Pet Shop Boys – Smash – Parlophone 2023

Von Matthias Bosenick (05.07.2023)

Und noch eine Compilation mit Hits und Singles. „Smash“ behauptet, auf drei CDs sämtliche Singles des Synthiepop-Duos Pet Shop Boys von 1985 bis 2020 in chronologischer Reihenfolge zu bringen, und da geht es schon los: Die von Bobby O produzierten ersten Singles aus dem Jahr 1984 fehlen hier, die „Lost“-EP aus dem laufenden Jahr ist ebenso wenig berücksichtigt wie die „Agenda“-EP aus dem Jahr 2019 sowie diverse Songs, die lediglich in Großbritannien nicht oder ausschließlich digital als Single erschienen. Derjenige, der alle 14 Alben sowie sämtliche bisherigen Compilations (denn auf denen gab es stets exklusive Singles, die hier wiederum alle berücksichtigt sind; exklusiv für „Smash“ indes gibt es keine) im Regal zu stehen hat, braucht „Smash“ nicht; die paar Single-Edits machen keinen Kohl fett, denen sind im Zweifel die Albumversionen ohnehin vorzuziehen. Bleiben die beiden BluRays, die der erweiterten Box hinzugefügt sind, sowie das Buch mit den Anmerkungen von Neil Tennant und Chris Lowe. Und eine Zeitreise durch fast 40 Jahre Synthiepop mit allen Hochs und Tiefs, die die künstlerische Kurve der Briten in 55 Songs und rund 220 Minuten gut nachzeichnen.

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Motörhead – Live At Montreux Jazz Festival ’07 – BMG 2023

Von Guido Dörheide (29.06.2023)

Mit einem fröhlichen „Gutnaaaabend! Bonsoir! Buongiono – I forgot that!“ begrüßt Lemmy das Publikum nacheinander in allen drei schweizerischen Landessprachen mit Ausnahme von Rätoromanisch. Anschließend schlägt er eine Brücke zwischen dem Montreux Jazz Festival und dem Schaffen von Motörhead: „So this is the Montreux Jazz Festival. Here‘s a bit of jazz for you [zumindest habe ich das so verstanden – Anm. d. Verf. d. Z.]. We are Motörhead, and we play Rock‘n‘Roll!“ Und dann legen Motörhead in ihrer längsten und meiner Meinung nach auch besten (jahaa – Philthy Animal Taylor, ich spüre Deine vernichtenden Blicke von ganz weit oben/unten/wieauchimmer in meinem Nacken glühen) Besetzung – Lemmy Kilmister (b, voc), Mikkey Dee (dr) und Phil Campbell (g) – mit „Snaggletooth“ auch gleich ordentlich los. Lemmy ist bei der damaligen Tour sowohl sehr gut bei Stimme – von den späteren krankheitsbedingten Schwankungen der Wucht seiner Performance war noch weit und breit nichts in Sicht – als auch gut aufgelegt, Phil Campbell lässt die Gitarre dreckig röhren und Mikkey Dee schmiedet die Trommeln wie gewohnt sowohl präzise als auch lautstark, solange sie heiß sind. Die Produktion ist für ein Live-Album exzellent.

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Moon’s Mallow – Out Of The Foxholes – Gioia Coppola 2023

Von Matthias Bosenick (29.06.2023)

Das geht aber flott bei den Italienern: Drei Alben in drei Jahren! Auf „Out Of The Foxholes“ vertiefen Moon’s Mallow ihre Ausrichtung, die weniger nach Apulien als nach englischen Pubs klingt, nach einem bewegten Indierock, dem Emotionen so wenig fremd sind wie Ausflüge ins Folkige oder Psychedelische sowie eine virtuose Musikalität. Moon’s Mallow schmecken eher nach Bier als nach Wein, eine erfreuliche Nähe zu Luke Haines und The Auteurs lässt sich abermals nicht von der Hand weisen. Bandchef Gioia Coppola singt in mittelhoher Tonlage enorm ausdrucksstark und energetisch, schaltet aber, sobald erforderlich, auch mal ins Wispern um. Orgeln, Flöten und Streicher finden ihren Platz, die Stimmungen wechseln, und auch wenn es nie heavy wird, rockt es doch reichlich. Und macht Durst.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Flugzeug ohne Räder

Von Onkel Rosebud / Michael Törker

Es ist wirklich lange her, dass ich das letzte Mal Keimzeit gehört habe. Ich meine, richtig gehört, mit Titel raussuchen, Kopfhörer aufsetzen und so. Aber schon nach den ersten Takten fühlt es sich an, als hätte ich eben erst auf STOP gedrückt. Am Kassettenrekorder, versteht sich. Nicht, dass es nicht schon CDs gab, als ich zu meiner Begeisterung für diese Musik fand, aber mein erster Kontakt war eine Musikkassette, von Freunden in die Hand gedrückt und erstmal nicht wieder ausgemacht. Und meine damalige Freundin war gleichermaßen angesteckt.

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Killing Joke – Honour The Fire – Live Here Now 2023

Von Matthias Bosenick (28.06.2023)

Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem es von Killing Joke mehr Live- als Studio-Alben gibt, sofern nicht bald das zur „Lord Of Chaos EP“ sowie zur bislang nur digital erhältlichen Single „Full Spectrum Dominance“ gehörende und derzeit sogar noch unangekündigte neue Album erscheint. Und weil sich Killing Joke einfach mal an gar keine Regeln halten, eröffnen sie seit einer Weile ihre überlangen und für ihren großen Pool an geilen Songs noch viel zu kurzen Sets mit der Zugabe, dem größten Hit nämlich, den sie je hatten, „Love Like Blood“ aus dem Jahr 1985. Nicht im Set indes sind eben „Lord Of Chaos“ und der Song, nach dem Tour und dieses Album benannt sind: „Honour The Fire“ vom 2010er-Album „Absolute Dissent“. Macht nix, man bekommt hier einen angenehm hörbar produzierten Querschnitt durch das, was die Engländer vom Dub ausgehend ab 1979 aus der Erfindung des Postpunk in den darauffolgenden Jahren so an Proto-Industrial, Semi-Metal und energetischer Rockmusik entwickelten, mit einem Schwerpunkt auf der Anfangszeit.

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De Staat – Red/Yellow/Blue – Virgin 2023

Von Matthias Bosenick (26.06.2023)

De Staat sind wie ein unerträglicher Onkel auf der Familienfeier, der einen trotzdem beeindruckt, wie ein Film über eine unsympathische Figur, der einen nicht loslässt, wie der Prügeltyp auf dem Schulhof, mit dem man zur eigenen Verwunderung Interessen teilt und sich mit ihm anfreundet: Neben dem Übersong „Kitty Kitty“ und dem großartigen Circle-Pit-Anheizer „Witch Doctor“ scheinen sämtliche anderen Songs der Niederländer abzustinken, und trotzdem kann man nicht weghören. Viel liegt an der Ausstrahlung des Sängers Torre Florim, der einen mit seinem manischen Gehabe in die Abhängigkeit treibt, denn die Musik ist, freundlich gesagt, sperrig – für reinen Pop zu experimentell, für Rock zu artifiziell, sehr viel Plastik, sehr viel Plakativität, aber verdammt noch eins, spätestens, wenn man sie einmal live sah (Guido Dörheide und der Schreiber dieser Zeilen berichteten), ist man verfallen. Das aus drei erweiterten EPs bestehende Quasi-Album „Red/Yellow/Blue“ erfüllt alle Anforderungen und Ablehnungen, aber man kann einfach nicht weghören. „Who’s Gonna Be The GOAT?“ Klar: De Staat!

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The Damned – Darkadelic – Ear Music/Edel 2023

Von Guido Dörheide (19.06.2023)

The Damned sind nicht mehr die Jüngsten, aber ihr neues Album rockt wie eine Horde wildgewordener Schafe! Insbesondere die sanfte Ballade „Death Comes Ripping“ wird Euch mit Sicherheit zu Tränen rühren. Ein Meisterwerk!

Ziemlich genau fünf Jahre nach dem letzten Album „Evil Spirits“ haben sich The Damned – Urheber der ersten Studioveröffentlichungen, die je von einer einer britischen Punkband jemals im Studio veröffentlicht wurden – ein neues Album ausgedacht, eingespielt und an die Verkaufstheken all über der Welt geliefert. Ach, was sage ich: Liefern lassen!

„Evil Spirits“ gilt als langweilig – kann „Darkadelic“ – abgesehen davon, dass der Titel sich nicht eben doll anhört (und das Cover mal vorsichtig ausgedrückt Scheiße ist) – überzeugend daran anknüpfen?

Und kann man auf „Yeahaaah, ohohohoooohooohohoooo“ einen vernünftigen Song aufbauen? Und ihn dann noch „The Invisible Man“ nennen, ohne dabei peinlich zu werden?

Und was zum Teufel soll überhaupt der weitgehend informationsfreie Einleitungssatz zu diesem Artikel, der zudem noch mit „Death Comes Ripping“ einen 40 Jahre alten Misfits-Titel zitiert, der mit „sanfter Ballade“ nun mal so gar nichts am Hut hat, aber vor einigen Jahren immerhin mal von den Misfits zusammen mit Rancid und The Damned lebend performiert wurde?

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Cowboy Junkies – Such Ferocious Beauty – Latent/Cooking Vinyl 2023

Von Matthias Bosenick (23.06.2023)

Der erste Eindruck ist: Schade, sie haben den Fuzz wieder zurückgeschraubt und den Sound in Richtung „The Trinity Session“ heruntergedimmt. Die Songs auf „Such Ferocious Beauty“ erscheinen minimalistischer, klarer als auf „All That Reckoning“, dem bis dato letzten Studioalbum der Cowboy Junkies mit eigenen Songs aus dem Jahr 2018 (abgesehen vom digital veröffentlichten „Ghost“-Minialbum 2020). Dann dreht man das Album lauter, weil man die Feinheiten besser heraushören will, und stellt dabei fest, dass der erste Eindruck nur so semi richtig ist: Da ist noch einiger Fuzz in den Indie-Folksongs, nur eher im Hintergrund, und ganz so kontemplativ-verträumt wie 1988 sind die Kanadier auch nicht wieder, selbst wenn die Songs im langsamen Tempo gehalten sind. Country- und Folk-Fans finden sicherlich immer noch ausreichend Anlass, die Cowboy Junkies aus Montreal zu krass zu finden, und das nicht nur des Namens oder der Herkunft wegen.

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Ed Wilcox + Michel Kristof Duo – Au fond de la coulisse – Muteant Sounds Netlabel 2023

Von Matthias Bosenick (22.06.2023)

Nervöse Musik von entspannten Leuten: Ihr gemeinsames Album mit der Charles-Baudelaire-Zeile „Au fond de la coulisse“ als Titel (aus „Les Fleurs du mal“) verschenken die Impro-Initiatoren Ed Wilcox aus Philadelhia und Michel Kristof aus Paris, die ihrem Projekt lediglich das „Duo“ als Namenszusatz anhängen. Ausschließlich mit Schlagzeug sowie E-Gitarre, Piano oder Cembalo ausgestattet, setzten sich die beiden ins Studio und frickelten fröhlich vor sich hin. Dabei entstand eine Art Jazz, wenn man so will, dem auf weiten Strecken weder Takt noch Melodie zugewiesen sind, sondern eine Stunde lang mal versunken, mal nach außen gewandt frei bearbeitetes Instrumentarium – und das komplett unbearbeitet, einfach mitgeschnitten. Damit schlagen die beiden eine Brücke zwischen Arthur Doyle und Sonny Simmons, für die jeder jeweils musizierte. Beides Freejazz-Saxophonisten, und doch verzichten Kristof und Wilcox bei ihrem Tribut auf exakt jenes Instrument und besinnen sich auf ihre Kernkompetenzen. Und auf Baudelaire.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Seed Song

Von Onkel Rosebud / Falk Rebbe

In den Krimis von Wolf Haas bekommt der Privatdetektiv Simon Brenner oft Hinweise auf die Lösung des Falls aus seinem Unterbewusstsein in Form von Melodien oder Textzeilen. Leider versäumt es Brenner, auf sein Unterbewusstsein zu hören, sodass er erst nach dem trotzdem irgendwie gelösten Fall erkennt, was ihm mitgeteilt wurde.

Das kann ich gut verstehen. Auch mein Unterbewusstsein kommuniziert mit mir häufig auf diese Weise. Als Grundlage habe ich mir durch intensives und häufiges Musikhören eine große Datenbank aufgebaut, auf die ich zugreifen kann.

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