Von Matthias Bosenick (23.02.2023)
Der Mann liebt Zahlenspiele, und auf seinem dritten numerisch betitelten Studioalbum als Dream Invasion dreht Erwin Jadot die Schraube noch acht Umdrehungen weiter: Nicht nur sind sämtliche acht Tracks auf „8.8.64“ exakt acht Minuten lang, es beginnen alle Titel mit dem achten Buchstaben des Alphabets und bestehen aus exakt acht Buchstaben. Auf diesen acht Tracks – plus einem Bonus-Track im Download – bewegt sich der Soundtüftler aus Belgien im weiten Feld des Ambient, von dräuenden Drones über zarte Synthieflächen bis ab ins All. So chillig Ambient üblicherweise auch sein mag, Jadot vertritt die Ansicht, dass Musik auch mal wehtun darf, und fordert die Hörenden mit vereinzelt gesetzten Spitzen oder dunklen Sounds heraus. Nehmt euch in Acht!
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Generation Walkman
Von Onkel Rosebud
Es gibt Leute, denen genügt ein Blick ins Platten- und/oder CD-Regal ihrer GastgeberIn, und kurz darauf haben sie eine umfassende Persönlichkeitsanalyse erstellt.
Schon ein einzelnes zweifelhaftes Machwerk verrät, wo die Abgründe in der Biographie liegen. Vorm Jüngsten Gericht nützen auch alle B-Seiten von Depeche Mode nichts, wenn daneben eine Soloscheibe von Phil Collins steht. Eine seltene musikalische Perle hingegen signalisiert Bildung, Geschmackssicherheit und manchmal sogar Hochadel.
Das Motto lautet: Zeig mir Deine Musik, und ich weiß, wer Du bist. Und die Reproximierung der Regel sagt dann logischerweise: Ich zeige Dir meine Musik und verrate Dir auf diesem Weg, wer ich bin und was ich von Dir will.
WeiterlesenAVA Trio – Ash – Tora Records/Chilli Chilli Agency 2023
Von Matthias Bosenick (21.02.2023)
Was man halt so macht, wenn man epidemisch bedingt dazu gezwungen ist, sich musikalisch anderweitig zu betätigen als gewohnt: Man isoliert sich zu dritt in Groningen im Studio und imaginiert sich in historisch von Asche verschüttete Städte. Auf diese Weise generiert das AVA Trio auf der EP „Ash“ zwei überlange Tracks, improvisiert, assoziiert, ursprünglich, vielmehr eine abstrakte Variante dessen, was man sich so unter Weltmusik vorstellt, als freier Jazz, und obschon chillig, doch zu aufgekratzt, um als Entspannungsmusik durchzugehen. So also klingen „Knossos“ und „Pompeii“ unter einer Staubschicht!
Im Kopf von Sherlock Holmes (Dans la tête de Sherlock Holmes) – Cyril Liéron & Benoît Dahan – Splitter 2022
Von Matthias Bosenick (20.02.2023)
In den Geschichten, die Sir Arthur Conan Doyle den etwas unbedarften Ex-Armeearzt Dr. John Watson von seinem Mitbewohner und Freund, dem allwissenden Deduktionsgott Sherlock Holmes, ab 1887 erzählen ließ, nahm der Ich-Erzähler die Rolle des überraschten Lesenden ein, der neben dem Ermittler die wirrsten Mordknoten betrachtete und durch Watsons Augen staunte, wie der Meisterdetektiv sie sämtlichst entwirrte und die Täter überführte. Was in Holmes‘ Schädel nun so vorgeht, während er sich mit den Problemen anderer Leute auseinandersetzt, imaginiert das Autoren- und Zeichner-Duo Cyril Liéron und Benoît Dahan in Graphic-Novel-Form. Dabei ist „Im Kopf von Sherlock Holmes“ mehr als nur eine weitere Holmes-Pastiche, nämlich ein zeichnerisches Abenteuer, in dem man sich Seite um Seite vom großen Ganzen bis zum kleinsten Strich verlieren kann – und auch noch einen spannenden Fall erzählt bekommt.
Deichkind – Neues Vom Dauerzustand – Sultan Günther 2023
Von Onkel Rosebud (18.02.2023)
Kindergeburtstag für Erwachsene Folge 8
Neulich im Familienchat: Die Tochter fragt, wer ist die bekannteste Person, die ihr kennt? Sie trumpft auf mit einem italienischen Theaterregisseur, der Papa ihrer besten Freundin. Die Mutter hat mal einer Hollywood-Ikone und Oskarpreisträgerin die Schulter wieder hergestellt, damit sie Dreharbeiten in der Heimatstadt schmerzfrei fortsetzen kann. Das ist natürlich nicht zu überbieten. Dennoch kann ich punkten, weil ich nominiere Philipp Grütering, das einzige verbliebene Gründungsmitglied der Hamburger Band Deichkind.
WeiterlesenOld Town Crier – A Night With Old Town Crier – OTC 2023
Von Matthias Bosenick (16.02.2023)
Was für eine energetische Spielfreude die Leute haben, die Jim Lough für den ersten und bislang einzigen Livegig seines Projektes Old Town Crier zusammenfügte! Eine Auswahl zuvor unveröffentlichter, mithin exklusiver Songs stellt der Bluegrass-Musiker aus Lakeville, Massachusetts als „A Night With Old Town Crier“ bereit und spendet die Hälfte des Erlöses an eine Obdachlosenorganisation. Sein zweites Benefizprojekt nach „You“ also, an dem einige der hier beteiligten Musikanten ebenfalls mitwirkten, und nicht das letzte: Lough kündigt an, diese Herangehensweise fortzusetzen. Auf dem Album gibt es nun glasklar gespielten Blues, Alt.-Country, Boogie, mit E-Piano und Saxophon zum klassischen Bandsetting und alles mit einem Seitenblick auf eine freundliche Indierockmusik – und Jazz.
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Ungeschriebene Regeln in Rockschuppen
Von Onkel Rosebud
Meine Freundin geht sonst nur in Elektro-Clubs, keine Gitarren oder allenfalls misshandelte oder verfremdete, sagt sie. Aber nach einem gemütlichen Dinner bei Kerzenschein und argentinischem Malbec weicht ihr für Paul Van Dyk und ab 125 bpm piependes Herz auf, und dann gehen wir eben auch mal in so Rockschuppen, weil ich es da am gemütlichsten finde. Ich bin auch schon älter, hasse Mode und liebe Lieder von früher. Oder neue Lieder, die dann irgendwann später auch dazugehören zu den alten Liedern.
WeiterlesenAhab – The Coral Tombs – Napalm Records 2023
Von Guido Dörheide (15.02.2023)
Nachdem ich mich in meinem letzten Artikel mit Genrebezeichnungen, von denen ich keine Ahnung habe, weit aus dem Fenster lehnte, versuche ich es gar nicht erst, die Musik von Ahab irgendwie zu klassifizieren. Gut 7 Jahre nach ihrer letzten Veröffentlichung „The Boats Of The Glen Carrig“ melden sich die Haupt- und wohl einzigen Protagonisten des Nautik Funeral Death Doom mit „The Coral Tombs“ eindrucksvoll vom Rande des Odenwaldes zurück.
WeiterlesenGroborsch Kowald Schneider – Bedlam – GKS 2023
Von Matthias Bosenick (13.02.2023)
Gleich zwei Vermächtnisse in einer Aufnahme: Mit zwei Kontrabässen und einem Schlagzeug improvisierten Frederik „Fred“ Groborsch, Peter Kowald und Jörg A. Schneider 2002 im Studio von Guido Lucas herum. Kurz darauf verstarb Kowald in New York, und Lucas reiste ihm 2017 nach. Das gemeinsame Album „Bedlam“ erscheint jetzt, leider ausschließlich digital, aber wenigstens überhaupt, und man darf hier das Trio dabei begleiten, wie es arhythmisch unstrukturierten und angenehm hörbaren Jazzlärm generiert, mit Bogen über Saiten und einem damals eigentlich noch intakten Noiserock-Schlagzeuger, der seine zukunftsweisende Taktlosigkeit erst danach so richtig auszuleben begann. 15 Miniaturen, schlicht nach Alphabet durchbetitelt und grob dem Free Jazz und der Impro-Musik zugeordnet. Wie gut, dass diese Aufnahme jetzt die Archive verlässt!
In Flames – Foregone – Nuclear Blast 2023
Von Guido Dörheide (11.02.2023)
Mein Gott, wie Scheiße! War – mit Verlaub – das erste, was mir zu neuen Veröffentlichung von In Flames einfiel, nachdem ich sie erstmalig durchgehört hatte. Ist das noch Göteborg oder ist das schon Metalcore? Als ob ich nichts Wichtigeres zu tun hätte – Voodoo Jürgens und Ernst Molden beispielsweise als letzte 2022er Nachzügler zu rezensieren – weil unser Nachbarland Österreich musikalisch in keinem Jahr auch nur annähernd genug gewürdigt werden kann, oder mich mit dem neuen – ebenfalls heuer in 2023 erschienenen – neuen Album von Pascow zu beschäftigen. Stattdessen beschäftige ich mich mit Schweden, die neue In Flames wird ja allerorten gefeiert, als wäre in Schweden jüngst nicht nur Bullerbü, sondern selbst das Fahrrad neu erfunden worden.Nun – Ist es das?
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