Phillip Boa And The Voodooclub – Boaphenia 30 – Capitol/Universal 2023

Von Matthias Bosenick (14.06.2023)

Schon wieder versteckt Phillip Boa ein neues Album hinter alter Musik, schon wieder veröffentlicht er „Boaphenia“ mit Bonus, schon wieder fühlt man sich als Allessammler abgezockt. Zehn neue Songs spielte Boa mit seinem gegenwärtigen Voodooclub ein, nennt das so entstandene Album „The Porcelain Files“ und verkauft es ausschließlich an die Leute, die die erweiterte Neuauflage seines 30 Jahre alten Indiepoprock-Hit-Albums „Boaphenia“ erwerben. Heißt: Man gibt zwischen 20 und fast 70 Euro dafür aus, je nach Format, Doppel-CD oder dicke Box mit noch mehr Bonus. Im Geiste von und auf Basis verworfener „Boaphenia“-Songs sei das neue Material entstanden, inklusive Pias gesampelter Stimme, und diesen Hinweis hätte es eigentlich nicht gebraucht, es ist Phillip-Boa-Musik, sie ist großartig – aber längst nicht mehr so räudig wie die seines halb so alten Alter Egos. Abermals reichen sich bei Boa frech und grandios die Hand. Man möchte einen anderen Ruhrpottmusiker zitieren: Was soll das?

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Fiesta Alba – Fiesta Alba EP – Neontoaster Multimedia Dept. 2023

Von Matthias Bosenick (13.06.2023)

Ein wahres Feuerwerk an Stilen vermengt das anonym maskierte italienische Quartett mit dem spanischen Namen Fiesta Alba auf seiner selbstbetitelten Debüt-EP. Die fünf Tracks in 19 Minuten sind grenzenlos und explosiv, dabei erstaunlich kohärent – und das hochenergetische Zappeln fördernd. Die „Fiesta Alba EP“ ist die beste Lösung für die Problematik, dass es im Jahre 2023 einfach schon alles gibt: Crossover, alles zusammenrühren, was da ist, und daraus etwas Neues, Originäres kreieren. Und das gelingt hier, trotz dezent wiedererkennbarer Quellen, auf der Höhe der Zeit, und nicht als Retro-Aufguss. Was sicherlich auch an den vielen Gästen liegt, die diese EP mitgestalten. Ein Fest der Morgendämmerung – so geht das!

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The Sun Or The Moon – Andromeda – Tonzonen Records 2023

Von Matthias Bosenick (09.06.2023)

Die Frage, ob The Sun Or The Moon das Ziel sein sollen, beantwortet das gleichnamige Quartett ausweichend weiterführend mit „Andromeda“. Wer jetzt nicht sofort an Spacerock und psychedelische Musik denkt, kennt die Chiffres nicht, und die vier Musikerinnen und Musiker aus der Gegend um Mainz kennen sie alle – und noch viel mehr, da wird der Trip nämlich spannend: Zwar denken die vier den Krautrock weiter und unternehmen Ausflüge ins Psychedelische und Spacige, doch kennen sie noch einige hörenswerte Umwege, die sie auf ihrer unendlichen Reise mitnehmen, ins Elektronisch-Tanzbare etwa, in rockigere Gefilde, gern auch progressiv ausgerichtet, oder in den Ambient. Nicht so offensichtlich jedoch in den Gothic Rock, das waren The Sun And The Moon, die Mark Burgess nach dem ersten Aus seiner Band The Chameleons Ende der Achtziger kurzzeitig ins Leben rief. Man darf sich „Andromeda“ jedenfalls als Reiseziel setzen, der Trip ist die Reise wert!

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The Upland Band – Living In Paradise – Kapitän Platte 2023

Von Matthias Bosenick (08.06.2023)

The Upland Band ist keine, sondern besteht ausschließlich aus Michael Beckett aus Hillentrup in Ostwestfalen-Lippe. Sein Debütalbum unter diesem Alias ist ein kurzes Vergnügen, aber es ist ein Vergnügen: Eine knappe halbe Stunde angepsychter Indiepoprock, aus dem Spiritualized, Yo La Tengo und die Beatles hervorschimmern. Entsprechend vielseitig gestaltet Beckett dieses Album, das in neun Stücken viele Stimmungen abbildet, sanft instrumentiert und gesungen zumeist, gern mit nachdrücklich fuzzender Gitarre drin, und das auch noch dargeboten wie von einer ganzen Band, der Mann muss Universen im Kopf haben.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Die Beschriftung der Menschen

Von Onkel Rosebud / Jörg Mewes

Mit Essen spielt man nicht. Mit Feuer auch nicht, denn es bestünde die Möglichkeit, sich nicht nur die Finger zu verbrennen. Solcherlei Küchen- und Lebensratschläge dürften jeden Heranwachsenden in den frühen Jahren seines idealerweise unbeschwert bewerkstelligten Daseins begleitet haben. Kürzlich war es wieder so weit. Eine Band, deren Name nicht genannt werden darf, gastierte in unserer Stadt, um ungestraft der akustischen Umweltverschmutzung zu frönen. Wohnortsbedingt war es mir nicht vergönnt, um den Auftrittsort einen angemessen großen Bogen zu machen. Das zuströmende Publikum versprühte den Charme der sonst zweiwöchig zu ebendiesem Veranstaltungsort Pilgernden, denen ihre fragwürdige Auffassung von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit im Sinne von Vereinheitlichung erstrebenswert erscheint. Der urinfarbende Anteil der visuellen Peinigung entfiel jedoch – die Meute floss als schwarze Brühe daher.

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Turnstyles – 2 – Black And Wyatt Records/Head Perfume Records 2023

Von Matthias Bosenick (07.06.2023)

Die beiden haben ordentlich Feuer unterm Hintern. Gitarrist Seth Moody und Schlagzeuger Graham Winchester scheppern sich die Seele aus dem Leib, und dem Hörenden gleich mit. In satten 30 Songs auf diesem Doppel-Vinyl loten sie die wahnwitzig breite Palette zwischen Garage, Surf, Punk, Rock’n‘Roll und diversen Retro-Sounds der Fünfziger bis Siebziger aus. In irgendwas Allgemeingefälliges driftet das Duo aus Memphis trotz eingestreuter hübscher Melodien und wohltönender Akkorde nie ab, dafür hat es zu viel Freude am Krach. Natürlich fehlt hier ein Bass, um den Songs akustisch Tiefe zu verleihen, doch gleichen die beiden beseelten Musikanten das mit versierter Virtuosität aus, will heißen: Sie lassen mit Stimmen, Twang, Groove und Trommelwirbeln keine Lücken entstehen. Volle Energie auf dem schlicht „2“ betitelten zweiten Album.

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Bend The Future – Sounds So Wrong – Tonzone Records 2023

Von Matthias Bosenick (06.06.2023)

Glatt gelogen: „Sounds So Wrong“, behaupten Bend The Future mit ihrem dritten Album, und das trifft mitnichten zu. Hier passiert so viel Unterschiedliches nebeneinander und miteinander, dass man beinahe den Eindruck einer Compilation bekommen könnte, und doch passt alles gut zusammen: Saxophon, Streicherquartett, Synthiepop, harter Rock, Lounge-Jazz, Progrock, Funk, alles davon ausnehmend cool dargeboten, an- und ineinandergefügt, kombiniert, man mag kaum glauben, dass es Bend The Future aus Grenoble erst seit 2019 gibt und dass dies trotzdem bereits ihr drittes Album ist. Klingt langjährig erfahren, abwechslungsreich, horizonterweitert und –erweiternd. Und Eroc hat’s gemastert.

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Howlin‘ Sun – Maxime – Apollon Records 2023

Von Matthias Bosenick (05.06.2023)

Steht da wirklich 2023 hinten drauf? „Maxime“ von Howlin‘ Sun könnte auch schon seine 30 bis 50 Jahre auf dem Buckel haben. Bluesbasierter Rock’n’Roll, abgeguckt bei dem, was die Rolling Stones seinerzeit bei Bluesgöttern wie Howlin Wolf abguckten und in die USA zurückschickten, bei dem, was die weißen Leute dort dann draus machten, und bei dem, was in den 50 Jahren danach noch so entstand. Kompromisslos ist das Attribut hier, kein Fußbreit in Richtung Moderne oder gar Crossover, hier wird die Orgel ausgepackt, das Piano geklimpert und die Cowbell geläutet, hier gibt es Riffs, Riffs, Riffs, was das Zeug hält, eine halbe Stunde lang. Die vier Norweger aus Bergen rocken sich auf ihrem zweiten Album so richtig aus, dass es auf Altstadtfesten die Schau sein muss. Wer indes Überraschungen sucht, weil er Musik dieser Art bereits hinlänglich im Regal stehen hat und seinen Horizont erweitern möchte, sollte besser woanders gucken.

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Husum verdammt – Turbostaat – Live im Tante Ju, Dresden, 2. Juni 2023

Von Onkel Rosebud (03.06.2023)

Die erste Regel des Konzertbesuches lautet: Ziehe nie das T-Shirt der Band an, auf deren Konzert Du gehst. Die zweite Regel des Konzertbesuches lautet: Ziehe – Husum verdammt noch mal – nie das T-Shirt der Band an, auf deren Konzert Du gehst… Fans der Formation Turbostaat scheinen diese Regel nicht zu kennen und gehören deshalb von Tyler Durden oder einem kommunistischen Känguru persönlich geboxt. Fast die Hälfte des Puplikums im Alter zwischen 3 bis 80 im sehr symphatischen Live-Club der sächsischen Landeshauptsadt tragen Obertrikotagen mit Devotionalien der Husumer Punkrock-Band. Das ist ein bisschen unheimlich, aber da sind ja noch meine beiden besten, stilsicheren Konzertfreunde, mit den ich unterwegs bin. Der eine mit Sleaford-Mods-Aufdruck und auf der Brust des anderen findet sich der Schriftzug von The Sebadoh. Bevor es losgeht, sitzen wir draußen, trinken Schorle und amüsieren uns vor allem über die Pärchen im bandeigenen Eulen-Motiv-Partner-Look.

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Hex A.D. – Delightful Sharp Edges – Apollon Records 2023

Von Matthias Bosenick (02.06.2023)

One of these days wird Bluesprog der heiße Scheiß sein, wenn noch Orgeln dazu orgeln und der Sänger wahlweise operettenhaft oder röhrend singt und die Riffs zwischen Siebziger-Hardrock und Achtziger-NWoBHM changieren, puh. Die Norweger Hex A.D. rühren genau so ein Gebräu zusammen, und die gute Stunde auf dem sechsten Album – einem Konzeptalbum auch noch – „Delightful Sharp Edges“ verlangt den Hörenden, die nicht vordergründig auf klassischen progressiven Hardrock abfahren, sondern es bevorzugen, wenn auch neue Einflüsse und Überraschungen den Weg in die Musik finden, reichlich anstrengend, ungefähr so angestrengt, wie die Band authentisch sein will. Immer mit dem deutlichen Hinweis: Das hier ist kein Spaß! Schade eigentlich.

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