Von Matthias Bosenick (12.04.2023)
Was für ein Ritt! Zwei Stunden dicht gepacktes Anime: Die Schülerin „Suzume“ entlässt versehentlich einen extrem zerstörerischen Wurm in die Welt und versucht nun, dem von einer sprechenden Katze zu einem dreibeinigen Holzstuhl verfluchten Souta dabei zu helfen, die Portale in die Welt der Toten zu verschließen, aus denen dieser feurige Wurm entfleucht. Ja, man muss sich auf Dinge einlassen, die in Japan offenbar zur Normalität gehören. Es lohnt sich, denn Makoto Shinkais „Suzume“ ist Coming-of-age, Roadmovie, Katastrophenfilm, Familiendrama, Mystik, Humor, Verantwortung, Abenteuer, Trauer, persönliche Entwicklung und überhaupt ganz großes Kino – und verdammt nochmal Zeichentrick, und das sehr dicht an der Realität.
Archiv der Kategorie: Kino
Die drei ???: Erbe des Drachen – Tim Dünschede – D 2023
Von Matthias Bosenick (27.01.2023)
Satte 14 Jahre vergingen seit dem letzten Film über die drei Juniordetektive aus Rocky Beach, da hat sich in Sachen Filmproduktion, Dramaturgie, Script und so auf Seiten der Filmhersteller sowie in Bezug auf Narration bei den Geschichtenschreibern sicherlich sehr viel getan, da muss ein dritter Film über Die drei ??? im Jahre 2023 doch ein Oberknaller werden – oder? Und wenn schon der Hintergrund mit Justus, Peter und Bob vielleicht eher willkürlich eingebettet ausfallen sollte wie bei den Filmen davor und die Visualisierung von etwas seit Jahrzehnten in Buch und Hörspiel Etabliertem grundätzlich keine leichte Aufgabe ist, dann ist „Erbe des Drachen“ wenigstens ein mitreißender Jugendfilm voller Abenteuer, Spannung, Action und Special Effects, etwa wie bei den „Goonies“? Nein? Nichts davon? Aber warum nicht?
Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Best-of gestorben in Film und Serien
Von Onkel Rosebud
Das Jahresende und die damit verbundenen Rückblicke bringen es allenthalben mit sich, dass Listen angefertigt werden. Beliebt sind Klassifizierungen nach peinlichstem Lieblingslied, bestem Konzertbesuch, Ereignis sowieso etc. Nach der Wende war ich jahrzehntelang eigentlich nur deshalb Abonnement-Inhaber der Zeitschrift Spex, weil das legitimierte, jeweils im November am Leser-Poll teilnehmen zu dürfen. Im Freundeskreis brachte mir das den Spitznamen „30-Jahrgänge-Spex-Onkel“ ein, weil ich bis heute keine Ausgabe der ehemaligen Popkultur-Illustrierten wegschmeißen kann. Und wenn mal wieder ein Umzug anstand, verstanden meine Kumpels, dass die vielen Schallplatten alle mitmüssen, aber für die Kisten mit dem Subkultur-Magazin hatten sie kein Verständnis.
Das Privileg, Autor dieser Kolumne zu sein, rechtfertigt deshalb die eigentlich völlig unnütze Veröffentlichung meiner persönlichen Top-10-Hitliste aus der Rubrik „Populäre Charakter-Tode in Film und Serien“. Weil ich es kann. Los geht’s:
WeiterlesenDecision To Leave (헤어질 결심) – Park Chan-wook – Südkorea 2022
Von Matthias Bosenick (11.11.2022)
Filmfest in Braunschweig! Da läuft „Decision To Leave“, der neue Film von Park Chan-wook, schon vor dem Bundesstart. Der einst Gewalt so unmittelbar auf die Netzhaut drückende Regisseur fährt hier Sex und Brutalität zurück, um eine Geschichte zu erzählen, die im Verlauf mehrmals das Genre wechselt: von humorigem Polizeifilm zu einem Ermittlungsthriller zu einem Liebesdrama. Wundervoll komponierte Bilder, psychedelische Bildwechsel und höchst interessante Charaktere fesseln fast zweieinhalb Stunden lang, bis die Geschichte zuletzt jedoch im Sande verläuft. Dennoch verlässt man das Kino mit bemerkenswerten Eindrücken im Kopf.
Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Die Hard – Nicht totzukriegen, die deutsche Synchronisation
Von Onkel Rosebud
Meine Freundin mag Bruce Willis. Zumindest in nicht ernst zu nehmenden Rollen – außer „The Sixth Sense“. Ihre Lieblingsszene in der „Die Hard“-Quinte, durch die Bruce Willis zu einem der größten Actionstars des 20. Jahrhunderts avancierte, ist aus dem Original von 1988. Nach 2 Stunden und 12 Minuten diverser Entbehrungen, Schmerzen sowie eingeklemmt in Fahrstuhlschacht und Lüftungssystem zieht der Hauptprotagonist John McClane in aussichtsloser Lage zwei auf seinen Rücken geklebte Pistolen und metzelt den Feind nieder. Er sagt dazu „Grüß‘ mir die ewigen Jagdgründe“ und klar, pustet er nach getaner Arbeit in den Lauf des Revolvers wie John Wayne, bevor er mit Grace Kelly in den Sonnenuntergang reitet. „Das war Gary Cooper, Du Arschloch“, würde John jetzt sagen.
WeiterlesenTriangle Of Sadness – Ruben Östlund – S/GB/USA/F/GR/TR 2022
Von Matthias Bosenick (14.10.2022)
Dem Kapitalismus mit Karl Marx begegnen – und mit Schadenfreude: Episodenhaft setzt sich Ruben Östlund in „Triangle Of Sadness“ mit Leuten auseinander, die Geld haben. Er lässt sie zwischenmenschlich scheitern, sich normal großkotzig schlecht benehmen und sich an ihrer Gier erbrechen. Östlunds Humor ist tiefschwarz und entlarvend, nur hat er es in Sachen Drehbuch nicht so: Im letzten Drittel verliert er den Faden und wird fade. Dafür behält man jede Menge grandios böser Szenen im Kopf – allen voran einen Woody Harrelson als Kapitän, der physisch besoffen und inhaltlich nüchtern des Kaisers neue Kleider benennt.
Everything Everywhere All At Once – Daniel Scheinert & Daniel Kwan – USA 2022
Von Matthias Bosenick (18.05.2022)
Zweieinhalb Stunden opulentes und technisch überbordendes Kreativitätsgeballer! Dabei lässt sich die Handlung in einem Satz zusammenfassen: Mutter versöhnt sich mit Tochter. Dafür muss sie nur in unendlichen Parallelwelten gegen eine böse Widersacherin und eine kaum weniger böse Steuerbeamtin kämpfen, den wahlweise weisen und uneingeweihten Ratschlägen ihres die Scheidung ins Auge fassenden Gatten folgen, die heile Welt ihres in die Jahre gekommenen Vaters bewahren und alles in Allem einfach nur endlich als Mensch reifen. In Sekundenbruchteilen flackernde Alternativuniversen, Martial-Arts-Kämpfe, Drama, Humor, Warmherzigkeit, innere und äußere Querverweise, grandiose Schauspielende und eine soghaft erzählte komplexe Geschichte lassen diese zweieinhalb Stunden im Rausch vergehen.
Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush – Andreas Dresen – D/F 2022
Von Matthias Bosenick (11.05.2022)
Rabiye Kurnaz alltagt den ganzen Scheiß einfach weg. Mit einer unbändigen Energie und ihrem sehr persönlichen Humor stellt sich die Bremer Hausfrau gegen den Umstand, dass man ihren Sohn Murat als potentiellen Taliban irgendwo in der Welt ohne Rechtsgrundlage inhaftiert, zuletzt in Guantánamo. Mit ihrer beinahe ignoranten Hartnäckigkeit findet sie in Anwalt Bernhard Docke einen Verbündeten, der mit ihr die unwahrscheinlichsten Instanzen abschreitet, um für Murat Gerechtigkeit walten zu lassen. Klingt wie ein Märchen? So inszeniert es Andreas Dresen auch, und doch orientiert sich diese Geschichte an der Realität. Dresen suggeriert, dass es im Kampf gegen diffuse Gegner nur gute Menschen auf der Welt gibt – und gerade in solch bitteren Zeiten tun Filme wie dieser echt gut. Und trotz aller Menschenrechtsthemen ist dies nicht vordergründig die Geschichte des juristischen Sieges über George W. Bush, sondern vielmehr ein Porträt von Rabiye Kurnaz.
Parallele Mütter (Madres paralelas) – Pedro Almodóvar – E 2021
Von Matthias Bosenick (06.04.2022)
„We should all be feminists“ steht auf einem T-Shirt, das Penélope Cruz in einer Szene des Films „Parallele Mütter“ trägt, und damit bringt Regisseur Pedro Almodóvar viel Grundsätzliches in seiner Weltsicht zum Ausdruck. In Haltung und Farbe ist „Parallele Mütter“ ansprechend warmherzig geraten, dabei bedient sich Almodóvar klassischer Suspense-Methoden, um sein Beziehungsdrama, das weit mehr ist als das, zu erzählen, gemessenen Schrittes und mit mehr Vergebung, als die Menschheit an sich aufzubringen in der Lage ist. Einmal mehr mit Mutterschaft als ewigem Thema Almodóvars; und zwei Stunden großartiges Kino.
Annette – Leos Carax – F/USA 2021
Von Matthias Bosenick (22.12.2021)
Streicht man das Brimborium weg, bleibt: ein Drama um Schuld und Nicht-Vergebung, und zwar ein zähes, anstrengendes, langweilig gefilmtes. Dieses Brimborium nun rettet zwar einiges, macht aber leider keinen guten Film aus „Annette“: Die Mael-Brüder Run und Russell, als Pop-Duo seit Jahrzehnten unter dem Namen Sparks weltbekannt und gefeiert, schrieben das Drehbuch für dieses Musical, das „Holy Motors“-Wahnsinnsknabe Leos Carax mit Marion Cotillard und Adam Driver umsetzte. Eine grandiose Ausgangslage, die nach dem brillanten Intro leider verpufft. Viele bemerkenswerte Details retten diese bald zweieinhalb Stunden Elend nicht.