Von Matthias Bosenick (12.01.2022)
Eine neue Runde Entspannungs-Lärm von Jörg A. Schneider und einem Kollaborateur seiner Wahl, heute: Martin Gutjahr-Jung aus Koblenz, mit dem er bereits im Trio Bone Machine spielte und den er überhaupt seit über 25 Jahren noch aus BluNoise-Zeiten kennt. Heißt für diese LP: Schneiders taktfreies Schlagzeug trifft auf ebenso improvisiert gespielte Gitarre und Bass, was Sounds im Geiste von Jimi Hendrix, früher Swans oder dem Caspar Brötzmann Massaker ergibt, nur ohne die Songs dahinter, aber dafür so dicht atmosphärisch, dass man das Fehlen von Songs nicht als Versäumnis auffasst.
Archiv des Autors: Van Bauseneick
Krüger – Unerhört EP Vol. 1 & Vol. 2 – Bauchpfannen Aufnahmen 2021
Von Matthias Bosenick (11.01.2022)
Geil, Krüger entrümpelt seinen Keller und fördert stapelweise Kassetten mit Demos und Liveaufnahmen zutage. Wenn er schon seit mehr als vier Jahren keine neue Musik herausbringt, dann wenigstens alte, und die ist ja deswegen nicht schlechter. Der Indierocker hat einfach das Gespür für Hooks, Arrangements und Punchlines, schon bei den Trottelkackern war das so, und damit überzeugen auch diese einstmals aussortierten Songs. Live kommen die Stücke, die er ansonsten zu Hause allein einspielt, noch besser zur Geltung, mit noch mehr Groove und einem fantastischen Zusammenspiel seiner erstklassigen Mitmusiker. Bei aller Ironie kann Krüger eines aber nie verbergen: seine Melancholie, die seinen Indierocksongs Tiefe und Schwere gibt, so straight sie auch rocken.
Deine Lakaien – Dual+ – Prophecy 2021
Von Matthias Bosenick (06.01.2022)
Der Nachschlag zum Doppelalbumboxmegarelease vor wenigen Monaten: Deine Lakaien haben noch mehr Coversongs im Köcher, inklusive eigenkomponierten Referenzen dazu. „Dual+“ nennen sie das und untermauern damit, wie weit das kulturelle und musikhistorische Spektrum der beiden Gruftmusiker geht – weiter jedenfalls als das der meisten Gruftis. Ohne Pink Floyd etwa ist ja ohnehin der Gothic Rock kaum denkbar. R.E.M. und Devo sind hier eher unerwartet dabei, und mit dem abschließenden „Wiegenlied“ des Komponisten Michael Glinka entspricht das Verhältnis von Coverversion zu Eigenkomposition auf „Dual+“ nicht dem von „Dual“ – hier gibt’s mehr Originale. Sound und Stil der Lakaien bleiben wiedererkennbar zwischen balladeskem Akustik-Piano und beinahe an Industrial angelehnter Elektronik mit Gruftpopgrundlage. „Dual+“ ist sogar geschlossener als der Vorgänger, nur „Losing My Religion“ wirkt hier ähnlich deplatziert wie weiland „The Walk“ von The Cure auf „Dual“, nur nicht so peinlich.
Erasure – Ne:Ep – Mute 2021
Von Matthias Bosenick (04.01.2022)
Als hätten Erasure selbst gemerkt, dass das Remix-Album zur letzten, an sich guten Platte „The Neon“ Mist war, veröffentlichen sie den darauf befindlichen exklusiven und tatsächlich guten Track im Rahmen einer EP neu. Die knüpft an die mittelalte Klasse des Duos an, verzichtet auf schnödes Bummbumm und liefert dafür analog generierten Synthpop, minimalistischer als in den Achtzigern, also eher wie Anfang der Neunziger, und trotzdem schön. Der Titel „Ne:Ep“ suggeriert zwar EBM, aber so hart und so tanzbar ist die EP nicht, sondern mehr zum Schwofen und Zuhören.
Shihad – Old Gods – Warner Music Australia 2021
Von Matthias Bosenick (30.12.2021)
Härter als der Vorgänger „FVEY“ von vor sieben Jahren soll „Old Gods“ nach Aussage von Shihad sein, und da muss man dann doch widersprechen: Das Energielevel erreicht das nunmehr zehnte Album der Neuseeländer nicht, klingt weniger knackig produziert und verfällt einmal zu oft ins Wohlklang-Hymnische – ihr einstiger Entdecker und „FVEY“-Produzent Jaz Coleman fehlt offenkundig. Wurscht, die vier alten Jungs sind sympathisch, ihr Indierock ist in den achtziger-sozialisierten Neunzigern verhaftet und ausreichend Riffs, Kniffe, Aggression, Groove und Melodien bringen sie auch nach 33 Jahren noch mit ins Studio. „Old Gods“ geht mehr als okay.
Don‘t Look Up – Adam McKay – USA/Netflix 2021
Von Matthias Bosenick (28.12.2021)
„Jahaha, genau so ist es!“ – Der Film. Der verfilmte Politcartoon aus der Tageszeitung: Einfach mal abbilden, was sowieso klar ist, und „Humor“ drüberschreiben. Das verfilmte Twitter-Meme. Die erste Hälfte von „Der weiße Hai“ – 2021. „So ist die westliche Gesellschaft der Gegenwart“ – für Dummies. Nämlich: Wissenschaftler finden heraus, dass die Erde in sechs Monaten von einem Meteoriten zerstört wird, und alles, was danach passiert, kann man sich so sehr selbst ausdenken, dass der Film überflüssig ist. Die Filmsequenzen mit Überraschung sind so gering, dass man „Don‘t Look Up“ auch gut in einer Viertelstunde erzählt hätte. Macht man aber zweieinhalb Stunden draus. Am Schluss denkt man wie beim Gucken von „Melancholia“: Endlich ist die Qual vorbei, da reißt auch der Dinosaurier nix mehr.
Der Weg einer Freiheit – Noktvrn – Season Of Mist 2021
Von Matthias Bosenick (23.12.2021)
So geht Weiterentwicklung im Black Metal, bloß kein Stillstand: Der Weg einer Freiheit aus Würzburg können „Unstille“ genau so gut wie „Stille“, und letztere eröffnet das neue Album, das dennoch trve mit „Noktvrn“ betitelt ist. Das Stille an diesem Album ist dabei nicht so sehr am zeitgenössischen Post-Black-Metal orientiert, der sich wiederum bei opulenteren Spielarten wie Shoegaze und Postrock bedient, sondern tatsächlich filigran, zurückhaltend, minimalistisch. Wenn dann die vertraute Energie losbricht, fügt sich beides dennoch überzeugend zusammen. Und wenn dann plötzlich Soul-Passagen erklingen, äh: Ja, man kann den Black Metal ausdehnen, ohne ihn zu verraten, das beweisen auch andere Bands und Künstler ganz ausgezeichnet, Myrkur, Alcest, Solbrud oder eben Der Weg einer Freiheit. „Noktvrn“ hat das Zeug für Jahresbestenlisten. Und das geilste Cover hat die Platte auch noch.
Annette – Leos Carax – F/USA 2021
Von Matthias Bosenick (22.12.2021)
Streicht man das Brimborium weg, bleibt: ein Drama um Schuld und Nicht-Vergebung, und zwar ein zähes, anstrengendes, langweilig gefilmtes. Dieses Brimborium nun rettet zwar einiges, macht aber leider keinen guten Film aus „Annette“: Die Mael-Brüder Run und Russell, als Pop-Duo seit Jahrzehnten unter dem Namen Sparks weltbekannt und gefeiert, schrieben das Drehbuch für dieses Musical, das „Holy Motors“-Wahnsinnsknabe Leos Carax mit Marion Cotillard und Adam Driver umsetzte. Eine grandiose Ausgangslage, die nach dem brillanten Intro leider verpufft. Viele bemerkenswerte Details retten diese bald zweieinhalb Stunden Elend nicht.
Spezial: Klangwirkstoff-Records, Teil 3
Von Matthias Bosenick (21.12.21)
Zwei neue Electro- und Ambient-Veröffentlichungen vom Klangwirkstoff-Sublabel Separated Beats hat Labelchef Bert Olke auf seinem Zettel: die „Redirected EP“, eine Zusammenarbeit mit dem New Yorker Industrial-Urgestein Peter Missing als Hackbert, sowie die Ambient-Arbeit „Satellites“ als B. Ashra.
The Hand Of God (È stata la mano di Dio) – Paolo Sorrentino – Netflix/I 2021
Von Matthias Bosenick (20.12.2021)
Viele üppige Bilder und skurrile Situationen aus „The Hand Of God“ bleiben in nachhaltiger Erinnerung, und doch scheint der Stern von Regisseur Paolo Sorrentino im Sinken begriffen zu sein. Rund um das irreguläre Tor Diego Maradonas strickt er in dieser an seine eigene Biografie angelehnten Mär seine Legende vom im verarmten Neapel aufgewachsenen Teenager in einer bekloppten Familie, laut der „Die Hand Gottes“ höchstselbst ihn vom Tode bewahrte – anders als seine Eltern. Zwar ist man es von Sorrentino gewohnt, dass in seinen Filmen scheinbare oder tatsächliche Willkürlichkeiten ihren festen Platz haben, aber in diesem Film sind sie teilweise etwas unschlüssig aneinandergereiht. Und wenn das wirklich alles autobiografisch ist, weiß man am Ende zu viele Details über seine Sexualität, die man gar nicht wissen will. Einmal mehr gilt: Je älter der Mann, desto frivoler die Kunst.