Elvis Costello & The Imposters – The Boy Named If – EMI 2022

Von Guido Dörheide (31.05.2022)

Es war 1994, als ich mir auf dem Roskilde-Festival das Konzert von Elvis Costello ansah und -hörte, und das blies mich schier weg. Auf der Bühne stand ein in höchstem Maße charismatischer Lakritzbrillenträger mit Gitarre, umringt von talentierten Mitmusikanten, und gab – neben Klassikern en masse, die ich damals leider alle noch nicht kannte – sein damals aktuelles Album „Brutal Youth“ zum Besten und zog damit die Audienz in den Bann, als gäbe es kein Morgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass damals auch nur irgendjemand, der „Brutal Youth“ noch nicht im Regal zu stehen hatte, nach der Rückkehr aus Roskilde, nach mehrmaligen Duschen und ausgiebigen Ausschlafen NICHT in den Plattenladen seines Vertrauens gestürmt ist, um dieses Werk käuflich zu erwerben. Hashtag Rückblende Ende, ich habe bei der Rückkehr aus dieser Zeitreise peinlichst darauf geachtet, auf kein Insekt zu treten, weil das unter Umständen die Zeitläufte dergestalt perforieren könnte, dass es entweder den Künstler oder den Rezensenten heute nicht mehr geben könnte. Was schade wäre.

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King Gizzard & The Lizard Wizard – Onmium Gatherum – King Gizzard & The Lizard Wizard 2022

Von Guido Dörheide (24.05.2022)

In meiner Feder führen zwei Sätze für diese Rezension über „Omnium Gatherum“ von King Gizzard & The Lizard Wizard gerade einen erbitterten Kampf, wer zuerst krautnick.de betreten darf. Für den Fall, dass es auf ein Remis hinauslaufen wird – entscheiden Sie bitte selbst:

Satz 1: Die Band, deren abgekürzter Name sich anhört wie ein Radiosender aus den USA (… „Hi this is KGLW, and we are on air right now…“), ist wieder da – ohne je weg gewesen zu sein – und zwar mit ihrem 20. Studioalbum seit 2012.

Satz 2: King Gizzard & The Lizard Wizard sind für Melbourne, Victoria sowas wie Guided By Voices für Dayton, Ohio.

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Kat Frankie – Shiny Things – Grönland Records 2022

Von Guido Dörheide (23.05.2022)

So – hier jetzt mal kein KBV – aber einen Vergleich mit Tara Nome Doyle halte ich nun noch mal für angebracht. Wenn Drittlandsangehörige gen Berlin ziehen, um dortselbst zu musizieren, kommen da oft wundervolle Sachen bei heraus, s. Iggy Pop, Lou Reed. Und nun hier Kat Frankie, gebürtig aus Tralien, seit 2004 mit Wohnsitz gemeldet in Berlin. Ich kenne bisher nur „Bad Behaviour“ aus dem Jahr 2018 und lese da wieder „Grönland“ – danke, Herbert! Gimmamaaanhäääzzurück – ich brauch danääää Libbäääää näch – Mit Flugzeugen in meinem Bauch habe ich mich dann Frankies nächstem Werk genähert, und denke – Wow! Sie lügt! „Shiny Things“ heißt nämlich das Werk, und die Dinge auf diesem Album glänzen vor allem in einer Farbe: Dunkelgrau bis Mattschwarz.

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Everything Everywhere All At Once – Daniel Scheinert & Daniel Kwan – USA 2022

Von Matthias Bosenick (18.05.2022)

Zweieinhalb Stunden opulentes und technisch überbordendes Kreativitätsgeballer! Dabei lässt sich die Handlung in einem Satz zusammenfassen: Mutter versöhnt sich mit Tochter. Dafür muss sie nur in unendlichen Parallelwelten gegen eine böse Widersacherin und eine kaum weniger böse Steuerbeamtin kämpfen, den wahlweise weisen und uneingeweihten Ratschlägen ihres die Scheidung ins Auge fassenden Gatten folgen, die heile Welt ihres in die Jahre gekommenen Vaters bewahren und alles in Allem einfach nur endlich als Mensch reifen. In Sekundenbruchteilen flackernde Alternativuniversen, Martial-Arts-Kämpfe, Drama, Humor, Warmherzigkeit, innere und äußere Querverweise, grandiose Schauspielende und eine soghaft erzählte komplexe Geschichte lassen diese zweieinhalb Stunden im Rausch vergehen.

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Arcade Fire – WE – Columbia 2022

Von Guido Dörheide (16.05.2022)

Erstmal der Spoiler vorweg – ein Frontspoiler sozusagen – ich mag Arcade Fire, ich mag die Stimmen von Win Butler und Régine Chassagne und ich mag auch das neue Album „WE“. Ja – es ist pathetisch, ja – Arcade Fire sind sehr schnell vom Indie (auf Superchunks „Merge“-Label) in den Mainstream aufgestiegen, deutlich schneller als U2, vielleicht vergleichbar mit Coldplay, aber nein – sie haben es bei Weitem nicht so gründlich verkackt wie die Letztgenannten (eh klar – kaum ein Kanadier kann es in meinen Augen so schnell so richtig vermackeln).

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Ocean Child: The Songs Of Yoko Ono – Canvasback/Atlantic 2022

Von Matthias Bosenick (16.05.2022)

Wenn man mit den Beatles überwiegend nix anfangen kann, nimmt man Yoko Ono dann in Sippenhaft oder findet man die vermeintlich nervige John-Lennon-Witwe dann erstrecht gut? Auf „Ocean Child“ sammelt Kurator Benjamin Gibbard einen Haufen alter Helden und Jungspunde, die dem Oeuvre der Avantgardekünstlerin anlässlich ihres 89. Geburtstags Tribut zollen – und von der Avantgarde bleibt hier nicht allzuviel übrig. Es ist natürlich schwierig, die aufgrund der Teilnahme von Yo La Tengo, David Byrne, Stephin Merritt und The Flaming Lips erworbenen Neubearbeitungen zu bewerten, wenn man die Originale nicht kennt, weil man für sich den Faktor Sippenhaft zur Anwendung bringt, aber für sich genommen sind die allermeisten der 14 Songs hier eher langweilig. Oder positiv ausgedrückt: Man kann zu diesem Album prima chillen.

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The Black Keys – Dropout Boogie – Nonesuch 2022

Von Guido Dörheide (13.05.2022)

Knapp 34 Minuten zwischen dem Blues des Mississippi Delta und der Relaxtheit eines J.J. Cale und das Wetter spielt auch mit – das reicht für heute zum Glücklichsein absolut aus. Und ein schönes Gespräch mit einem tollen Menschen (das vielleicht vor allem) – aber zu hören, wie Dan Auerbach und Patrick Carney ihren Signaturklang zwischen Blues, Garagenrock, Lo-Fi und der eben schon zitierten Laid-Back-Heit ausleben und zelebrieren, macht unsäglich viel Freude. À propos Freu(n)de: Die beiden Musikanten binden einige Studiogäste mit ein, unter ihnen der mächtige Billy F. Gibbons. Dessen Gitarrenspiel (habe ich schon „bester noch lebender weißer Bluesgitarrist“ gesagt? Nein? Dann denken Sie es sich bitte an dieser Stelle.) sich anscheinend auch Auerbach zum Vorbild genommen hat, so lässig und dreckig kommt es teilweise rüber.

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Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush – Andreas Dresen – D/F 2022

Von Matthias Bosenick (11.05.2022)

Rabiye Kurnaz alltagt den ganzen Scheiß einfach weg. Mit einer unbändigen Energie und ihrem sehr persönlichen Humor stellt sich die Bremer Hausfrau gegen den Umstand, dass man ihren Sohn Murat als potentiellen Taliban irgendwo in der Welt ohne Rechtsgrundlage inhaftiert, zuletzt in Guantánamo. Mit ihrer beinahe ignoranten Hartnäckigkeit findet sie in Anwalt Bernhard Docke einen Verbündeten, der mit ihr die unwahrscheinlichsten Instanzen abschreitet, um für Murat Gerechtigkeit walten zu lassen. Klingt wie ein Märchen? So inszeniert es Andreas Dresen auch, und doch orientiert sich diese Geschichte an der Realität. Dresen suggeriert, dass es im Kampf gegen diffuse Gegner nur gute Menschen auf der Welt gibt – und gerade in solch bitteren Zeiten tun Filme wie dieser echt gut. Und trotz aller Menschenrechtsthemen ist dies nicht vordergründig die Geschichte des juristischen Sieges über George W. Bush, sondern vielmehr ein Porträt von Rabiye Kurnaz.

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Placebo – Never Let Me Go – So Recordings 2022

Von Matthias Bosenick (10.05.2022)

Hat sie jemand vermisst? Die zurückliegenden neun Jahre kam man eigentlich auch ganz gut ohne Placebo aus, oder? Man hat ihnen über Jahre hinweg dabei zugehört, wie sie die Idee von Indierock in den Alternative Rock überführten, ihn also vereinfachten und kommerzialisierten. Das gelang ihnen ganz gut, immerhin schmuggelten Placebo auf diese Weise unbequeme Themen in die Charts, über das Leben als Nichtheteromensch, über Drogen, über Lebensmüdigkeit, nur eben alles unterfüttert mit einer vergleichsweise einfachen Rockmusik und vorgetragen von einer Stimme, die sich in die Gehörgänge bohrt, was manchmal schmerzhaft ist. Auf „Never Let Me Go“ sind Brian Molko und Stefan Olsdahl nurmehr ein Duo, wie weiland 1992, als das alles losging. Nun sind sie also wieder da, und es bleibt festzustellen, dass sie die auch musikalische Relevanz von vor 20 Jahren trotz beachtlicher Einfälle nicht beibehalten werden: „Never Let Me Go“ ist ganz nett. Nicht mehr.

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Cypress Hill – Back in Black – BMG 2022

Von Guido Dörheide (07.05.2022)

Rhythmischen Sprechgesang aus dem US-amerikanischen Prekariat fand ich traditionell immer scheiße. Ich war 11 oder 12, damals in den 80ern, als mein Mitschüler Holger P. im Musikunterricht der Erich-Kästner-Orientierungsstufe zu Gifhorn ein Referat über Kurtis Blow hielt – und ich hörte zum ersten Mal in meinem Leben jemanden rappen. War geplättet, hatte sowas noch nie gehört, dachte aber gleichzeitig, das muss ich jetzt nicht wirklich gut finden, vergaß Kurtis Blow, hörte Cure, Sisters Of Mercy, Mission und Christian Death und dann – wenige Jahre später – kam mein vermeintlich kleiner Cousin Holger (HipHop und Holger – das gehört also irgendwie zusammen), der mich in die faszinierende Welt von House Of Pain (inkl. Konzertbesuch in Hamburg), Cypress Hill, Ice-T und später auch Wu-Tang-Clan einführte – danke, Holger, dafür!!! Damals wollte ich Alternative-Musik mit Stromgitarre und Haare über die Augen und nicht Sachen hören wie „Insane in the brain. Insane in the membrane. Don‘t you know I‘m loco… locooooo!!!“

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