Ocean Child: The Songs Of Yoko Ono – Canvasback/Atlantic 2022

Von Matthias Bosenick (16.05.2022)

Wenn man mit den Beatles überwiegend nix anfangen kann, nimmt man Yoko Ono dann in Sippenhaft oder findet man die vermeintlich nervige John-Lennon-Witwe dann erstrecht gut? Auf „Ocean Child“ sammelt Kurator Benjamin Gibbard einen Haufen alter Helden und Jungspunde, die dem Oeuvre der Avantgardekünstlerin anlässlich ihres 89. Geburtstags Tribut zollen – und von der Avantgarde bleibt hier nicht allzuviel übrig. Es ist natürlich schwierig, die aufgrund der Teilnahme von Yo La Tengo, David Byrne, Stephin Merritt und The Flaming Lips erworbenen Neubearbeitungen zu bewerten, wenn man die Originale nicht kennt, weil man für sich den Faktor Sippenhaft zur Anwendung bringt, aber für sich genommen sind die allermeisten der 14 Songs hier eher langweilig. Oder positiv ausgedrückt: Man kann zu diesem Album prima chillen.

Anhand dieser Bearbeitungen drängt sich der Begriff „Avantgarde“ jedenfalls nicht auf. Singer-Songwriter allenfalls, hübsch Tralala und Klimperklimper. Das trifft sogar auf die mit Knalleffekt angelegte Ausgangslage-Kombination von den Rock’n’Roll-Zerstörern Yo La Tengo und dem Kunstmusiker David Byrne zu: Deren harmonische Version von „Who Has Seen The Wind?“ ist zwar wunderschön, liegt aber weit unter den musikalischen Erwartungen. Wo ist das Sperrige, wo der Krach, wo das Unerwartete, wo das Schwerverdauliche? Spoiler: Nicht auf diesem Album.

Die (selbst bereits ab 1976 geborene) Jugend von heute hat einfach keinen Lärm mehr im Blut. Alles ist Wattewolke, alles ist R’n’B, alles ist Folkpop, alles ist weichgespült, alles ist Hauptsache hübsch gesungen (mehrheitlich von Frauen, das immerhin; hübsch gesungen außer von Michelle Zauner alias Japanese Breakfast, deren kieksige Stimme nervt) und unaufdringlich instrumentiert. Was soll man von einem Nachwuchs erwarten, der nicht in die Fresse gehen will? Selbst Death Cab For Cutie, die Band des Initiators, die sich als Indie-Rock-Band vermarktet, tanzteet hier unaufgeregt vor sich hin. Als einzige den Geist der US-Japanerin trifft die Koreanerin auf diesem Album: Thao Nguyen stapelt auf „Yellow Girl (Stand By For Life)“ ihre Stimme übereinander und klimpert zu reduziertem Schlagzeug wild auf einem Piano herum.

Stephin Merritt, bekannt mit den Magnetic Fields, fügt sich da leider ein, aber er hat wenigstens eine kraftvolle und ausdrucksstarke Stimme, die er zu pulsierenden Synthiesounds beinahe sakral einsetzt. Das erste Mal laut wird es auf Track 9 von 14 mit Deerhoof, die „No, No, No“ zu einem schräg-krachigen, übersteuerten, partiell galoppierenden und geil gespielten Freakrockstück umarbeiten. Das zweite und letzte Mal etwas agiler wird es nur zwei Tracks weiter mit den Flaming Lips und ihrer gewohnt spukig-verspulten Variante von „Mrs. Lennon“; nicht besonders aufregend, weil klassisch Flaming Lips, aber geil genug, weil klassisch Flaming Lips. Der zweite Song von Yo La Tengo, „There’s No Goodbye Between Us“, hätte auf einem Album von Yo La Tengo sicherlich gut funktioniert, weil das Trio gern mal softe Balladen zwischen seine Lärmbrocken setzt, aber hier setzt es lediglich den Schlafmodus fort.

Die Originale stammen schwerpunktmäßig von zwei Alben, „Season Of Glass“ und „Feeling The Space“, mit einigen Ausreißern, an denen auch John Lenon beteiligt war. Wenn „Ocean Child“ nun aber tatsächlich repräsentativ ist für den Sound von Yoko Ono, lohnt es sich jedenfalls nicht, sich mit ihrem Oeuvre zu befassen. Vielmehr mit dem von Deerhoof, die hier amtlich scheppern. Höchstens noch spannend liest sich „Yes, I’m A Witch“, ein Quasi-Tribut-Album, das Yoko Ono mit ihren Beeinflussten aufnahm, und da sind die Namen weit spannender als auf der vorliegenden Sammlung: Jason Pierce, Le Tigre, DJ Spooky, Peaches und abermals The Flaming Lips, die als einzige auch auf „Ocean Child“ vertreten sind. Man beherzige ansonsten, was Amber Coffman, Ex-Dirty Projectors, am Schluss plärrend empfiehlt: „Run Run Run“.

Die Songs und die Originale:

01 Sharon Van Etten – Toyboat (von „Season Of Glass“, 1981)
02 David Byrne with Yo La Tengo – Who Has Seen The Wind? (von „Instant Karma“-7“, 1970)
03 Sudan Archives – Dogtown (von „Season Of Glass“, 1981)
04 Death Cab For Cutie – Waiting For The Sunrise (von „Approximately Infinite Universe“, 1973)
05 Thao – Yellow Girl (Stand By For Life) (von „Feeling The Space“, 1973)
06 U.S. Girls – Born In A Prison (von „Some Time In New York City“, 1972)
07 Jay Som – Growing Pain (von „Feeling The Space“, 1973)
08 Stephin Merritt – Listen, The Snow Is Falling (von „Happy Xmas, War Is Over“-7“, 1971)
09 Deerhoof – No, No, No (von „Season Of Glass“, 1981)
10 We Are King – Don’t Be Scared (von „Milk And Honey“, 1984)
11 The Flaming Lips – Mrs. Lennon (von „Fly“, 1971)
12 Japanese Breakfast – Nobody Sees Me Like You Do (von „Season Of Glass“, 1981)
13 Yo La Tengo – There’s No Goodbye Between Us (von „Take Me To The Land Of Hell“, 2013)
14 Amber Coffman – Run Run Run (von „Feeling The Space“, 1973)