Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Epic-Fails – Musikwünsche an den DJ – Folge 1

Von Onkel Rosebud

Wie im Verlauf dieser kolumnistischen Retrospektive einer jahrzehntelangen DJ-Karriere schon das eine oder andere Mal durchsickerte, ist dem Autor Misanthropie nicht ganz fremd. Nun liegen bei mir nicht Bücher von Thomas Jelinek und Elfriede Bernhard auf dem Nachttisch, dafür von Max Goldt oder Peter Stamm. Von Ersterem ist aus dem Buch „Quitten“, Kapitel „Alte Pilze“, Vers „Hyppytyyny Huomiseksi“, überliefert, dass ein DJ maximal herausgefordert und erniedrigt werden kann, wenn man sich bei ihm Billy Joel mit dem Song „Uptown Girl“ wünscht. Ich habe sofort verstanden, was mein großes Vorbild, Onkel Max, bekannt für seine Kolumnen in „Ich und mein Staubsauger“, dann in der „Titanic“ und natürlich als Frontmann der besten NDW-Band der Welt, Foyer des Arts, damit meint: Der Schallplattenunterhalter, der dieses Lied spielt, wird einsam sterben.

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Anuseye – Right Place, Wrong Time – Go Down Records/Vincebus Eruptum 2023

Von Matthias Bosenick (22.11.2023)

Geil, geht gleich los mit einem Bass-E-Gitarre-Groove, wie man ihn sich mitreißender im psychedelischen Stoner-Rock-Bereich nicht ausmalen kann: Mit „Right Place, Wrong Time“ holen Anuseye aus Bari den Kiffermuckefan nicht nur da ab, wo er steht, sondern bringen ihn auch da hin, wo er hingehört: in erweiterte Zustände, aber mit Feuer nicht nur am Ende des Joints, sondern auch unterm Hintern. Es braucht vier Songs, um erstmals in zugedröhnt-taumelige Sphären abzudriften, und fünf, um sich mal vor dem Kühlschrank herumlungernd auszuruhen, ansonsten mostet das Quartett meistens mächtig vorwärts. Auch wenn Anuseye dem Genre treu dienlich sind, hört man sie immer heraus; liege es an Claudio Colaiannis zurückgelehntem Gesang, an den ungewöhnlichen Akkordfolgen oder an den immerhin noch dezent eingestreuten Experimenten. Das Vinyl ist türkis, die drei fehlenden Songs der Streaming-Variante dieser wechselvollen Reise um die Welt gibt’s im Download obendrauf.

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Myrkur – Spine – Relapse Records 2023

Von Matthias Bosenick (10.11.2023)

Weiterentwicklung, so wichtig, um kreativ nicht auszubrennen oder sich grundlos zu wiederholen! Hört man sich durch das Oeuvre von Ammalie Bruuns Alter Ego Myrkur, bekommt man diesen Ansatz mehr als bestätigt: vom Ein-Frau-Black-Metal-Projekt über Kammerchor und Folklore zu – nun: Pop. Ein Zirkelschluss mithin, denn mit ihrer früheren Band Ex Cops machte Bruun bereits Rockpop, aber anders gelagert: Auf „Spine“ schwingen Abba mit, man mag es nicht glauben, und etwas Roxette vielleicht. Und Europe. Sehr schwedisch für eine Dänin! Und doch bei weitem nicht so glitzernd: Ihre Dunkelheit streift Bruun nicht ab, die Abgründe finden einen Platz in dieser schönen Musik, mit der sie ihre Mutterschaft bewältigt. Aber kurios ist die Entwicklung schon, an der auch noch Billy Corgan von den Smashing Pumpkins beteiligt ist. Um es ihrer Gemeinde trotzdem leichter zu machen, bringt sie außerdem auch sämtliche ihrer bisherigen Sounds auf „Spine“ unter, und es passt formidabel.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Analog ist besser.

Von Onkel Rosebud

Neulich im Plattenladen: Der Vinyldealer meines Vertrauens hat gerade, also 11 Uhr an einem Samstagvormittag, den Verkaufsraum der Öffentlichkeit zugängig gemacht. Er redet eigentlich nicht gern viel. Heute hat er aber einen guten Tag, weil er weiß, dass ich gleich fast 400 € ausgeben werde. Ich habe eine Sammelbestellung mit beinahe vergriffenen Ausgaben aufgegeben, für die er sein ganzes Können aufbieten musste, um diese zu besorgen. Und ich zahle in bar. Das lockert die Zunge. Wir fangen munter an zu plaudern und irgendwann erzählt er von Musikern, die in unserer Stadt aufgetreten sind und sich die Zeit zwischen Soundcheck und Auftritt damit vertrieben, in seinem Laden vorbeizuschauen. Weil sein Laden „irgendwie im Lonely Planet angepriesen wird“.

Aber bevor ich ausplaudere, was diverse Helden der Popkultur bei ihm gekauft haben, folgt ein kurzer Exkurs über die schreckhafte Spezies der Vinyl-Connaisseure.

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Sigur Rós – Átta – Krúnk 2023

Von Matthias Bosenick (12.10.2023)

„Ata, Ata, Ata / In die Kneipe geht der Vatter“, zitierten einst Studio Braun einen Fünfziger-Jahre-Beischlafverweigerungswitz, und der hat rein gar nichts mit „Átta“ zu tun, dem nach zehn Jahren Pause nunmehr achten („Átta“, Isländisch für acht, juhihu!) Album der isländischen Eskapismus-Postrocker Sigur Rós. „Juhihu“, kopfsingt Jónsi in beatlosen Watteräumen, und man stellt fest, dass man dem inzwischen reichlich entwachsen ist, was einem noch vor 20 Jahren so musikalisch die Seele streichelte. Hohe Töne machen glücklich, heißt es, das mag für einige Leute zutreffen, anderen hingegen gehen sie vielmehr auf die Nerven, und selbst als jahrzehntelanger Fan stellt man fest, dass man längst zur zweiten Kategorie gehört.

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Aphex Twin – Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760 – Warp Records 2023

Von Matthias Bosenick (05.10.2023)

So hätte es vermutlich geklungen, wenn der Richard D. James von heute seinen Aphex-Twin-Glitch in den Achtzigern schon produziert hätte: Die EP, deren gewohnt kryptischen Titel „Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760“ man länger zu lesen braucht als die vier Tracks zu hören, ist erfreulich rhythmisch und trotz der angewandten Manipulationen entspannt hörbar. Es sind melodische Tracks, die man sich im Radio dennoch nicht vorstellen kann, dafür bastelt der Ire da viel zu viel dran herum, aber er baut Sounds ein, die man aus dem Synthiepop der Achtziger kennt. Wie man diese Tracks damals wohl aufgenommen hätte? Auf Kassette!

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The Smile – Europe: Live Recordings 2022 – XL Recordings 2023

Von Matthias Bosenick (05.10.2023)

Die dreiköpfige Supergruppe The Smile ist mehr als nur ein hochkarätiges Studioprojekt, die Briten können ihre Kunstrockmusik auch live darbieten, und wer im zurückliegenden Jahr die Konzerte verpasste, bekommt die Möglichkeit, auf dieser 12“ einiges nachholen zu können. Fünf der sechs Songs sind dem Debütalbum „A Light For Attracting Attention“ entnommen, eines, „Feelingpulledapartbyhorses“, ist ein von Jonny Greenwood komponierter Radiohead-Song, den Sänger Thom Yorke 2009 als Solo-Single herausbrachte. Diese EP präsentiert nun auf der A-Seite die knackigeren Stücke, die Songs sind nervös hektisch und eignen sich besser zum Durchhören als das Album, und auf der B-Seite die gebremsten Experimente, denen man sich in aller Ruhe widmen muss. Kurios: Aus den Streaming-Angeboten ist die EP wieder verschwunden, man muss also schon die limitierte Vinyl-12“ haben.

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Automat – Heat – Compost 2023

Von Matthias Bosenick (29.09.2023)

Was macht man in der Hitze für Musik an? Chillige, trippige, dubbige am besten. Also „Heat“ von Automat, der Indie-Supergruppe minus Jochen Färber, der nicht mehr mitspielt. Dafür gibt’s einen Stapel anderer Gäste, die in Wort und Ton das Ihrige zu dieser organisch-elektronischen Reggae-Dub-Downbeat-Kopfnick-Chillplatte beitragen. Bassist Zeitblom, Schlagzeuger Achim Färber und Keyboarder Max Loderbauer fläzen sich am Jamaikanischen Strand, den sie eigens in einem Berliner Club aufhäuften, und knabbern an einem Toast aus London. Hier haben sogar die bunten Getränke ein Echo. Und die Musik ist so warm wie der Titel des Albums, das es physisch überdies ausschließlich als Doppel-LP gibt.

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Spear Of Destiny – Ghost Population – Easterstone 2022/2023

Von Matthias Bosenick (22.08.2023)

Kirk Brandon macht einfach verlässlich gute Musik, egal, mit welchem Projekt, ob Theatre Of Hate, Dead Men Walking oder Spear Of Destiny. Von letzterer Band gibt’s aktuell mit „Ghost Population“ eine neue LP, mit Rockmusik, melancholisch und kraftvoll, sehr melodisch und gesanglich inbrünstig, der Mann hat aber auch eine unverwechselbare, ausdrucksstarke hohe Stimme. Man kann es nicht weniger lieben als jedes andere Stück Musik, an dem Brandon beteiligt ist. Und so recht musikalisch voneinander trennen kann man seine Projekte auch nicht, aber das macht nichts, man bekommt immer Qualitätsmusik aus dem Londoner Postpunk-Waverock-Umfeld. Er hat ja auch immer versierte Leute mit dabei.

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Man On Man – Provincetown – Polyvinyl Records Company 2023

Von Matthias Bosenick (04.08.2023)

Kaum in Kalifornien angekommen, um die sterbende Mutter des einen zu begleiten, zwang Corona das New Yorker Paar Roddy Bottum und Joey Holman in die Isolation – wie fast alle Menschen der Erde, klar. Aus der Not gebaren die beiden Musiker ein On-The-Road-Recording-Projekt, nannten es Man On Man und behandelten auf dem selbstbetitelten Debüt schwul-queere Themen zu süßen Melodien und gitarrenunterfüttertem Electro-Poprock. Zwei Jahre später gibt’s mit „Provincetown“ Nachschlag, im ähnlichen Sound, doch mit einer weniger hellen Stimmung. In der vermeintlichen Süßlichkeit mancher Arrangements und Melodien liegt etwas nicht immer nur unterschwellig Aggressives, etwas Melancholisches, etwas Genervtes. Gut so: Eine pure Hedonismusplatte wäre ja auch nicht zu ertragen gewesen. Auch wenn sie Babyblau ist.

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