Pink Floyd – The Wall – Harvest/Columbia 1979

Von Guido Hörster (09.11.2022)

Hi,

ich höre gerade „zwangsweise“ von Pink Floyd „The Wall“, und ich beginne, mich mit der Scheibe zu versöhnen. Ich hatte über dreißig Jahre einen großen Bogen um die Scheibe gemacht, da sie in meiner Erinnerung zuwenig nach den „Pink Floyd“ klang, die ich so mochte. Hier eine nicht vollständige Liste von Ablehnungsargumenten der Vergangenheit und wie ich heute darüber denke:

1. „Die Stücke sind viel zu kurz und zu viele. Kaum ist man als Hörer in ein Stück eingetaucht, ist es auch schon wieder vorbei.“

Das wird natürlich durch den inneren Flow der nahtlosen Übergänge relativiert.

2. „Die Band hat sich zu sehr dem Zeitgeist angepasst.“

Dies trifft eigentlich nur auf den Stampferhythmus in „Another Brick… Part 2“ und „Run Like Hell“ zu, und den mag ich immer noch nicht. Aber man musste halt auch mal ’ne erfolgreiche Single haben. Der Gesamtsound der Platte ist aber für 1979/80 sehr „retro“, obwohl der Zeitgeist eigentlich anderes erforderte, um kommerziell erfolgreich zu sein. Die späteren Alben, als David Gilmour die Band führt, bleiben diesem Sound weitgehend verbunden, nur die Texte lassen ohne Roger Waters nach.

3. „Der allgemeine Klangeindruck ist zu untypisch für Floyd.“

Das stimmt so häufig gar nicht, Beispiele:

„Mother“ klingt am Anfang wie ein Remake von „Pigs On The Wing“. Im weiteren Verlauf kommt die altertümliche Orgel, die Assoziationen an „Meddle“ und „Obscured By Clouds“ weckt, dazu.

„Goodbye Blue Sky“ erinnert z.B. an ein Stück der „Ummagumma“-Studiohälfte, könnte aber stilistisch auch der „Atom Heart Mother“ entsprungen sein.

Vielleicht rührt dieser Eindruck des „untypischen“ aber daher, dass vieles an alte Stücke erinnert, die nicht unbedingt meine Favoriten sind.

Untypisch ist allenfalls der Einsatz von Orchester bzw. Orchesterklängen, die schon einen Vorgriff auf „The Final Cut“ weisen, obwohl: „Atom Heart Mother“ hatte das auch schon, wurde da aber epischer und „breitwandiger“ eingesetzt, was mir mehr zusagte. Mit Marschmusik wie in „Bring The Boys Back Home“ habe ich allerdings dem BW-Trauma geschuldet so meine Schwierigkeiten.

4. „Die ganze Platte ist zu Waters-lastig.“

Stimmt so überhaupt nicht: Gilmours Gitarre ist – so wie früher – ein tragendes Element des Gesamtsounds, bis auf „Comfortably Numb“ kann er sich halt nicht so episch austoben – das ist der Unterschied. Auch singt Gilmour viel häufiger, als mir meine Erinnerung weismachen will. Der Kontrast im Gesang ist auch gut gelungen: Waters singt die Depri-Phasen, Gilmour steht für die optimistischen Momente. Bei „Don’t Leave Me Now“ übertreibt es Waters aber mit seinem weinerlichen Gesang.

…und ich habe bis hierher die Platte noch gar nicht ganz durch!!!

Persönliche Favoriten sind natürlich für mich erwartungsgemäß Songs, bei denen Gilmour als Ko-Autor geführt wird: „Hey You“ und vor allem „Comfortably Numb“, wobei mir letzteres in den späteren Liveaufnahmen besser gefällt. Das Stück wird dort insgesamt langsamer gespielt und von der Tonlage heruntertransponiert – dadurch wirkt es einfach viel „gewaltiger“ beim Hören. Auch ist das abschließende Solo live wesentlicher länger und dudelt nicht nur einfach so bis zur Ausblende vor sich hin, sondern steuert auf einen wuchtigen Climax zu.

Gerade fällt mir auf, dass „The Show Must Go On“ mit einem ähnlichen Rhythmus beginnt, mit dem „Comfortably Numb“ aufhörte. Das verknüpft den Seitenwechsel der ursprünglichen LP-Version von Seite 3 nach Seite 4 und überdeckt diesen technisch bedingten Bruch im Flow etwas.

Fazit: Es wird also nicht wieder dreißig Jahre brauchen, bis ich die Scheibe wieder ausgrabe.

Bis demnächst,

Guido