Anohni And The Johnsons – My Back Was A Bridge For You To Cross – Rough Trade 2023

Von Guido Dörheide (19.07.2023)

Alleine der Titel des Albums ist ja schon mal klasse und erinnert an den Ausspruch von Herbie Hancock, nachdem Joe Zawinul die Brücke in die Zukunft war, über die Miles Davis [mit „In A Silent Way“, Anm. d. V. d. Z.] gegangen ist.

Über welche Brücke geht Anohni mit ihrem neuen Album? Bzw. über welche Brücke ist Anohni noch nicht gegangen? Heuer revitalisiert sie den Bandnamen, den sie früher, damals noch unter ihrem Geburtsnamen Antony Hegarty, bereits als „Antony And The Johnsons“ gebrauchte, und das „Johnson“ bezieht sich dabei auf Marsha P. Johnson, die als New Yorker Drag Queen und Transgender-Aktivistin seit den späten 60er Jahren bis zu ihrem Tod aus ungeklärter Ursache 1992 von sich reden machte und bis heute relevant ist und die auch auf dem Cover von „My Back Was A Bridge For You To Cross“ abgebildet ist.

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Steamgenerator – Hopeless Romantic – Steamgenerator 2023

Von Matthias Bosenick (19.07.2023)

Es ist nur konsequent, dass sich eine Band aus der Industriestadt Wolfsburg Dampfmaschine nennt, oder? „Hopeless Romantic“ ist die zweite Veröffentlichung des Quintetts Steamgenerator, das sich Stoner und Doom auf die Etiketten gemalt hat, dafür jedoch viel zu hoffnungslos romantisch ist – und zu vielseitig: Wie bei den genannten Genres üblich, hört man einen starken Einfluss der Siebziger heraus, Black Sabbath bis Classic Rock, aber auch, ebenfalls dort entnommen, den Grunge der Neunziger – und auch mal den in Richtung Wave schielenden Postpunk der Achtziger. Nicht die reine Lehre also, und das ist auch genau richtig so, alles andere gibt es ja schon – die fünf fördern einen bunt schillernden Diamanten aus dem Kohleflöz zutage.

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King Gizzard & The Lizard Wizard – Petrodragonic Apocalypse; Or, Dawn Of Eternal Night: An Annihilation Of Planet Earth And The Beginning Of Merciless Damnation – KGLW 2023

Von Guido Dörheide (18.07.2023)

King G & The LW sind wahrscheinlich keine Menschen, sondern irgendwelche Reptiloiden, die auf ihrem Weg zur Ansichreißung der Weltherrschaft alle gefühlt 14 Tage einen neuen Tonträger in die Regale des Radiohauses (Radiohaus ist ein Wort, das meine jüngere Tochter erfunden hat. Sie meint damit den Elektrofachmarkt im Gewerbegebiet Heinenkamp an der A39) stellen. Anders kann man sich a) diesen Output und b) dieses Zuhausesein in gefühlt 100 Genres nicht erklären.

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Grian Chatten – Chaos For The Fly – Partisan Records 2023

Von Guido Dörheide (18.07.2023)

Grian Chatten ist der Sänger der von mir vollkommen zu Recht verehrten Fontaines D.C., einer Band, die sich, wie der Name schon, sagt auf Johnny Fontane beruft und aus Dublin City stammt.

Was taugt uns jetzt ein Solo-Album des Sängers dieser über jeden Zweifel erhabenen Kapelle? Also erstmal schreie ich allen Fontaines-D.C.-Fans-entgegen: KAUFEN! (Als hätten die das nicht eh schon getan.) Es erwartet uns kein Fontaines-typischer Postpunk, sondern eher ruhigere, nachdenkliche Musik, die jedoch, anders als es mich die erste Hälfte des Openers „The Score“ glauben machte, nicht allein mit Akustikgitarre begleitet (wie es Sänger von Bands auf Soloalben ja gerne mal machen), sondern voll instrumentiert. Aber eben ruhig, zurückgenommen und dennoch voller Energie.

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Killer Mike – MICHAEL – Loma Vista 2023

Von Guido Dörheide (17.07.2023)

Ich gebe ja zu, dass ich mit zeitgenössischer Sprechgesangmusik auf Kriegsfuß stehe, wenn es sich nicht gerade um Slowthai oder Little Simz handelt (ups – beide aus UK), aber die Sachen von früher aus USA (N.W.A., Wu Tang, Public Enemy, Ice-T, Biggie Smalls etc. usw.) finde ich immer noch klasse.

Daher freue ich mich, wenn mal wieder einer wie Killer Mike um die Ecke kommt und den Wumms und den Flow von damals um 1990 herum mit aktuellen Texten mischt. Killer Mike ist fast so alt wie ich und macht schon seit den frühen 2000ern Alben und außerdem ist er im Rahmen der „I can‘t breathe“-Kontroverse als eines der beiden Mitglieder von „Run The Jewels“ bekannt geworden, die mit ihren bisher drei Alben nicht nur das Feuilleton, sondern auch die Fans zeitgenössischer Sprechgesangmusik begeistert haben.

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Octopus – The Lost Tape – Sireena 2023

Von Matthias Bosenick (17.07.2023)

Das ist Pech, wenn noch vor dem Beginn der Karriere gleich das erste auf Tape aufgenommene Album verschwindet und man erst mit dem zweiten Album debütieren kann. So wiederfuhr es Octopus, der Progrockband aus Frankfurt am Main, im Jahre 1974, knappe zwei Jahre nach Bandgründung. Immerhin wurde das Label Sky Records durch eine Kopie der Mondial-C60-Kassette auf die Band aufmerksam und nahm sie für drei ihrer vier Alben unter Vertrag. Sängerin Jennifer Kowa, damals Hensel, entdeckte das Tape 2022 unter einem Gewühl von Kassetten ihrer späteren Band The Radio wieder und überließ es Tom „The Perc“ Redecker zur Überarbeitung. Der veröffentlicht es nun als als Epilog nachgeschobenen Prolog der vier offiziellen Alben auf seinem Label Sireena, eben als „The Lost Tape“, und macht diese Mittsiebziger-BRD-Kraut-Prog-Perle fast 50 Jahre später wieder zugänglich.

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Swans – The Beggar – Mute/Young God Records 2023

Von Matthias Bosenick (13.07.2023)

Steile These: Die Swans sind die einzige Band der Erde, die jemals nach einer Reunion künstlerisch relevante Musik veröffentlichte. Und das, ohne sich an Zeitgeiste anzubiedern oder billig die Erwartungen der Altfans zu erfüllen (okay, so ganz ohne Selbstzitat kommt auch „The Beggar“ nicht aus). Für das neue – nun: Industrial-Indie-Rock-Drone? – Album mit zwei Stunden Spielzeit reduziert die um Bandkopf Michael Gira teilweise neu zusammengetrommelte Truppe den Lärm, aber nicht die Gewalt: Brutalität schwingt immer mit, und sei es nur durch Giras nachdrücklichen, fordernden Gesang oder enervierende fragmentarische Wiederholungen. Und bei jeder neu sich windenden Drehung denkt man nur: Geil, weiter so, nochmal, und bitte die nächste Runde rückwärts! Und die Swans erfüllen den Wunsch. Und ergänzen ihn durch: Schönheit.

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Car Crash Weather – Terra Nostra – Car Crash Weather 2023

Von Matthias Bosenick (12.07.2023)

Die Schweizer Car Crash Weather haben etwas mitzuteilen, und das, obwohl ihr zweites Album „Terra Nostra“ instrumental gehalten ist: Die nur noch vier Musiker aus Zürich greifen das Thema ihres 2018er Konzept-Debüts „Secondary Drowning“ zunächst auf, nämlich Migration und Flucht, und leiten es über in ein weiteres – und hörbar besser produziertes – Konzeptalbum rund um das Zusammenleben der Menschen miteinander und mit der Natur. Konzeptalbum, das deutet schon in die musikalische Richtung, und richtig, Car Crash Weather machen Progrock, aber nicht nur, sie bündeln alles, was ihnen gefällt und was dazu in der Lage ist, musikalisch Emotionen und Bilder auszudrücken, Postrock, Waverock, Postmetal, und versetzen es mit Synthies und Samples. Bei dem Thema ereilt die Hörenden nicht selten der Eindruck, die Musik sei nicht nur klagend, sondern auch anklagend.

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Les Longs Adieux – Piccolo Dizionario Di Parole Fraintese – Ver.So Productions 2023

Von Matthias Bosenick (11.07.2023)

Tief in den Achtzigern verwurzelt ist das Quartett Les Longs Adieux aus Rom, das auf seinem Debütalbum „Piccolo Dizionario Di Parole Fraintese“ Goth Rock, New Wave und Post Punk zu einem tanzbaren Gruft-Retro-Album zusammenträgt. Kennt man alles schon, nur nicht auf Italienisch und mit einem Gesang, der so kraftvoll ist wie der von Keyboarderin Federica Garenna. Da dringt mehr Antonella Ruggiero von Matia Bazar durch als Siouxsie Sioux, so mit Vibrato und Nachdruck. Die Musik ihrer drei Mitspieler bedient elektronisch und analog die genannten Genres, eben mit einem italienischen Einschlag: Die mediterrane Sonne scheint, ja, nur scheint sie eher in Grautönen mit diversen irisierenden Effekten darin. Und der Gesang ist einfach mal der Knaller, der beraubt die Gruftmucke bei allen Stereotypen jeglicher Weinerlichkeit.

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Frank Zappa – Funky Nothingness – Zappa Records 2023

Von Guido Dörheide (11.07.2023)

Mit Anfang 20 hatte ich mir vorgenommen, mich mit Jazz zu beschäftigen. Miles Davis war tot und ich hielt ihn für ein Arschloch, von Weather Report hatte ich noch nie gehört und – ganz ehrlich – von allen anderen Jazz-Musikern mit Ausnahme der Monday Evening Stompers, bei denen mein früherer Schulleiter spielte, auch noch nicht. Jazz war für mich Dixieland, und um meinen Horizont zu erweitern (und weil es mich irgendwie beeindruckt hatte, dass Robert Wyatt betrunken aus dem Fenster gefallen und seitdem querschnittsgelähmt ist, was ihn nicht davon abhielt, solo und mit Matching Mole diverse Klassiker rauszuhauen), begann ich mich mit Soft Machine zu beschäftigen, die mir erstmal knapp 30 Jahre lang zu sperrig erschienen, bis ich sie endlich ins Herz schloss.

Um Zappa (den meine Zeitgenossen konsequent „Zappa“ aussprechen) habe ich eh immer einen Bogen gemacht. Zu versponnen, der Typ, obwohl „Bobby Brown Goes Down“ schon immer toll war, bevor ich die 20 erreichte und mir später auch von der Aussage her den Zappa recht sympathisch machte.

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