Von Matthias Bosenick (10.07.2023)
Nachdem die Comics von Raymond Macherot ohnehin erst verspätet und dann noch stiefmütterlich in Deutschland publiziert wurden, besinnt sich der Carlsen-Verlag jetzt des belgischen Comiczeichners mit der klaren Linie und bringt dessen Debütalbum inklusive Fortsetzung um den anthropomorphen Anti-Disney-Gartenschläfer (keine Brillenmaus!) Anatol (im Original Chlorophylle) neu getextet (der Hinweis darauf fehlt komplett, sieht man davon ab, dass mit Marcel Le Comte der gegenwärtige Carlsen-Standard-Übersetzer erwähnt ist und nicht Uta Benz-Lindenau), mit einigen Ergänzungen und als Hardcover abermals nach 1983 in den Handel, jetzt mit „gegen“ statt „und“ im Titel. Man spürt diesem Doppelband an, dass der Zweite Weltkrieg 1956 noch tief saß; nicht, dass es hier explizit gegen Nazis geht, aber der Überfall einer Rattenpopulation auf ein friedliches Tal voller lieblicher Kleintiere, die in den Widerstand gezwungen werden, legt gewisse Assoziationen nahe. Diese Neuauflage darf der Anlass sein, dieses Mal mehr als nur sieben Bände in fünf Büchern und auch nur mehr als diese Serie herauszubringen; „Sibylline“, „Mirliton“, „Isabelle“ und „Chaminou“ drängen sich noch auf, um „Percy Pickwick“ hingegen braucht man sich ja keine Sorgen zu machen.
Archiv der Kategorie: Klassiker
Phillip Boa And The Voodooclub – Boaphenia 30 – Capitol/Universal 2023
Von Matthias Bosenick (14.06.2023)
Schon wieder versteckt Phillip Boa ein neues Album hinter alter Musik, schon wieder veröffentlicht er „Boaphenia“ mit Bonus, schon wieder fühlt man sich als Allessammler abgezockt. Zehn neue Songs spielte Boa mit seinem gegenwärtigen Voodooclub ein, nennt das so entstandene Album „The Porcelain Files“ und verkauft es ausschließlich an die Leute, die die erweiterte Neuauflage seines 30 Jahre alten Indiepoprock-Hit-Albums „Boaphenia“ erwerben. Heißt: Man gibt zwischen 20 und fast 70 Euro dafür aus, je nach Format, Doppel-CD oder dicke Box mit noch mehr Bonus. Im Geiste von und auf Basis verworfener „Boaphenia“-Songs sei das neue Material entstanden, inklusive Pias gesampelter Stimme, und diesen Hinweis hätte es eigentlich nicht gebraucht, es ist Phillip-Boa-Musik, sie ist großartig – aber längst nicht mehr so räudig wie die seines halb so alten Alter Egos. Abermals reichen sich bei Boa frech und grandios die Hand. Man möchte einen anderen Ruhrpottmusiker zitieren: Was soll das?
Kaltmiete – 300,- DM inkl. NK – Bauchpfannen Aufnahmen 2022
Von Matthias Bosenick (23.01.2023)
Das ist nun wirklich ein Fest: Das Label Bauchpfannen Aufnahmen bringt das Debüt, Demos, Samplerbeiträge und Singles der damals von Fachpostillen wie Intro und Visions gefeierten Braunschweiger Indierockband Kaltmiete neu als Doppel-CD heraus (im Stream sind die Songs der Bonus-Demo-CD nicht enthalten – physisch kaufen ist also ein Muss!). Was für Ohrwürmer, was für eine Zeitreise: „Halbbesoffen ist weggeschmissenes Geld“, „Der fette MC hat mein Leben zerstört“, „Ich wär‘ so gerne Bassist in einer amerikanischen Indierockband“ – Hits über Hits aus der Zeit zwischen 1996 und 1998, zwischen Black-Sabbath-Doom, Ska, Noiserock, Riffrock, Hardcore, Punk, Indierock und Crossover. Mit Humor, einer vereinzelten Flöte und dem Wunsch nach einer zusätzlichen Live-CD mit den fehlenden Songs aus den Jahren 1999 und 2000. Und einem dritten Album von Kaltmiete überhaupt, das zweite, „Auf Wiedervorlage“, ist auch schon wieder acht Jahre alt!
David Gilmour – Rattle That Lock – Astoria 2015 (KrautNick-Beitrag # 1000 auf WordPress (also ohne die html-Prä-Seite)
Von Guido Hörster (16.11.2022)
Hi,
gestern bin ich beim Durchhören meiner mp3-Sammlung bei David Gilmours „Rattle That Lock“ vorbeigekommen. Welch eine grausame Platte:
Pink Floyd – The Wall – Harvest/Columbia 1979
Von Guido Hörster (09.11.2022)
Hi,
ich höre gerade „zwangsweise“ von Pink Floyd „The Wall“, und ich beginne, mich mit der Scheibe zu versöhnen. Ich hatte über dreißig Jahre einen großen Bogen um die Scheibe gemacht, da sie in meiner Erinnerung zuwenig nach den „Pink Floyd“ klang, die ich so mochte. Hier eine nicht vollständige Liste von Ablehnungsargumenten der Vergangenheit und wie ich heute darüber denke:
Straight Shooter – 4 Alben – Sky Records/Sireena 1978-1983/2022
Von Matthias Bosenick (20.07.2022)
Was buddeln die Leute von Sireena denn jetzt wieder aus? Straight Shooter, eine Hardrockband aus Düsseldorf, die zwischen 1978 und 1984 aktiv war. Vier von fünf Alben veröffentlichen die Bremer nun verteilt auf zwei CDs und lassen offen, warum das zweite Album nicht dabei ist. Man begleitet das wechseln besetzte Quin- bis Sextett chronologisch eigensinnig auf seinem Weg vom tighten Orgelrock zur Discofizierung und mithin zur Auflösung, weil sich dann doch nicht so viele Leute für diese Transformation begeistern konnten. Als Zeitdokument sind diese beiden CDs aufschlussreich und bergen so manche Perle, die offenbar sogar in lokalen Barfußtanzdiscos zu Clubhits wurden. Ah nee, der Song war ja auf dem zweiten Album. Dennoch: Es geht geil los mit ausufernd georgeltem Hardrock, der sich international gar nicht zu verstecken gebraucht hätte.
Nachruf: Willi Resetarits – Kurt Ostbahn und die Chefpartie – Liagn und Lochn – Amadeo 1989
Von Guido Dörheide (25.04.2022)
Ja wos an Scheeß – der Willi Resetarits ist tot. Da er schon vor wenigen Jahren die 70 überschritten hat, war eh klar, dass diese Nachricht irgendwann kommen müsste – aber ehrlich – gerade heute, mit gerade mal 73 Jahren, war das echt viel zu früh. Und dann noch aufgrund eines tragischen Unfalls im Haushalt – das Leben schreibt echt die traurigsten Drehbücher. Hatte auch einst Wolfgang Ambros meine Liebe zum Austro-Pop entfacht – erst Ostbahn-Kurti schaffte es, mich dermaßen für Rockmusik mit österreichischer Sprache zu begeistern, dass er inzwischen für mich das absolute Synonym des Austro-Pop, Austro-Rock und Austro-Blues darstellt.
WeiterlesenSkim – Skim – Schneider Collaborations 2022
Von Matthias Bosenick (04.04.2022)
Endlich. Endfuckinlich!!!! Generationen von Indie- und Noiserock-Fans warten auf diesen Moment: Das bislang unveröffentlichte und absolut zeitlose Album des temporären Projektes Skim ist – um es zu wiederholen – endlich! verfügbar, als Download bei Bandcamp und als CDr im Digipak. 20 Jahre lang lag diese Preziose in einer Schublade, jetzt atmen die Freunde rheinischer Lärmmusik auf, die auf den Pfaden von BluNoise, Yvonne Nußbaum, Jörg A. Schneider und Carsten „Cazy“ Schmidt unterwegs sind: „Skim“ von Skim ist da. Und das Album ist gut, Noiserock in entspannt, pianodominiert, elektrifiziert, songorientiert – und der Hörer hyperventiliert. Übrigens inklusive der zur Legende gewordenen Coverversion von „Blueprint“, im Original von den Rainbirds. Und Guido Lucas war hier beteiligt. Und: Endlich!!!
The Absurd – Cancel The Wall – Bent Knee Records 2021
Von Matthias Bosenick (31.01.2022)
Keine vier Jahre alt, erfährt das Debütalbum von The Absurd aus Los Angeles die bereits dritte Wiederveröffentlichung, dieses Mal als „Cancel The Wall“. Physisch leider nur als CDr, außerdem mit anderen Tracks als im Begleit-Download, aber hey, allein für den Hit „Boots On The Ground“ ist es den Erwerb wert. Die Trump-Anleihe des Ur-Titels „Build The Wall“ ist inzwischen umgekehrt, da ist man politisch eindeutiger geworden. Musikalisch bewegt man sich mit Black-Sabbath-Anleihen nahe am Stoner, rifft wuchtig, schreit eindringlich, groovt amtlich, gniedelt episch, und dem Zuhörer bricht der Nacken, wenn er gerade keinen Platz zum Tanzen hat. The Absurd sind lediglich zu dritt – und da steckt mächtig gewaltige Gewalt drin!
The Perc Meets The Hidden Gentleman – Lavender – Strange Ways/Sireena 1991/2021
Von Matthias Bosenick (20.01.2022)
Das Hit-Album, man könnte bald die abgelutschte Bezeichnung „Kult“ heranziehen, von The Perc Meets The Hidden Gentleman ist 30 Jahre später wieder auf CD und Vinyl erhältlich: „Lavender“ klingt trotz seiner Gothic-Gäste (Alexander Veljanov, Jochen Schoberth, The Voodoo, Achim Färber) nicht nach Gothic, und in der Rückschau freut man sich, dass damals noch die Mucke vor der Tanzflächentauglichkeit stand – Clubhits hat das Album nämlich aus heutiger Sicht keine, ist aber trotzdem ein Hit. So war das 1991, an der Schnittstelle zwischen Synthiepop und Grunge, als Dutzende grandioser Alben herauskamen, vor der großen Kommerzwelle Dank MTV und Majorlabels. „Lavender“ ist mehr als ein Zeitdokument des Indierock, Neofolk, Psychedelic Rock, Progrock, Artrock und weiß der Geier was noch: Es ist eine bis heute gültig spannende Reise durch die Kreativität von Tom Redecker und Emilio Winschetti sowie dem vielköpfige „Lavender Orchestra“.