Von Matthias Bosenick (26.05.2023)
Ausschließlich auf Kassette ist die neue EP „Reflected In“ des Warschauer Trios Rosa Vertov (Eigenschreibweise in Minuskeln) in physischer Form zu haben, und das ist schick und lohnt sich auch, die fünf Songs sind wundervoll anzuhören. In seligen Dreampop-Gefilden bewegen sich die drei Musikerinnen, sie singen ätherisch zu introvertiertem Indierock, lassen dabei aber den Weichzeichner weg, schlagen die verstärkten, aber nicht verzerrten Gitarren hart und deutlich an, deutlicher noch als das Schlagzeug, das auch mal behutsam loslegt. Träumerisch und wachrüttelnd in einer EP. Zeitlos und gut!
Archiv der Kategorie: Tape
Machyyre – Widderschädelmixtape II – Xchnum Miiimiiikry 2020
Jonas Kolb gehört definitiv zu denjenigen, die die erzwungene Coronazurückgezogenheit beflügelt: Unablässig produziert er Album um Album, unter den verschiedensten Aliassen und auf den verschiedensten Medien. Sein zweites „Widderschädelmixtape“ als Machyyre ist schon überholt, sobald man es nur einmal durchgehört hat. Das mit dem Mixtape stimmt doppelt: Der Schöninger veröffentlicht das Album auf Kassette und die Musik darauf stellt einen wilden Querschnitt durch sein Schaffen dar, von Black Metal über Gothic, Industrial und Kammermusik bis Spoken Word und Synthpop. Der Widderschädel im Titel gibt zudem grob die inhaltliche Richtung vor. Und im beigelegten Downloadcode wartet eine Merkwürdigkeit.
WeiterlesenTaba – Sen o Czarnej Drodze – Enjoy Life 2021
Von Matthias Bosenick (19.03.2021)
Sie hält sich einfach nicht an handelsübliche Songstrukturen, egal, ob mit dem Duo Nac/Hut Report oder wie hier auf ihrem Solo-Debüt: Die Musik von Jadwiga Taba aus Krakau folgt keinen vertrauten Strukturen, sie klingt nebulös, versponnen, ungreifbar. Nur nicht so zerhackt, wie wenn sie mit ihrem Duokollegen LM zusammenarbeitet, verglichen damit also beinahe zugänglich. Dennoch, Taba ist so eigenständig und einzigartig, wie man es 2021 kaum noch erwartet. „Sen o Czarnej Drodze“ gibt es sympathischerweise physisch nur als Kasetka.
WeiterlesenPetrolio – GLVWXUER#DQVLD#JHQHUDOL]]DWR – HgM Music 2020
Von Matthias Bosenick (19.06.2020)
Oldschool-Industrial, der aus Störgeräuschen und Atmosphären besteht, ohne Gitarren und ohne plakative Samples: Petrolio verstört und zerstört auf seiner neuen EP mit dem programmatisch-sperrigen Titel „GLVWXUER#DQVLD#JHQHUDOL]]DWR“. So ungefähr klingen die vier Stücke auch. Nichts für die Electro-Disco, sondern fürs gepflegte Chillen daheim, wenn man ansonsten auch zu Free Jazz und Black Metal zu chillen in der Lage ist und gerade kein beklemmender Horrorfilm im Stream läuft. Diese EP des Italieners gibt‘s natürlich standesgemäß physisch nur als Tape!
Nac/Hut Report – Transmisja Z Przesilenia – Crunchy Human Children 2020
Von
Matthias Bosenick (16.04.2020)
Eines der wohl kuriosesten
Musikprojekte der Erde setzt seinen Weg unbeirrt fort: Die Musik des
Duos Nac/Hut Report aus Kraków ist eigentlich keine, denn es gibt
keine Rhythmen, so gut wie keine Melodien, und die Stücke sind nicht
einmal überhaupt durchgehend gespielt, sondern ständig
unterbrochen, zerhackt. Das Merkwürdigste daran ist aber wohl, dass
die Alben trotzdem hörbar und sogar schön sind. Wenn man sich daran
gewöhnt hat. Das neueste Album gibt es dieses Mal physikalisch
ausschließlich als Tape.
Petrolio – L+Esistenze – Petrolio 2018
Von
Matthias Bosenick (20.05.2019)
Industrial alter Schule
widmet sich Enrico Cerrato aus Asti unter seinem Alias Petrolio,
nicht der harschen, plakativen Sorte, sondern der mit Soundscapes,
Atmosphären, Drones und experimentellen Effekten, die allesamt sogar
Raum für songähnliche Strukturen lassen. Mit seiner jüngsten
Veröffentlichung „L+Esistenze“ erfüllt er sich einen Traum,
indem er sechs von ihm verehrte Musiker an seinen Tracks teilhaben
lässt, darunter auch Jochen Arbeit von den Einstürzenden Neubauten
und von Automat. Das Album gibt es auf Vinyl und Kassette mit jeweils
unterschiedlichen Inhalten. Beide Varianten lohnen sich: Cerrato
macht mit Noise etwas Entspannendes, eher dem Black Gaze ähnlich als
dem Harsh Electro.
Afsky – Sorg – Vendetta/Broken Silence 2018
Von Matthias Bosenick (29.05.2018)
Für die mondlosen Nächte muss ein Soloprojekt her: Deutlich persönlicher als mit seiner Hauptband Solbrud verarbeitet Sänger und Gitarrist Ole Luk aus Kopenhagen das, was ihn bewegt, mit Afsky. „Sorg“ stellt das erste volle Album dar, das zwar auf Black Metal basiert und damit die Nähe zu Solbrud belegt, indes eine andere musikalische Farbe und weit mehr Melancholie in sich trägt. Und Ausflüge abseits der Wege, in Richtung Doom und skandinavische Folklore etwa, letztere beigesteuert von der geistesverwandten Gastmusikerin Myrkur. So nahe liegen Freundschaften bisweilen.
Dominic Razlaff – Gentle – Beluga 2017
Von Matthias Bosenick (03.09.2017)
Wie jemand im Grunde mit nur einem einzigen Sound derart viele verschiedene Stimmungen erzeugen kann: Das ist die große Kunst im Ambient. Dominic Razlaff alias DR aus Braunschweig kann das. „Gentle“ ist eines seiner jüngsten Produkte (das wie vielt jüngste, weiß man bei dem Vielveröffentlicher nie so genau), und es erscheint als Kassette mit nur einem fast 20 Minuten langen Track. Man könnte es als Einschlafmusik bezeichnen, das funktioniert bestimmt ganz gut, aber dann versäumt man einen schieren Atlas an akustischen Landschaften.
Dominic Razlaff – September 2015 – Stuklabel 2016
Von Matthias Bosenick (27.11.2016) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog
Es bewahrheitet sich: Das Tape erfährt derzeit ein Revival, das, anders als das der LP, einfach mal nicht so erwartbar war. Was will man mit diesem Plastikgehäuse mit einem Magnetband drin, das beim Abspielen seine eigene Auflösung initiiert? Aber wofür gibt es denn Downloadcodes. Bevorzugt ist dieses Medium übrigens in den Genres Black Metal und Ambient zu finden. Der Braunschweiger Dominic Razlaff alias DR bestätigt dies mit seinem frisch auf dem japanischen Stuklabel erschienenen Album „September 2015“, das er mit einem beatlosen Ambient befüllt. Seine Spezialität sind bis zur Unkenntlichkeit verfremdete Field Recordings, die er in seine Synthiemodulationen einwebt. Er selbst spricht von Drone, aber der Begriff klingt viel dunkler als die Musik, die man tatsächlich zu hören bekommt.
Harri Kauppinen – Helvetin laulut – Concorde Music Company/Inverse Records 2016
Von Matthias Bosenick (31.08.2016)
Ein einsamer Mann mit langen, dünnen schwarzen Haaren, die unter einer schwarzen Wollmütze hervorsprießen, sitzt im herbstwinterlich kahlen Wald und tippt murmelnd auf seiner Schreibmaschine herum. Zwischendurch holt er seine Klampfe heraus und intoniert dunkle, doomige, folkige Gothicrocksongs auf halblustigem Finnisch. „Höllenlieder“, wie der Albumtitel „Helvetin laulut“ übersetzt heißt. Harri Kauppinen war einst Sänger der Darkmetaler Beyond The Dream, von denen auch keiner je etwas gehört hat. Sein Debyyttialbumi indes überrascht: Besonders der harte finnische Zungenschlag, den man dank Eläkeläiset eher in Lustig kennt, kontrastiert den gar nicht so stark klischeebeladenen schleppenden Gruftrock sehr angenehm.