Von Matthias Bosenick (20.10.2023)
Ein merkwürdiger „Fall“, der auf weite Strecken eigentlich gar keiner ist, sondern eine Vision des Autoren-Zeichner-Gespanns Calle Claus und Christopher Tauber davon, wie es zwischenmenschlich bei den Drei Fragezeichen sowie Justus Jonas‘ Ex-Freundin Lys de Kerk und ihrem Bruder Yan so aussieht. Die Dynamik bekommen sie glaubhaft gemeistert und betten sie dann doch in kriminelle Geschehnisse ein, die um Kryptozoologen und Hollywood-Business kreisen und in einen Massenmordanschlag münden. Hier ist einiges besser gelungen als im vierten Comic mit den Wrestlern – und als in der Hauptserie sowieso. „Hotel Bigfoot“ ist eine wohlige Herbstlektüre, die über die nicht immer überzeugenden Zeichnungen hinwegsehen lässt.
Jemek Jemowit – Zemsta – Fabrika/Atypeek 2011/2023
Von Matthias Bosenick (19.10.2023)
Jemek Jemowit muss seit 2011 einiges an Gefolgschaft gewonnen haben, dass man sein Debüt „Zemsta“, das 2011 auf einem kleinen griechischen Label erschien, zwölf Jahre später erneut veröffentlicht – denn für eine erwartbare breite neue Hörerschaft ist es sicherlich nicht bestimmt, dafür ist es viel zu freakig. Wie der ganze Typ, der wiederum genau deshalb für Aufmerksamkeit sorgt, zumindest in Berlin, und was da passiert, ist ja seit jeher global relevant. Mit klar an den Achtzigern orientierten Synthie-Sounds kreierte Jemowit mit „Zemsta“ ein satirisches Album zwischen Proto-NDW, Minimal-EBM, Düster-Techno und Gruft-Rap. Wären die Beats fetter, fielen einige der Stücke in Ihrer favorisierten Gothic-Disco sicherlich gar nicht weiter auf. Bitte Zwischen DAF, Kraftwerk, Laibach und Die Trottelkacker einsortieren.
Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Friesland: Heiter bis tödlich – Hinterm Deich lauert das Seemannsgarn
Von Onkel Rosebud
Der Lieblingswitz meiner Freundin während Corona ging ungefähr so: Die Bewohner Norddeutschlands fordern die Abschaffung des vorgeschriebenen Sicherheitsabstandes. Sie wollen ihren alten Abstand von drei Metern zurück.
Diese Art Humor fasst gut zusammen, was den nordisch-spröden Witz, der mittlerweile seit dem Jahr 2014 in siebzehn im ZDF erschienenen „Friesland“-Filmen ausmacht: Die kleine Welt der Ostfriesen und ihr leiser Humor, der im Möwengekreisch untergeht. Die Serie gehört in die Rubrik „Lustiges aus der Provinz“. Für sie wurde das Unwort „Schmunzelkrimi“ erfunden. Und für gebührenfinanziertes Fernsehen made in Germany ist es nahezu ein großer Wurf: Die Geschichten sind unaufgeregt erzählt, liebevoll inszeniert, launig, mit einer gut bemessenen Dosis Tragik gewürzt. Meistens plätschert die Handlung tempoarm vor sich hin, um jäh von Kurzweiligkeit abgewechselt zu werden. Aber vor allem sind die Filme durchweg nicht langweilig. Das macht sie schon mal zu einem hiesigen Qualitätsprodukt und die Einschaltquoten bestätigen das. Samstagabend zur besten Sendezeit haben die bisher erschienenen „Friesland“-Episoden im Durchschnitt einen Marktanteil von über 22%, Tendenz steigend. Für lineares Fernsehen ist das heutzutage eine Sensation. Disney+ hat das auch mitbekommen und einige Folgen in das Portfolio aufgenommen.
WeiterlesenCrabe – Visite du temple inné – Les Disques Dure Vie 2023
Von Matthias Bosenick (18.10.2023)
Eine Vorstellung, die hämisch kichern lässt: Leute hören den Song „Je ne peux pas te dire je t’aime“, der an fröhliche Neo-Folk-Popsongs à la Momford & Sons erinnert, und kaufen sich das dazugehörige Album „Visite du temple inné“ des Duos Crabe aus Montréal. Und bekommen den Gegenentwurf zu Teenage-Wohlfühl-Indie-Tralala um die Ohren geschallert, dass diese nur so bluten: Ein aufgekratzt auf der Basis von Punk durchgedrehter Mix aus Mathcore, Metal, Kirmes, Synthiezeug, Swing, Pop und lauter unbenennbaren Elementen, die deshalb unbenennbar sind, weil es für so einen kreativen Krach einfach noch keine Bezeichnungen gibt. Das offenbar achte Album von Crabe ist ein vertontes Kettenkarussell, das irrsinnig eiernd auf einem unsortierten Schrottplatz rotiert. Mon dieu!
Hidden Orchestra – To Dream Is To Forget – Lone Figures 2023
Von Matthias Bosenick (17.10.2023)
So versteckt ist das Orchester von Joe Acheson aus Edinburgh gar nicht: „To Dream Is To Forget“ ist mindestens das sechste Album des Hidden Orchestra seit 2010, und darauf ist auch die Musik nicht versteckt. Obschon das Projekt eher im getragenen Tempo operiert, verharrt es nicht in Stille, die instrumentalen Tracks sind deutlich wahrnehmbar und zwischen Neo-Klassik, Jazz und Electro-Downbeat verortet, mal abwechselnd, mal vermengt dargeboten. Tempo kommt mit den eingebauten Elementen in die Tracks, an vielen Stellen neigt die Musik zum Zappeln und der Hörende gleich mit, dass der Chantré nur so im Schwenker schwappt. Ein Traum!
The National – Laugh Track – 4AD 2023
Von Guido Dörheide (16.10.2023)
Fun Facts vorab: Die fünf Mitglieder von The National haben insgesamt nur drei Mütter und drei Väter und nur vier verschiedene Geburtstage. Neben Matt Berninger (Gesang) besteht The National aus den beiden Brüderpaaren Bryce (Gitarre, Keyboards)/Aaron (Gitarre, Bass, Keyboards) Dessner und Bryan (Drums)/Scott (Bass, Gitarre) Devendorf, wobei es sich bei den Dessners um Zwillinge handelt.
Aaron Dessner bildet zudem mit Justin Vernon von Bon Iver das Indie-Rock-Duo Big Red Machine. außerdem war er am Songwriting und an der Produktion für Taylor Swifts beiden Folk-Alben „Folklore“ und „Evermore“ beteiligt, und an letztgenanntem Album haben auch Justin Vernon, Matt Berninger und Bruder Bryce mitgewirkt. Aufzuzählen, in welchen Produktionen einzelne Mitglieder von The National noch überall ihre Finger drin haben, würde hier den Rahmen sprengen; auf jeden Fall sind The National in der kontemporären Populärmusik so weit verwurzelt, dass diese ohne sie nicht das wäre, was sie ist. Eine ganz tolle Sache nämlich, die glücklich macht und dem Leben einen Sinn gibt.
WeiterlesenAllah-Las – Zuma 85 – Innovative Leisure/Calico Discos 2023
Von Guido Dörheide (16.10.2023)
Böse Zungen, also in allererster Linie ich selbst, behaupten, dass ich in letzter Zeit hier nur Extreme Metal bespreche. Und sie haben Recht. Hier nun also, als lange fälliger Kontrastbeitrag, mal eine Neo-Psychedelic-Jangle-Pop-Rezension, über ein Album, das sich so nach und nach als apseluter Kritiker*innenliebling herauskristallisiert: „Zuma 85“, das vierte Album der Allah-Las. Wäh? Sommer 85 von À la Lars? Ja, bescheuerter Bandname hin, bescheuerter Albumtitel her, das Teil ist einfach klasse, und beim langsam in den Oberharz einbrechenden Winter (Winterreifen sind drauf seit Samstag! Hell yeah, fuck yeah!!!) ist „Zuma 85“ genau das, was wir jetzt brauchen können, um vom Sommer nun langsam in den Herbst hinübertreten zu können.
WeiterlesenOcean Of Lotion – LouiLouiLoui – Apollon Records 2023
Von Matthias Bosenick (16.10.2023)
„Motion in the ocean / oooh-aaah!“ Mit den B-52’s hat das westnorwegische Projekt Ocean Of Lotion abseits der Phonetik indes nichts zu tun. Die Band aus Bergen wagt zwar auf ihrem zweiten Album „LouiLouiLoui“ einen Blick zurück in die Achtziger, aber in die synthetisch grundierten federleichten. Ein Bisschen Aneka, ein Bisschen Fancy, ein Bisschen Grauzone, ein Bisschen Queen, mit etwas E-Gitarre, ab und zu ein Saxophonsolo, zweistimmiger Gesang, instant Ohrwurmgarantie, hedonistische Gute-Laune-Brausepulver-UFOs und „Cats In Space On Synthesizers“. Noch Fragen?
Alkaloid – Numen – Season Of Mist 2023
Von Guido Dörheide (15.10.203)
Extreme Metal aus Deutschland ist manchmal schon sehr extrem und manchmal auch einzigartig. Wir erinnern uns an Necrophagist, auf deren drittes Album wir seit 2004 warten wie dereinst auf eine weitere musikalische Äußerung von Syd Barrett, und an die immer noch aktiven Obscura, die uns seit ebendiesem 2004 mit immer weiteren tollen Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Technical Death Metal begeistern.
Alkaloid ist eine deutsche Extreme-Metal-Supergroup, die 2015 mit „The Malkuth Grimoire“ für Aufsehen gesorgt hat und die ihren exzellenten Ruf 2018 mit „Liquid Anatomy“ weiter festigen konnte. Wer sind nun diese „Alkaloid“? Es handelt sich um niemand Geringere als Hannes Grossmann (dr), Ex-Obscura, Ex-Blotted-Science (zusammen mit Ron Jarzombek, DEM Ron Jarzombek von Watchtower und Spastic Inc. [NIIEEMALS zu verwechseln mit Mono Inc.] UND Alex Webster von (!!!!) Cannibal Corpse), Christian Münzner (git) (Ex-Obscura, Ex-Spawn-Of-Possession, Ex-Necrophagist), Linus Klausenitzer (b) (Ex-Obscura) sowie Morean (voc, git) am Gesang und der Gitarre. Alkaloid klingt also zunächst von der Papierform mal etwas Obscura-lastig, aber so hören sie sich nicht an. Münzner ist einer DER deutschen Extreme-Metal-Gitarristen, und Hannes Grossmann ist in etwa Münzners Entsprechung als Schlagzeuger. Beide haben Soloalben herausgebracht, auf denen man sich von ihrer Fähigkeit als Bandleader überzeugen kann, und mit Linus Klausenitzer haben beide bei „Eternity’s End“ zusammengespielt. Eine illustre Runde nicht ganz so alter Männer also, die hier bei Alkaloid versammelt ist.
WeiterlesenCannibal Corpse – Chaos Horrific – Metal Blade Records 2023
Von Guido Dörheide (14.10.2023)
Seit nun schon sagen wir mal 1988 gibt es Cannibal Corpse, seit 1991 machen sie Alben, zunächst mit Chris Barnes als Sänger (jetzt SFU – Sachen für Unterwegs Six Feet Under), wir erinnern uns an wunderbar geschmackvolle und dezente Kleinodien wie „Hammer Smashed Face“, „I Cum Blood“ oder „Fucked With A Knife“ – nicht nur Tipper Gore (hihi, die muss mit DEM Nachnamen ausgerechnet rumpupen, wenn es um blutrünstige Lyrik und geschmackloses Album-Artwork geht), sondern auch Christa Jenal aus dem Saarland waren empört und in Deutschland konnte lange Jahre kein CC-Album mit dem Originalcover erscheinen – und seit nun auch schon 1995 ist der stiernackige Erzsympath George „Corpsegrinder“ Fisher Sänger bei Cannibal Corpse. Er klingt nicht weniger brachial als sein Vorgänger, aber irgendwie berechenbarer, bodenständiger und vor allem (OK, eventuell ist das der sich wandelnden Produktion der CC-Alben zu verdanken) auch hörbarer.
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