bosenick (25.03.2025)
Hier ist so circa genau das drin, was draufsteht: Das Album heißt nicht ohne Anlass „Backwood Blues“. Das Trio Tier, in Eigenschreibweise TIER, also wie die E-Scooter, aus Trier, also einer Stadt mit einem R mehr als der Bandname, spielt genau das: Blues, aber einen von der dunklen Seite, in einem riffigen Stoner-Gewand und mit melodieseligem rauhen Gesang, der manchen Songs auch eine Neunziger-Seattle-Anmutung verleiht. Energetische Songs, schweißtreibend dargeboten.
Front Line Assembly – Mechviruses – Artoffact Records 2025
Von Matthias Bosenick (26.03.2025)
Im Grunde ist „Mechviruses“ eine Werbeplattform für das Electro-EBM-Industrial-Label Artoffact Records und weniger ein sinnfälliges Album von Front Line Assembly, denn haufenweise Label-Acts, die man sich zumeist als Mensch mit einigem Geschmack jenseits von Plakativität nicht anhören würde, remixen und erweitern Tracks des ursprünglich vorrangig instrumentalen Videogame-Soundtracks „WarMech“ aus dem Jahre 2018, also nicht einmal des jüngsten FLA-Albums, schließlich kamen danach sogar noch zwei heraus. Kitsch-Pop mit Wumms kommt zu oft dabei heraus, nur wenige Tracks lassen wirklich auf-, die meisten eher weghorchen. Das ist umso bedauerlicher, da man noch „Echoes“ im Ohr hat, das grandiose Remix-Album zu „Echogenetic“. Aber das war vor zehn Jahren, und auch die jüngsten Studio-Alben der EBM-Mitgestalter aus Vancouver waren bereits eher nicht so prächtig. Also bis auf „WarMech“ alles nach „Echoes“.
Fleur de Feu – Weep – P.O.G.O./Off Records 2025
Von Matthias Bosenick (25.03.2025)
Auf „Weep“, ihrem zweiten Album, machen Fleur de Feu so gut wie gar keine figürliche Musik: Angelehnt an den Texten der Cheyenne-Medizinfrau Mestaa’ėhehe (Owl Woman) generiert das Projekt der Brüsselerin Dominique Van Cappellen-Waldock milde, hypnotische Drones zu ihrem Gesang. Lediglich ein Track würde sich für spätnächtliche Gothic-Floors eignen, der Rest ist höchst attraktives Experiment.
Bruno Karnel – Villa Solitude – Bitume Prods 2025
Von Matthias Bosenick (25.03.2025)
Eins nahm sich Bruno Karnel einigermaßen zu Herzen: Als Multiinstrumentalist und Komponist könnte er in höheren Ligen mitspielen, als Sänger eher nicht so – deshalb reicht er sein Mikro auf seinem dritten Album „Villa Solitude“ an haufenweise Gästinnen weiter und konzentriert sich vorrangig auf sein Kerngeschäft. Das besteht aus Rockmusik, die der Franzose kunstvoll und progressiv verschachtelt, emotional unterfüttert und mit Elementen spickt, die eine konkrete Genrezuordnung angenehmerweise erschweren. Was schimmert da alles durch: Chanson, Post-Rock, Indierock, Folk? Bestimmt, und noch so einiges mehr!
Ghostsmoker – Inertia Cult – Art As Catharsis 2025
Von Matthias Bosenick (24.03.2025)
Da werden die Aufnahmen des Debütalbums „Inertia Cult“ des Doom-Sludge-Quartetts Ghostsmoker vom realen Tod überschattet, dessen Verarbeitung sich in den Kompositionen niederschlägt und dieses Stück Todesmetall umso eindringlicher und überzeugender ausfallen lässt. Aus dem Stand – nun: fast, eine EP gibt’s schon – befördert sich die Band aus Melbourne mit diesem „Trägheitskult“ in respektable Genre-Gesellschaft.