Andris Zeiberts – Jazzkeller – Bartling Schallplatten/JAW Records 2023

Von Matthias Bosenick (24.07.2023)

Man kann es nicht anders sagen, aber nach Carsten Bohn hatte einfach jeder Schwierigkeiten, mit seiner Hörspielmusik, nicht nur für das Europa-Label und Hauptserien wie Die drei ???, Fünf Freunde oder TKKG, an dem grandiosen Oeuvre des Frumpy-Schlagzeugers anzuknüpfen und trotzdem eine eigenen Note einzubringen. Seit fast 30 Jahren trägt Andris Zeiberts nun Musik nach Europa, und weil das Interesse an Hörspielmusik ungebrochen groß ist, bringt er seine Beiträge jetzt ebenfalls gebündelt heraus. Aus Platzgründen schaffen es leider nur 14 von 24 Tracks auf die Vinyl-Version, aber da Zeiberts und sein Herausgeber Felix Bartling wissen, was die Leute wollen, lassen sie die Tracks weg, die nicht direkt mit den Drei Fragezeichen verknüpft sind, und ermöglichen den Zugriff auf das alles den Rest wenigstens per Download. Der Titel „Jazzkeller“ sagt überdies schon aus, dass Zeiberts‘ Musik der von Bohn noch recht nahe kommt: Hier stecken mehr gespielte Instrumente drin als in den rein elektronisch erzeugten Soundtracks der Kollegen. Und ja, die Stücke der LP kennt man alle, sofern man Hörspiele hört, zum Teil auch schon von der Neuauflage der Drei-Fragezeichen-Folge 29, „Die Originalmusik“.

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Guided By Voices – Welshpool Frillies – Guided By Voices Inc. 2023

Von Guido Dörheide (23.07.2023)

Was King Gizzard & The Lizard Wizard für Australien sind, ist Robert Pollard für Dayton, Ohio. Bzw. sind Guided By Voices für die USA. Seit Ende der 1980er Jahre gibt es die Band in wechselnder Besetzung, neben Pollard wirkte Tobin Sprout für lange Zeit als Songschreiber und Bandmitglied, seit dessen endgültigem Ausstieg im Jahr 2014 ist GbV das alleinige Projekt Pollards. Und er haut Album um Album raus, seit einigen Jahren mehrere pro Jahr. Und das tut er nicht nur, um seinen Ruf als produktivster Songschreiber aller Zeiten zu zementieren, nein, es lohnt sich jedes Mal, seine Alben aufmerksam und immer wieder anzuhören. GbV haben einen hohen Wiedererkennungswert: Das liegt zum einen an Pollards Stimme und zum anderen an seiner Art, Songs zu schreiben, die schnell auf den Punkt kommen, Melodien aufweisen, denen man sich als Freund des Gitarrenindierocks niemals entziehen kann und die zumeist roh und ohne viel Schnickschnack eingespielt und produziert werden. Pollard hört sich an wie ein Onkel von Michael Stipe, dessen Plan, die größte aller Indie-Bands zu gründen, von multinationalen Konsortien hintertrieben wurde und der deshalb dazu verdammt ist, alle paar Monate mit einem Tonträger um die Ecke zu kommen, der sich ähnlich anhört wie der vorherige und dennoch unverzichtbar für die Sammlung eines jeden GbV-Fans ist.

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Big Red Fire Truck – Trouble In Paradise – Bird’s Robe Records 2023

Von Matthias Bosenick (20.07.2023)

Ich mochte solche Musik nicht, als sie neu war, ich mochte sie nicht, als sie als Retro-Phänomen neu war, und ich mag sie auch immer noch nicht, wenn jetzt selbst das Retro-Phänomen retrofiziert wird. Sowas macht sicherlich einige Laune bei 1,3 Atü auf dem Altstadtfest, wenn man sich gegen kurz nach nachts nicht entscheiden kann, ob man bleibt, noch in den Club gehen soll, in dem man 30 Jahre zuvor abhottete und in dem man jetzt von Kids umringt wird, oder besser gleich nach Hause, bevor man vergisst, dass man zum Ausnüchtern inzwischen drei Tage braucht. Big Red Fire Truck aus Sydney spielen auf „Trouble In Paradise“ alle Level durch: Powerchords, Gniedelsoli, mehrstimmiger Grölgesang zum Mitmachen, matschige Drums, Neonschrift auf dem Cover, Löwenmähnen, Jeansjacken, Wildtierprintklamotten und Schnauzbärte, angeblich Hardrock, aber das gilt vielleicht für Anfang der Achtziger gerade noch so – 2023 gibt’s seit 40 Jahren Härteres und Rockigeres. Auch ohne FCKW ist Haarspray diskutabel.

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Wrexham-Bromance

Von Onkel Rosebud

Meine Freundin und ich haben keine „Bromance“, weil dieser Begriff eine platonische Beziehung zwischen Männern bezeichnet. Es gibt kein weibliches Äquivalent dazu. Dieses Extrawort bezeichnet die Begründung, warum zwei Männer miteinander Essen gehen oder sonstige Zuneigung einander ausdrücken. Strittig ist, ob dieses Wort erst Anfang des 21. Jahrhundert erfunden wurde, oder ob His Grönemeyeress im Jahr 1984 seiner Zeit voraus war („Männer nehm′n in den Arm…“). „Bromance“ wird offensichtlich gebraucht, weil die Bezeichnung „Männerfreundschaft“ in den einschlägigen Kreisen einfach zu homosexuell rübergekommt.

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Anohni And The Johnsons – My Back Was A Bridge For You To Cross – Rough Trade 2023

Von Guido Dörheide (19.07.2023)

Alleine der Titel des Albums ist ja schon mal klasse und erinnert an den Ausspruch von Herbie Hancock, nachdem Joe Zawinul die Brücke in die Zukunft war, über die Miles Davis [mit „In A Silent Way“, Anm. d. V. d. Z.] gegangen ist.

Über welche Brücke geht Anohni mit ihrem neuen Album? Bzw. über welche Brücke ist Anohni noch nicht gegangen? Heuer revitalisiert sie den Bandnamen, den sie früher, damals noch unter ihrem Geburtsnamen Antony Hegarty, bereits als „Antony And The Johnsons“ gebrauchte, und das „Johnson“ bezieht sich dabei auf Marsha P. Johnson, die als New Yorker Drag Queen und Transgender-Aktivistin seit den späten 60er Jahren bis zu ihrem Tod aus ungeklärter Ursache 1992 von sich reden machte und bis heute relevant ist und die auch auf dem Cover von „My Back Was A Bridge For You To Cross“ abgebildet ist.

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Steamgenerator – Hopeless Romantic – Steamgenerator 2023

Von Matthias Bosenick (19.07.2023)

Es ist nur konsequent, dass sich eine Band aus der Industriestadt Wolfsburg Dampfmaschine nennt, oder? „Hopeless Romantic“ ist die zweite Veröffentlichung des Quintetts Steamgenerator, das sich Stoner und Doom auf die Etiketten gemalt hat, dafür jedoch viel zu hoffnungslos romantisch ist – und zu vielseitig: Wie bei den genannten Genres üblich, hört man einen starken Einfluss der Siebziger heraus, Black Sabbath bis Classic Rock, aber auch, ebenfalls dort entnommen, den Grunge der Neunziger – und auch mal den in Richtung Wave schielenden Postpunk der Achtziger. Nicht die reine Lehre also, und das ist auch genau richtig so, alles andere gibt es ja schon – die fünf fördern einen bunt schillernden Diamanten aus dem Kohleflöz zutage.

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King Gizzard & The Lizard Wizard – Petrodragonic Apocalypse; Or, Dawn Of Eternal Night: An Annihilation Of Planet Earth And The Beginning Of Merciless Damnation – KGLW 2023

Von Guido Dörheide (18.07.2023)

King G & The LW sind wahrscheinlich keine Menschen, sondern irgendwelche Reptiloiden, die auf ihrem Weg zur Ansichreißung der Weltherrschaft alle gefühlt 14 Tage einen neuen Tonträger in die Regale des Radiohauses (Radiohaus ist ein Wort, das meine jüngere Tochter erfunden hat. Sie meint damit den Elektrofachmarkt im Gewerbegebiet Heinenkamp an der A39) stellen. Anders kann man sich a) diesen Output und b) dieses Zuhausesein in gefühlt 100 Genres nicht erklären.

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Grian Chatten – Chaos For The Fly – Partisan Records 2023

Von Guido Dörheide (18.07.2023)

Grian Chatten ist der Sänger der von mir vollkommen zu Recht verehrten Fontaines D.C., einer Band, die sich, wie der Name schon, sagt auf Johnny Fontane beruft und aus Dublin City stammt.

Was taugt uns jetzt ein Solo-Album des Sängers dieser über jeden Zweifel erhabenen Kapelle? Also erstmal schreie ich allen Fontaines-D.C.-Fans-entgegen: KAUFEN! (Als hätten die das nicht eh schon getan.) Es erwartet uns kein Fontaines-typischer Postpunk, sondern eher ruhigere, nachdenkliche Musik, die jedoch, anders als es mich die erste Hälfte des Openers „The Score“ glauben machte, nicht allein mit Akustikgitarre begleitet (wie es Sänger von Bands auf Soloalben ja gerne mal machen), sondern voll instrumentiert. Aber eben ruhig, zurückgenommen und dennoch voller Energie.

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Meat Beat Manifesto & DHS – Man From Mantis – Love Love Records 2023

Von Matthias Bosenick (18.07.2023)

Die kreuzatlantische Zusammenkunft findet ein Update: Jack Dangers als Meat Beat Manifesto aus Swindon in England und sein langjähriger US-amerikanischer Freund Benjamin Stokes alias Dimensional Holofonic Sound, also DHS, aus San Francisco plündern auf den vier Tracks dieser 12“ ihre eigene elektromusikalische Vergangenheit und generieren etwas Zukünftiges daraus. 808-Acid-Sounds, Breakbeats, 70er-Vocoder, trockene House-Beats, Kraftwerk- und Aphex-Twin-Anleihen, alles drin, was man von beiden und sonst so aus der synthetischen Welt kennt, seit mindestens 40 Jahren und über das gemeinsame Projekt Tino hinaus.

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Killer Mike – MICHAEL – Loma Vista 2023

Von Guido Dörheide (17.07.2023)

Ich gebe ja zu, dass ich mit zeitgenössischer Sprechgesangmusik auf Kriegsfuß stehe, wenn es sich nicht gerade um Slowthai oder Little Simz handelt (ups – beide aus UK), aber die Sachen von früher aus USA (N.W.A., Wu Tang, Public Enemy, Ice-T, Biggie Smalls etc. usw.) finde ich immer noch klasse.

Daher freue ich mich, wenn mal wieder einer wie Killer Mike um die Ecke kommt und den Wumms und den Flow von damals um 1990 herum mit aktuellen Texten mischt. Killer Mike ist fast so alt wie ich und macht schon seit den frühen 2000ern Alben und außerdem ist er im Rahmen der „I can‘t breathe“-Kontroverse als eines der beiden Mitglieder von „Run The Jewels“ bekannt geworden, die mit ihren bisher drei Alben nicht nur das Feuilleton, sondern auch die Fans zeitgenössischer Sprechgesangmusik begeistert haben.

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