Turnstyles – 2 – Black And Wyatt Records/Head Perfume Records 2023

Von Matthias Bosenick (07.06.2023)

Die beiden haben ordentlich Feuer unterm Hintern. Gitarrist Seth Moody und Schlagzeuger Graham Winchester scheppern sich die Seele aus dem Leib, und dem Hörenden gleich mit. In satten 30 Songs auf diesem Doppel-Vinyl loten sie die wahnwitzig breite Palette zwischen Garage, Surf, Punk, Rock’n‘Roll und diversen Retro-Sounds der Fünfziger bis Siebziger aus. In irgendwas Allgemeingefälliges driftet das Duo aus Memphis trotz eingestreuter hübscher Melodien und wohltönender Akkorde nie ab, dafür hat es zu viel Freude am Krach. Natürlich fehlt hier ein Bass, um den Songs akustisch Tiefe zu verleihen, doch gleichen die beiden beseelten Musikanten das mit versierter Virtuosität aus, will heißen: Sie lassen mit Stimmen, Twang, Groove und Trommelwirbeln keine Lücken entstehen. Volle Energie auf dem schlicht „2“ betitelten zweiten Album.

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Bend The Future – Sounds So Wrong – Tonzone Records 2023

Von Matthias Bosenick (06.06.2023)

Glatt gelogen: „Sounds So Wrong“, behaupten Bend The Future mit ihrem dritten Album, und das trifft mitnichten zu. Hier passiert so viel Unterschiedliches nebeneinander und miteinander, dass man beinahe den Eindruck einer Compilation bekommen könnte, und doch passt alles gut zusammen: Saxophon, Streicherquartett, Synthiepop, harter Rock, Lounge-Jazz, Progrock, Funk, alles davon ausnehmend cool dargeboten, an- und ineinandergefügt, kombiniert, man mag kaum glauben, dass es Bend The Future aus Grenoble erst seit 2019 gibt und dass dies trotzdem bereits ihr drittes Album ist. Klingt langjährig erfahren, abwechslungsreich, horizonterweitert und –erweiternd. Und Eroc hat’s gemastert.

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Howlin‘ Sun – Maxime – Apollon Records 2023

Von Matthias Bosenick (05.06.2023)

Steht da wirklich 2023 hinten drauf? „Maxime“ von Howlin‘ Sun könnte auch schon seine 30 bis 50 Jahre auf dem Buckel haben. Bluesbasierter Rock’n’Roll, abgeguckt bei dem, was die Rolling Stones seinerzeit bei Bluesgöttern wie Howlin Wolf abguckten und in die USA zurückschickten, bei dem, was die weißen Leute dort dann draus machten, und bei dem, was in den 50 Jahren danach noch so entstand. Kompromisslos ist das Attribut hier, kein Fußbreit in Richtung Moderne oder gar Crossover, hier wird die Orgel ausgepackt, das Piano geklimpert und die Cowbell geläutet, hier gibt es Riffs, Riffs, Riffs, was das Zeug hält, eine halbe Stunde lang. Die vier Norweger aus Bergen rocken sich auf ihrem zweiten Album so richtig aus, dass es auf Altstadtfesten die Schau sein muss. Wer indes Überraschungen sucht, weil er Musik dieser Art bereits hinlänglich im Regal stehen hat und seinen Horizont erweitern möchte, sollte besser woanders gucken.

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Husum verdammt – Turbostaat – Live im Tante Ju, Dresden, 2. Juni 2023

Von Onkel Rosebud (03.06.2023)

Die erste Regel des Konzertbesuches lautet: Ziehe nie das T-Shirt der Band an, auf deren Konzert Du gehst. Die zweite Regel des Konzertbesuches lautet: Ziehe – Husum verdammt noch mal – nie das T-Shirt der Band an, auf deren Konzert Du gehst… Fans der Formation Turbostaat scheinen diese Regel nicht zu kennen und gehören deshalb von Tyler Durden oder einem kommunistischen Känguru persönlich geboxt. Fast die Hälfte des Puplikums im Alter zwischen 3 bis 80 im sehr symphatischen Live-Club der sächsischen Landeshauptsadt tragen Obertrikotagen mit Devotionalien der Husumer Punkrock-Band. Das ist ein bisschen unheimlich, aber da sind ja noch meine beiden besten, stilsicheren Konzertfreunde, mit den ich unterwegs bin. Der eine mit Sleaford-Mods-Aufdruck und auf der Brust des anderen findet sich der Schriftzug von The Sebadoh. Bevor es losgeht, sitzen wir draußen, trinken Schorle und amüsieren uns vor allem über die Pärchen im bandeigenen Eulen-Motiv-Partner-Look.

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Hex A.D. – Delightful Sharp Edges – Apollon Records 2023

Von Matthias Bosenick (02.06.2023)

One of these days wird Bluesprog der heiße Scheiß sein, wenn noch Orgeln dazu orgeln und der Sänger wahlweise operettenhaft oder röhrend singt und die Riffs zwischen Siebziger-Hardrock und Achtziger-NWoBHM changieren, puh. Die Norweger Hex A.D. rühren genau so ein Gebräu zusammen, und die gute Stunde auf dem sechsten Album – einem Konzeptalbum auch noch – „Delightful Sharp Edges“ verlangt den Hörenden, die nicht vordergründig auf klassischen progressiven Hardrock abfahren, sondern es bevorzugen, wenn auch neue Einflüsse und Überraschungen den Weg in die Musik finden, reichlich anstrengend, ungefähr so angestrengt, wie die Band authentisch sein will. Immer mit dem deutlichen Hinweis: Das hier ist kein Spaß! Schade eigentlich.

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Nile On Wax – After Heaven – Tonzonen Records 2023

Von Matthias Bosenick (01.06.2023)

Eine Geige statt einer Gitarre als Lead-Instrument zu verwenden, ist schon mal ein herausragendes Mittel. Dann kommt hinzu, dass das Belgische Trio Nile On Wax (Eigenschreibweise: Nile On waX, weil die drei die Band 2007 noch als NOX gründeten) auch auf seinem vierten Album „In Heaven“ Instrumentalmusik macht, die sich an keine Songstrukturen hält, auf langen Strecken nicht mal Rhythmen beinhaltet, eher Drones generiert, dunkle Soundtracks zu beklemmenden Filmen, Kammermusik, Nihilismus, aber auch atmosphärischen Schönklang, also lauter Sachen, die Spaß machen, sofern man eine Apokalypse kuschelig findet, und die man zwingend laut hören muss, um alle Nuancen und den vollen Effekt genießen zu können.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Egal, ABER

Von Onkel Rosebud / Jörg Hiecke

Ich liebe Listen. Top-Fives für alles Mögliche kann ich bei jeder Gelegenheit raushauen. Und da mir das nicht reicht, pflege ich ständig die Top 5+1 für das, was mir im Leben am wichtigsten ist. Auf den ersten 4 Plätzen rangieren seit Beginn meiner Zeitrechnung dieselben drei Personen und ein Ding. Platz 5 und 5+1 unterliegen einer gewissen Fluktuation. Neben Eibauer Bier (Neunziger), Island (2008), der grandiosen Fernsehserie „Justified“ (6 Staffeln, 2010 bis 2015), der schönsten Stadt der Welt (Edinburgh, 1993 bis heute), einem boxenden, kommunistischen Känguru (2013) oder dem Komiker Jan Böhmermann (2014 bis heute) hielt da längere Zeit die Band Tocotronic (oder wie ich sie eigentlich nannte „Trockentonic“) die Stellung.

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The Electric Family – Live At Filmfest Schwerin 9. Mai 2003 – Sireena/Tribal Stomp 2023

Von Matthias Bosenick (31.05.2023)

Erst ein Hippie-Film, dann ein Hippie-Konzert, so geht das! Als das Filmfest Schwerin vor 20 Jahren Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ ins Programm nahm, lag den Verantwortlichen ein anschließender Auftritt von The Electric Family nahe, Tom „The Perc“ Redeckers Krautrock-naher Spielwiese. Den Mitschnitt des gemächlichen, beseelten, repetetiven, hypnotischen und von Jochen Schoberth behutsam aufpolierten Gigs im Schweriner Speicher veröffentlicht der Bandchef nun als neunte Ausgabe seiner Archiv-Reihe „The Electric Kindergarten“. Im Mittelpunkt steht das damals aktuelle Album „Ice Cream Phoenix“, dessen prominente Gäste hier zwar nicht beteiligt sind, die die überzeugende Livebesetzung indes auch nicht vermissen lässt.

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Sqürl – Silver Haze – Sacred Bones Records 2023

Von Matthias Bosenick (30.05.2023)

Das muss man bringen: 2009 als Trio Bad Rabbit gegründet, nach einer EP umbenannt in Sqürl, unzählige EPs, Soundtracks und LPs herausgebracht, zwischendurch zum Duo geschrumpft – und 2023 behaupten, „Silver Haze“ sei das Debütalbum. Dieser Move verlangt Jim Jarmusch und Carter Logan, den verbliebenen Sqürl-Musikern, offenbar einiges an Erwartungshaltungserfüllung (puh) ab, denn „Silver Haze“ setzt sehr wohl das Ambient-Drone-Noiserock-Konzept der beiden fort, klingt aber, nicht zuletzt auch wegen der prominenten Gäste, etwas zugänglicher als die Zweckveröffentlichungen zu den Filmen Jarmuschs oder den Experimentalplatten dazwischen. Der Lärm rückt weiter in die Mitte, könnte man sagen, und damit einen Schritt weg von dem, was Fans der ersten Stunde an Sqürl so liebten, nämlich die Kompromisslosigkeit. Fürs Radio empfiehlt sich „Silver Haze“ dann aber immer noch nicht, und das macht es versöhnlich. Hey, Charlotte Gainsbourg ist dabei!

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Rosa Vertov – Reflected In – Crunchy Human Children Records 2023

Von Matthias Bosenick (26.05.2023)

Ausschließlich auf Kassette ist die neue EP „Reflected In“ des Warschauer Trios Rosa Vertov (Eigenschreibweise in Minuskeln) in physischer Form zu haben, und das ist schick und lohnt sich auch, die fünf Songs sind wundervoll anzuhören. In seligen Dreampop-Gefilden bewegen sich die drei Musikerinnen, sie singen ätherisch zu introvertiertem Indierock, lassen dabei aber den Weichzeichner weg, schlagen die verstärkten, aber nicht verzerrten Gitarren hart und deutlich an, deutlicher noch als das Schlagzeug, das auch mal behutsam loslegt. Träumerisch und wachrüttelnd in einer EP. Zeitlos und gut!

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