Lol Tolhurst x Budgie x Jacknife Lee – Los Angeles – PIAS 2023/2024

Von Matthias Bosenick (18.04.2024)

Endlich ist das Vinyl draußen! In anderen Darreichungsformen liegt „Los Angeles“ bereits seit Ende November 2023 vor, nun also auch als Doppel-LP. Darauf hört man nicht nur die Musik einer klassischen Supergroup – „Los Angeles“ verhält sich vielmehr wie eine Compilation grandioser Songs verschiedener Genres, weil das verdiente Trio aus den Schlagzeugern Lol Tolhurst und Budgie sowie dem Produzenten Jacknife Lee einen Haufen Gäste aus allen Ecken der Musikgeschichte hinzuzog. Und zwar nicht nur aus dem Kontext von The Cure, Siouxsie And The Banshees oder aktuellen Chartsproduktionen: Auch LCD Soundsystem, Primal Scream und U2 schickten Abgesandte, um dieses Album zu verfeinern. „Los Angeles“ dürfte eines der besten, weil anspruchsvollsten und abwechslungsreichsten Post-Punk-Indie-Pop-Alben seit Ewigkeiten sein.

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Project Pitchfork – Elysium – Trisol 2024

Von Matthias Bosenick (17.04.2024)

Man darf ja noch hoffen, dass Peter Spilles nach Corona-Pandemie und Krankheitsausfall an sein nächstes Album als Project Pitchfork anders herangeht als zuvor, aber nein, „Elysium“, der dritte Teil einer 2018 begonnenen und auch gleich unterbrochenen und wie auch immer strukturierten Trilogie, setzt den Schlager-Weg der einstigen Electro-Darkwave-Helden aus Hamburg fort. Pluspunkt für Spilles ist, dass er Scheubi, seinen Mitstreiter seit 1988 – damals noch als Demoniac Puppets –, vor die Tür setzte, weil jener in der Coronazeit zu schwurbeln begann. Ist doch alles recht billig hier im „Elysium“, auch wenn es teilweise hart herüberkommen will: Melodien und Harmonien mit einigen Clicks am PC zusammengeschoben und drübergekrächzt, bisschen Bummbumm, paar Balladen, dazwischen Meeresrauschen, wie schon 1995 auf „α Ω“. Wann kam das letzte gute Album der Mistgabeln heraus – ist es wirklich schon mehr als 20 Jahre her? Man darf ja noch hoffen.

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Chicano Batman – Notebook Fantasy – ATO Records 2024

Von Matthias Bosenick (16.04.2024)

Das muss man mögen: Eine Mischung aus den Beatles und Air machen Chicano Batman aus Los Angeles, und deren fünftes Album „Notebook Fantasy“ klingt noch schwüler, als es diese Mischung ahnen lässt. Lounge, Tropen, Schlager, Soul, Funk, Kitsch, Cocktailpartys und wattierte Sechziger- und Siebziger-Retroseligkeit bei moderner Produktion – geil gespielt, vielseitig komponiert und arrangiert, begleitet einen das Album in den pastelligen Sonnenuntergang, der Blick hinter der Sonnenbrille stets auf leicht gekleidete Vertreter des bevorzugten Geschlechts gerichtet. Ein klares Puh.

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Meat Beat Manifesto & Merzbow – Extinct – Cold Spring Records 2024

Von Matthias Bosenick (15.04.2024)

Die ersten paar Sekunden des Openers sind noch so, wie man sie sich erhofft: ein Breakbeat der hektisch groovenden Marke Meat Beat Manifesto mit ordentlich Schlagseite. Doch dann schlägt Merzbow zu und macht aus dem ganzen Album, das physisch überdies nur aus zwei Tracks besteht, einen Shred. Experimental Noise, sagt das temporäre Duo dazu, ja, kann man so gelten lassen – „Extinct“ wirft die altbekannte Ignoranz-Floskel „Ist das noch Musik?“ in den Gartenhäcksler. Und danach in die Autopresse. Und danach in den Küchenmixer. Und danach in den Dokumentenvernichter. Und danach auf Onkel Titus‘ Kreissäge. Zwar zieht sich tatsächlich ein Takt durch das Album, aber hörbar ist es nur bedingt. Free Jazz ist dagegen Kinderkarussell, Autechre schöner Radiopop. Haben muss man „Extinct“ als MBM-Sammler natürlich trotzdem.

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Sleepmakeswaves – It’s Here, But I Have No Names For It – Bird’s Robe Records 2024

Von Matthias Bosenick (12.04.2024)

Das ist nicht einfach Postrock, das ist streckenweise Mostrock. „It’s Here, But I Have No Names For It“ bündelt eine Auswahl pandemisch entstandener Demos in ausformuliert, der Titel dazu folgt der Zen-Weisheit, dass man nicht alles benennen können muss. Zwar ordnen sich die größtenteils instrumentalen Australier Sleepmakeswaves grob im Postrock ein, was sie in epischen Tracks mit den typischen hoch flirrenden Gitarren dann auch bestätigen, rühren aber noch andere Zutaten dazu, flotten Punk, komplexen Prog, himmelstürmenden Pop, extremst groovenden Bass, druckvolle Energie, kontemplative Folklore, Synthie-Ambient und vieles mehr. Bleiben sie an einigen Stellen sehr dem Etikett verhaftet, nutzen sie diese als Aufhänger dafür, den Hörenden die Nachbarschubladen schmackhaft zu machen.

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Andrea lässt sich scheiden – Josef Hader – A 2023

Von Matthias Bosenick (11.04.2024)

Keine Komödie, auch wenn Josef Hader draufsteht – dieser Hinweis ist mehr als angebracht, wenn man sich „Andrea lässt sich scheiden“ anguckt, weil man ansonsten entweder denkt, die Gags seien Scheiße, oder einfach überhaupt enttäuscht feststellt, dass der Film nicht witzig ist, denn das soll er auch gar nicht sein. Lässt man sich darauf ein, haut das trockenöde Provinzdrama mächtig rein. Dabei ist der Titel etwas irreführend, denn noch vor der Scheidung fährt die Titelfrau ihren Noch-Gatten tot, und damit beginnt das Drama, in dem der Regisseur selbst eine Figur spielt, die der irrigen Annahme ist, den Mann getötet zu haben. Österreichkenntnisse sind für den vollen Genuss vonnöten.

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Elder Stateswomen im Film

Von Onkel Rosebud

Meiner Freundin liegt Eifersucht fern. Aber wenn ich alles stehen und liegen lasse, wenn Tilda Swinton (geboren 1960) auf der Mattscheibe erscheint, dann rollt sie abschätzig und leicht genervt mit den Augen. Sie fragt sich aber insgeheim, wieso ich es nötig habe, diese Dame (auch noch) anzuhimmeln. Derweil ist Lady Tilda keine Ausnahme. Ich kann in Würde gealterten Schauspiel-Göttinnen so einiges abgewinnen.

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Geister: Exodus (Riget – Exodus) – Lars von Trier – DK 2022/Plaion Pictures 2024

Von Matthias Bosenick (09.04.2024)

Die zweite Staffel der Krankenhaus-Serie „Geister“, im Original „Riget“, international „The Kingdom“, ließ 1997 viele Fragen unbeantwortet. 25 Jahre später nimmt Regisseur Lars von Trier, ganz wie sein Vorbild David Lynch mit „Twin Peaks“, mit „Geister: Exodus“ die Fäden wieder auf, lässt eine Karen an die Stelle der Geisterseherin Sigrid Drusse treten, reibt sich an Schweden und seiner eigenen Biografie auf und vermengt abermals Aber- und sonstigen Witz mit Horror und Grusel. Das Ende hinterlässt indes wiederum Fragen und die Betrachtenden verunsichert: Was war denn das jetzt?

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The Multicoloured Shades – 2025 – Sireena Records 2024

Von Matthias Bosenick (08.04.2024)

Ohne Orgel keine Multicoloured Shades, ohne Pete Barany schon: Mit jemandem namens Christian Müller fanden die Ruhrpott-Psychedeliker um die 20 Jahre nach dem Tod ihres Aushängeschildes einen ausgezeichneten Nachfolger, dessen Stimmfarbe dezent an die von Mark Lanegan erinnert. Das der Band seit 40 Jahren anhaftende Etikett Psychedelic Rock passt heute nur bedingt, so ist das, wenn man eine nicht so leicht kategorisierbare Musik macht: „2025“, das in die Zukunft blickende neue Album in veränderter Besetzung, birgt erwachsene und trotzdem verspielte Rockmusik, die an den 1987er-Hit „Teen Sex Transfusion“, den man damals eher im Wave- oder Indie- als im Psychedelic-Rock wahrnahm, längst nicht mehr anknüpft.

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Dan Scary – Die EntSARGung – Dan Scary 2024

Von Matthias Bosenick (05.04.2024)

Aus der Gruft in die Gruft: Der Düsterpunk Daniel Url exhumiert sein zu Grabe getragenes Projekt Dan Scary und macht auf dem neuen Album „Die EntSARGung“ die Musik, die man von ihm kennt – elektronisch unterfütterten Dark-Wave-Punk, dieses Mal hauptsächlich Songs aus der Anfangszeit des Projektes neu eingespielt. Neu an Bord hat der Neu-Ostfriese nämlich mit Julian einen Schlagzeuger, damit wurde aus dem Duo, das zwischendurch ein Solo-Projekt und dann ein Trio war, wieder ein Duo. Der Sound hat sich dadurch natürlich verändert, dass jetzt kein Drumcomputer mehr den Takt vorgibt, und dennoch bleibt Dan Scary wiedererkennbar. „Die EntSARGung“ kann man zwischen The Cassandra Complex, The Cramps, Abwärts und Tommi Stumpff einsortieren. Schönes Gimmick: das übergroße Format der CD.

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