Der Erfinder der Hook-Line oder Wie ich nicht Mittelstreckenläufer wurde. Peter Hook & The Light, „Substance 35th Anniversary“-Tour Live in der Reithalle, Dresden, 17. November 2023

Von Onkel Rosebud (17.11.2023)

Es kommt eigentlich nicht vor, dass ich Bammel vor einem Konzert habe. Bei Peter Hook, Mitbegründer von Joy Division und New Order, mache ich eine Ausnahme, denn er hat sich mit Band angesagt, um Songs von ebendiesen, meinen Ikonen der Popkultur, vorzutragen. Die Erwartungshaltung ist riesig und was wird das emotional mit mir machen? Joy Division waren das größte Versprechen der Musikgeschichte. Hauptsächlich wegen Ian Curtis‘ Bariton, der den depressiven Charakter der Musik, die die Band unverwechselbar machte, maßgeblich prägte. Peter Hook bediente damals den Bass. Sein Instrument wurde in den Songs oft als melodieführend eingesetzt. Er spielte auf den hohen Saiten und erzeugte diesen „Heavy-Chorus-Effekt“, die nach ihm benannte sogenannte „Hook-Line“. Dachte ich lange.

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Hence Confetti – Hence Confetti – Bird’s Robe Records 2023

Von Matthias Bosenick (17.11.2023)

Noch so ein Beispiel dafür, wie man die Corona-Isolation positiv nutzen konnte: Das Trio Hence Confetti aus Bathurst in Australien schloss sich während der Pandemie zusammen und nahm die selbstbetitelte EP isoliert voneinander auf. Kann man sich kaum vorstellen, so fein ausgearbeitet, die dieser progressive Metal hier ausfällt: Sehr viele atmosphärische Passagen, brettharter Djent, nackenbrecherischer Groove, viele nicht erwartbare Details. Ein respektabler Auftakt.

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Triumph Of Death – Resurrection Of The Flesh – Noise 2023

Von Guido Dörheide (17.11.2023)

Nennen Sie mir einen Musikanten aus den Alpen, der immer eine wollene Mütze auf dem Kopf trägt und die europäische Musiklandschaft geprägt hat wie kaum ein Zweiter – nun, hm, häh? Nein, die Rede ist hier nicht von DJ Ötzi, sondern von Thomas Gabriel Fischer a/k/a Tom G. Warrior, der mit seinen Bands Hellhammer und Celtic Frost Musikgeschichte geschrieben hat und mit Triptykon eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass er immer noch eine ganze Menge zu sagen hat und willens und in der Lage ist, dieses klangtechnisch zu untermauern. Mit seiner aktuellen Band „Triumph Of Death“, benannt nach einem Hellhammer-Song, lässt er nunmehr die alten Zeiten rollen, und das macht er ganz hervorragend.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Talent borrows, genius steals: Marcy Playground

Von Onkel Rosebud

St. Louis Park liegt in Hennepin County im Bundesstaat Minnesota, also im Mittleren Westen, dem Teil der USA, der im 19. Jahrhundert das Bedürfnis hatte, sich von der Ostküste und von Richtung Europa abzugrenzen. Die Stadt hat ca. 50.000 Einwohner, die Coen-Brüder stammen von da und auch John Wozniak (geboren 1971). Die größte Sehenswürdigkeit des Städtchens ist der Peavey-Haglin Experimental Concrete Grain Elevator, ein Ende des 19. Jahrhunderts erbautes, zwanzig Meter hohes Getreidesilo. Würde St. Louis nicht an Minneapolis mit fast 500.000 Einwohner grenzen, dann gilt für jeden dort geborenen Freigeist: Get the hell out of there. So geschehen mit den Coen-Brüdern (Los Angeles) und John Wozniak zog Mitte der Neunziger nach New York, um mit der Formation Marcy Playground, benannt nach dem Spielplatz seiner Grundschule „Marcy Open“, mit melodieseligem, leicht schrägem Gitarrenpop den amerikanischen College-Rock aufzumischen. So Pavement für Arme. Ergebnis: Im Jahr 2012 wurde sein Gassenhauer „Sex And Candy“ aus dem Jahr 1997 von der Musikjournaille Rolling Stone zum viertbesten One-Hit-Wonder der 1990er Jahre gekürt.

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Sébastien Guérive – Obscure Clarity – Atypeek Music 2023

Von Matthias Bosenick (14.11.2023)

Das dürfte ein schöner Soundtrack für den Herbst sein, was der Musiktüftler Sébastien Guérive aus Nantes auf „Obscure Clarity“ anbietet: Partiell zwar rhythmische, elektronisch basierte Musik, aber doch eher schwelgerisch, träumerisch als zum Tanzen aufgelegt, und ganz viele himmelsstürmende Soundscapes. Man hat die Idee eines Soundtracks vor den inneren Augen und möchte gern den Film dazu sehen. Instrumentale Wohlfühlmusik für Unwohlfühlzeiten.

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Zillion – Robin Pront – B/NL 2022

Von Matthias Bosenick (13.11.2023)

Die Ausgangslage: Ein gehänseltes Arschloch macht Arschlochsachen mit anderen Arschlöchern, die ihn dafür ebenfalls arschlochmäßig behandeln. Das Ganze spielt in der Großraumclubszene der späten Neunziger in Antwerpen und lehnt sich locker an der realen Geschichte von Frank Verstraeten und seinem titelgebenden Club „Zillion“ an. Inszeniert Robin Pront zunächst ein kunterbuntes, ultraschnelles Clubding, bricht er es im Rest ausgebremst auf Action und Drama herunter – zu einem Zeitpunkt, als einem die Arschlöcher jedoch eh schon egal sind. Der Film ist etwas fürs Auge, aber nicht für die Ewigkeit.

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The Old Oak – Ken Loach – GB/F/B 2023

Von Matthias Bosenick (12.11.2023)

Die Welt ist Scheiße, und ein extrem negativer Faktor ist die Gemengelage aus Rassismus, Rechtsruck und Neofaschismus, die sich allerorts ungehemmt in die Mitte der Gesellschaft ausbreitet. Die Welt könnte mit Humanismus und Solidarität ein so viel besserer Ort sein, findet auch der 87jährige Ken Loach, der zuverlässige Abbilder sozialer Themen aus linker Perspektive, und lässt ein vergessenes Kohledorf im Nordosten Englands auf die Ankunft syrischer Geflüchteter reagieren. Zentrale Personen sind der Pubwirt TJ und die Syrerin Yara, die eine Dorfgemeinschaft zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen erwirken wollen – und Loach flicht alles ein, was es an Negativität in diesem Kosmos zu berichten gibt. Und potentiell Positivem: „The Old Oak“ ist damit ein Märchen – leider.

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Gondola – Veit Helmer – D/GEO 2023

Von Matthias Bosenick (12.11.2023)

„Gondola“ dürfte ein an wortlosem Einfallsreichtum kaum zu überbietender Film sein: Zwei Seilbahn-Gondeln gondeln über ein 300 Meter tiefes Tal in den Bergen Georgiens. Die beiden isolierten Schaffnerinnen begegnen sich immer in der Mitte und gehen in einen liebevollen Wettstreit um die kreativste Art, die Aufmerksamkeit der jeweils anderen zu erregen. Die aufkeimende Romanze der beiden erfährt einen Dämpfer, als die Fluchtpläne einer der beiden offenbar werden – es erfordert von jener nun also noch mehr Kreativität, die andere von sich zu überzeugen. Alles ohne Worte – und fesselnd und unterhaltsam wie nix. Was auch an den Bildern liegt, mit denen Veit Helmer hier arbeitet, da geben Gondeln in den Wolken einiges vor. Und Helmer macht mehr draus!

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Myrkur – Spine – Relapse Records 2023

Von Matthias Bosenick (10.11.2023)

Weiterentwicklung, so wichtig, um kreativ nicht auszubrennen oder sich grundlos zu wiederholen! Hört man sich durch das Oeuvre von Ammalie Bruuns Alter Ego Myrkur, bekommt man diesen Ansatz mehr als bestätigt: vom Ein-Frau-Black-Metal-Projekt über Kammerchor und Folklore zu – nun: Pop. Ein Zirkelschluss mithin, denn mit ihrer früheren Band Ex Cops machte Bruun bereits Rockpop, aber anders gelagert: Auf „Spine“ schwingen Abba mit, man mag es nicht glauben, und etwas Roxette vielleicht. Und Europe. Sehr schwedisch für eine Dänin! Und doch bei weitem nicht so glitzernd: Ihre Dunkelheit streift Bruun nicht ab, die Abgründe finden einen Platz in dieser schönen Musik, mit der sie ihre Mutterschaft bewältigt. Aber kurios ist die Entwicklung schon, an der auch noch Billy Corgan von den Smashing Pumpkins beteiligt ist. Um es ihrer Gemeinde trotzdem leichter zu machen, bringt sie außerdem auch sämtliche ihrer bisherigen Sounds auf „Spine“ unter, und es passt formidabel.

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Perfect Days – Wim Wenders – J 2023

Von Matthias Bosenick (09.11.2023)

Endlich wieder Filmfest in Braunschweig, auch BIFF genannt! Und endlich auch mal wieder Filme von vertrauten Regisseuren: Den Auftakt macht Wim Wenders mit seinem Zen-Film „Perfect Days“, in dem er einen sympathischen Toilettenreiniger in Tokyo dabei begleitet, wie er beinahe wortlos seinen Alltag verbringt und sich über Kleinigkeiten freut. Bis es einigen Anlass zu abweichenden Gemütslagen gibt. Zwei Stunden Achtsamkeit in Omu mit 60er-70er-Rock-Soundtrack und auch ohne Cinemascope ansehnlichen Bildern.

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