Von Matthias Bosenick (31.01.2024)
Diese Band bekommt ein gutes Dutzend Extrapunkte dafür, dass sie aus Petroșani kommt: In der Stadt hatte der Schreiber dieser Zeilen im Jahr 2017 das Glück, fast eine Woche im Krankenhaus verbringen zu dürfen – mehr Rumänien so nah an Haut und Seele zu erleben, ist kaum möglich. Auch nicht mit diesem Album: Hier schreit alles Klischee, vom Bandnamen Gothic über den Albumtitel „Underground“ bis zur Musik, die Lesern des Gruftmagazins Sonic Seducer in ihrer plakativen Eingängigkeit und der Abhandlung von Stereotypen in den Genres Gothic, Metal und Gothic Metal mit sinfonischem Einschlag und schlageresken Strukturen wohl richtig gut gefallen dürfte. Aber egal, das Quartett kommt aus Petroșani, singt auf Rumänisch und macht ihre Sache ja auch gar nicht so schlecht – denn es steckt mehr drin, als es den oberflächlichen Anschein hat.
Archiv des Autors: Van Bauseneick
Reflecting The Light – Reflecting The Light – Adz/Bitume Prods 2019/2024
Von Matthias Bosenick (30.01.2024)
Nach und nach bringt das Label Bitume Prods die ganzen bislang lediglich online verfügbaren Alben von Julien J. Neuville alias Adunakhor Z. alias Adz heraus. Seine Projekte Kaamosmasennus und Salaman Isku liegen bereits auf CD vor, jetzt schließt sich Reflecting The Light an: Wie gewohnt im Alleingang spielte der Franzose ein instrumentales Album aus Post Rock und Post Black Metal mit Opulenz und Pathos ein, das mehr auf große Gesten setzt als auf Trveness und auf dem er die gar nicht so dunkle Atmosphäre mit Synthies dick unterstreicht. Man sieht nordische Heroen die Schwerter in den von Nordlichtern durchzogenen Nachthimmel recken und verspürt den unterschwelligen Wunsch, sich ihnen anzuschließen. Nach „Reflecting The Light“ darf also davon ausgegangen werden, dass sich Bitume in absehbarer Zeit auch Neuvilles weiteren Projekten .eterniteduchaos. und Thy Apocalypse zuwenden wird.
Canaan – Ai Margini – Toten Schwan/Eibon Records 2024
Von Matthias Bosenick (29.01.2024)
Als jemand, der Canaan noch gar nicht kennt, drängt sich beim Hören von „Ai Margini“ bald Scorn als Analogie auf, mit den heruntergepitchten Hip-Hop-Beats und den sphärischen Industrial-Sounds, und wenn man dann nachliest, dass sich Canaan 1995 aus der Asche der Mailänder Doom-Metal-Band Ras Algethi mit noch sehr ähnlicher musikalischer Ausrichtung formierte und diese Art von Ambient erst seit jüngerer Zeit aus dem gewohnten Sound herausfilterte, fühlt man sich in seiner Scorn-Analogie zusätzlich bestätigt und versteht, warum eine Band mit solcher Musik überall im Metal-Kontext erscheint. „Ai Margini“, das erste Lebenszeichen seit sechs Jahren, ist dunkel, harmonisch, in der Mitte fragil, „An den Rändern“ – so der Titel übersetzt – zwischen kopfnick- und tanzbar sowie in seinen Strukturen frei von jeglicher Art Lied. Das ist mal echt eine Entwicklung!
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Zupfe Hansel Deine Geige
Von Onkel Rosebud
Nicht der, aber ein Grund, warum meine Freundin meine Freundin ist, besteht darin, dass meine Plattensammlung ein Teil unserer gemeinsamen Wohnzimmerdekoration sein darf. Ich finde das nicht selbstverständlich, denn in meiner Funktion als öffentlicher Schallplattenunterhalter ist da über die Jahre so einiges an Polyvinylchlorid und -acetat zusammengekommen. Ich weiß noch, als wir damals zusammen in die flussnahe Wohnung gezogen sind, habe ich mich nicht getraut, meine Schätze wie gewohnt im Hauptaufenthaltsraum aufzubahren; ich habe den größten Teil im Keller verstaut – auch wegen Schutz vor Kind und Katze. Doch wie das nun mal so ist, wenn ein Wasserlauf den Wohnort kreuzt, es kam die sogenannte Jahrhundertflut und unser Tiefparterre drohte sich mit Schlamm zu füllen. Seitdem dürfen die Scheiben das Obergeschoss zieren inklusive meiner Plattenwaschmaschine, Fabrikat Knosti. Die steht neben meinem Technics SL-1210 MK2 und hat schon oft das erzählerische Eis gebrochen, wenn frischer Besuch es sich in der Sitzschnecke bequem gemacht hat.
WeiterlesenC.K. McDonnell – The Stranger Times – Eichborn/Bastei Lübbe 2023
Von Guido Dörheide (24.01.2024)
Neulich gegen Ende der Woche hatte ich nichts mehr zu lesen. Also bin ich am Sonnabend um 13:40 Uhr mit dem Fahrzeug gen Innenstadt aufgebrochen, Benno Goeritz hat ja schließlich noch bis 14:00 Uhr auf. Kurz vorher stürmte ich den Laden und schilderte dem Eigentümer meine Notlage. Ich bedürfe dringendst eines Krimis. „Eher blutig, oder eher nicht?“ „Eher nicht, mehr so mystisch, Hauptsache spannend, aber blutig bitte nicht!“ „Dann scheidet Hardy Crueger also schon mal aus!“ Tut er vor allem deswegen, weil ich alles Relevante von ihm bereits gelesen habe. Ich schnappte aber dabei eine wichtige Information auf:
Am 15. Februar 2024 findet die alljährliche „Einfach G.E.L.“-Lesung von Hardy Crueger in der Buchhandlung Benno Goeritz statt. Kommet zuhauf!
Alsdann lobpreiste Herr Hallensleben den 2023 als Taschenbuch auf Deutsch erschienenen Roman „The Stranger Times“ von C.K. McDonnell. Es ginge um eine Frau, die auf der Suche nach Arbeit bei einer merkwürdigen Wochenzeitung landet, und dort gäbe es einen Chefredakteur, der einen abgrundtief bösen Satz nach dem anderen raushaue, dass es eine wahre Freude sei, das zu lesen. Die Begeisterung des Buchhändlers ergriff unmittelbar von mir Besitz, ich nahm das Buch mit und konnte es fürderhin nicht mehr aus der Hand legen. C.K. McDonnell (bürgerlich Caimh McDonnell aus Limerick, Irland) schreibt witzig, fesselnd und mit einem richtig schön bösen Witz.
WeiterlesenVægtløs – Aftryk – P.O.G.O. Records/5FeetUnder Records 2024
Von Matthias Bosenick (24.01.2024)
Bei Vægtløs (Schwerelos) ist die Auseinandersetzung mit dem Tod keine genrespezifische Koketterie, sondern ein Ventil. Das Quartett kam 2022 in Aalborg zusammen, um den Krebstod naher Freunde zu bewältigen, und wählte ein auf Black Metal basierendes Vehikel für den erlebten Schmerz. Den die vier hörbar ausdrücken: Das Debüt „Aftryk“ („Impressum“) klingt verzweifelt, doch gibt sich die Band dieser Verzweiflung nicht einfach hin, sondern wendet sie in etwas Kreatives um, eben Musik. So entstanden vier überlange Tracks zwischen Post-Metal, Hardcore und Shoegaze, die Dunkelheit transportieren und gleichzeitig befreiend vermitteln, dass es sich lohnt, die Trauer zu überwinden und voranzugehen.
Teen Prime – No. 8 – Teen Prime 2023
Von Matthias Bosenick (23.01.2024)
„No. 8“ ist das dritte Album von Teen Prime, nach „No. 7“ und „No. 4“. Kann man so machen, was hier nun aber rätselhaft wirkt, ist dem Umstand geschuldet, dass das Duo auch seine EPs in die Nummerierung integriert, und was es noch komplizierter macht, ist, dass „No. 6“ bis heute nicht vergeben ist. Das dennoch erst junge (Februar 2022 gegründet) Impro-Duo aus Gitarrist Sebastian Fäth und Schlagzeuger Jörg A. Schneider groovt sich ein, und das so sehr, dass die vierte LP bereits eingespielt ist. Klassische Rockmusik darf man hier nicht erwarten, ein vergleichsweise zugängliches Album aber sehr wohl: Auch wenn die beiden auf herkömmliche Strukturen verzichten, gelingen ihnen ein warmer Sound und ein abstrakter Groove, der dennoch mitreißend ist.
Sleaford Mods – West End Girls – Rough Trade 2023
Von Matthias Bosenick (22.01.2024)
Yeah! Yeah!!! Mies gelaunt und angepisst huldigen die beiden Polit-Rüpel von den Sleaford Mods ihren ebenfalls nicht unpolitischen Synthiepophelden Pet Shop Boys: Aus Charity-Gründen covern sie deren fast 40 Jahre alte Debütsingle „West End Girls“. Die Musik belassen sie weitgehend bei, damit auch Tempo und Melancholie, und da das Original bereits mehr oder weniger ein Rap war, liegt diese Adaption hier gar nicht so fern, nur dass die Sleaford Mods räudiger rappen. Und auf der 12“-Version auch dirty. Größter Schulterschlag ist, dass die Pet Shop Boys dieser Version nicht nur zustimmten, sondern sie auch gleich remixten.
Sleater-Kinney – Little Rope – Sleater-Kinney 2024
Von Guido Dörheide (20.01.2024)
Vom Namen her sind Sleater-Kinney (übrigens „Släiter“ ausgesprochen und nicht „Slieter“) das us-amerikanische Gegenstück zu Halstenbek-Krupunder oder Hann. Münden-Hedemünden, denn sie haben sich nach einer Autobahnausfahrt benannt.Die Musik dieser unglaublichen Band um die beiden Gitarristinnen und Sängerinnen Carrie Brownstein und Corin Tucker (seit dem Ausstieg der Schlagzeugerin Janet Weiss im Jahr 2019 sind es auch die einzigen Bandmitglieder) verehre ich nun schon seit 27 Jahren, also mehr als mein halbes Leben lang. Hatte ich damals immer gerne Punk und Postpunk von Männern gehört, öffneten mir Team Dresch, Sleater-Kinney und Bikini Kill (in genau der Reihenfolge) die Augen, Ohren und vor allem den Verstand, dass es die Welt um ein Vielfaches besser macht, wenn man Punk mit Feminismus kombiniert. „Dig Me Out“ von 1997 war da erste Werk von Sleater-Kinney, das ich hörte, und seitdem hat mich keine Veröffentlichung der Band aus Olympia, Washington, jemals enttäuscht. Nach „Dig Me Out“ kaufte ich mir erstmal die erste und zweite LP der Band („Sleater-Kinney“ und „Call The Doctor“) und kriegte mich erstmal vor Begeisterung kaum wieder ein. Damals hatte ich weniger Alben als heute und hörte sie dementsprechend öfter, die Zeit bis „The Hot Rock“ im Jahr 1999 dauerte für mich ewig, ich feierte das Album und ebenso „All Hands On The Bad One“ ein Jahr später. Dann verlor ich die Band aus den Augen und stieg 2005 mit „No Cities To Love“ wieder ein, wieder voller Begeisterung. Und seitdem finde ich, dass die Band von Album zu Album immer großartiger wird.
WeiterlesenDer Junge und der Reiher (君たちはどう生きるか/The Boy And The Heron) – Hayao Miyazaki (宮崎 駿) – J 2023
Von Matthias Bosenick (18.01.2024)
Dem vermutlich jetzt wirklich letzten langen Film des inzwischen 83jährigen Studio-Ghibli-Mitgründers Hayao Miyazaki misst man selbstredend eine besondere Aufmerksamkeit bei. Mit seinen Animes verzaubert er die Welt, weil jene in diesen Filmen kopfsteht, nicht nur aus westlicher Sicht, und weil seine Animationen bahnbrechend sind. In den zweistündigen „Der Junge und der Reiher“, der auf Japanisch ungefähr „Wie lebt ihr?“ heißt, lässt er vertraute Elemente früherer Filme in eine Geschichte über Entwurzelung, Adoleszenz, Trauer und Krieg einfließen. Fantasievoll ist das Wort, das über allem schwebt, rätselhaft, schön – aber auch schwermütig, passend zur Zeit. Eskapismus ist nicht das Kernvorhaben dieser Jugendbuchverfilmung.
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