Von Matthias Bosenick (06.02.2024)
Kaum erheben sich die Noiserockhelden Steel Pole Bath Tub nach rund 20 Jahren Pause wieder von ihren Sofas, erinnern sie sich an kurz nach wie es damals begann, 1987, als Dale Allan Flattum, Mike Morasky und Dorothy Kent alias Darren K. Mor-X alias Darren Kent Morey ihre zweiten Demos als „We Own Drrrills“ auf Kassette herausbrachten, und schicken diese fünf Songs nun überarbeitet als vielfach divers gefärbte 12“ mit Original-Artwork von Flattum alias Tooth zurück ins Weltgeschehen. Der Sound ist sowas von vertraut, man fühlt sich sofort zu Hause: schräge Gitarren, ungenaue Melodien, Gequatsche aus dem Fernseher, mitreißende Rockmusik zwischen Space, Psychedelic, Surf und dem, was dereinst sowohl den Indierock als auch den Grunge zutiefst beeinflussen sollte. Jetzt fehlt noch das allererste Demo aus dem Vorjahr und eine Compilation mit allen 7“es und Raritäten!
Jaufenpass – Cloud’s Eye – Jaufenpass/Shimmering Moods Records 2023
Von Matthias Bosenick (05.02.2024)
Mein Teekesselchen zieht über den Himmel, mein Teekesselchen speichert Daten: Aus der sprachlichen Vieldeutigkeit der Cloud macht der anonyme italienische Musiker mit dem Pseudonym Jaufenpass ein Album, auf dem er musikalisch beide Bedeutungen miteinander verwischt. Weitestgehend handelt es sich bei „Cloud’s Eye“ um Ambient. Zumeist ist die Musik abstrakt, Beats gibt es keine, Takte ergeben sich maximal dadurch, dass Jaufenpass die aus der Cloud heruntergeregneten Daten bisweilen hinreichend wiederkehrend loopt, ansonsten besteht das Album aus sanften Drones, warmen Soundscapes, gesampelten Einzeltönen, behutsamen Noises und anderen Verfremdungen. Damit, so das künstlerische Ziel, wird Organisches mit Digitalem in Verbindung gesetzt. Selbst wenn dies beim Hören ohne diese Info nicht klar wird, bekommt man ein kunstvolles Ambient-Album, das entspannt, überrascht und herausfordert.
Peter Missing and Hackbert – Remove The Shadows – Separated Beats 2024
Von Matthias Boosenick (02.02.2024)
Zum zweiten Mal tun sich der New Yorker Multikünstler Peter Missing und der Berliner Industrial-Techno-Produzent Hackbert alias Bert Olke für eine EP zusammen. „Remove The Shadows“ überrascht auf allen Ebenen: das gesprochene Wort hat etwas Manisch-Beschwörendes, die Musik dazu vermengt Rock’n’Roll-Instrumentarium und Electro-Dub zu einem ausgebremsten, aber kraftvollen Industrial-Rock-Trip. Auf der B-Seite dieser digitalen Veröffentlichung erneuern sie gemeinsam den Acid House und reduzieren abschließend den Titeltrack um die Gitarren, ohne an Wucht einzubüßen. Davon darf es gern mehr geben!
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: „Oh boy, ich zerfick dir dein Gesicht“ – Brutalismus 3000
Von Onkel Rosebud
Hin und wieder fragt mich meine Freundin, ob ich ihr nicht mal was vorspielen kann, das bei der Generation Z angesagt ist. Meine Reaktion ist dann meistens Augenrollen. Wäre das eine olympische Disziplin, ich wäre im Kader, aber neulich konnte ich bei ihr mit einem Tipp aus dem Musikfeuilleton von Deutschlandfunk Kultur punkten: Brutalismus 3000. Das ist ein Ballerbeat-Duo aus Berlin, das man irgendwo zwischen Hardcore-Techno, Gabber und Elektropunk einordnen kann. Also übersetzt für uns GenXler: D.A.F. trifft Atari Teenage Riot, nur in jung, weiblich und hip, dazu bissig, respektlos und schnell. Ihr 2023er Debüt-Longplayer „Ultrakunst“ (Live From Earth) ist ein wildes und selbstbewusstes Album, ein abwechselnd beängstigendes und rotziges Feuerwerk aus Wut und Humor, das wie eine richtig gute Party klingt, die aus den Fugen geraten ist. Und bei dem Thema kenne ich mich aus, auch wenn ich noch nie im Berghain war (und auch nicht da rein will). Vor dem Album hatten Dingsbums 3000 in den Corona-Years drei EPs rausgebracht: „Amore Hardcore“, „Liebe in Zeiten der Kola“ sowie „Eros Massacre“. Allesamt Perlen der guten Laune.
WeiterlesenGothic – Underground – Loud Rage Music 2024
Von Matthias Bosenick (31.01.2024)
Diese Band bekommt ein gutes Dutzend Extrapunkte dafür, dass sie aus Petroșani kommt: In der Stadt hatte der Schreiber dieser Zeilen im Jahr 2017 das Glück, fast eine Woche im Krankenhaus verbringen zu dürfen – mehr Rumänien so nah an Haut und Seele zu erleben, ist kaum möglich. Auch nicht mit diesem Album: Hier schreit alles Klischee, vom Bandnamen Gothic über den Albumtitel „Underground“ bis zur Musik, die Lesern des Gruftmagazins Sonic Seducer in ihrer plakativen Eingängigkeit und der Abhandlung von Stereotypen in den Genres Gothic, Metal und Gothic Metal mit sinfonischem Einschlag und schlageresken Strukturen wohl richtig gut gefallen dürfte. Aber egal, das Quartett kommt aus Petroșani, singt auf Rumänisch und macht ihre Sache ja auch gar nicht so schlecht – denn es steckt mehr drin, als es den oberflächlichen Anschein hat.
Reflecting The Light – Reflecting The Light – Adz/Bitume Prods 2019/2024
Von Matthias Bosenick (30.01.2024)
Nach und nach bringt das Label Bitume Prods die ganzen bislang lediglich online verfügbaren Alben von Julien J. Neuville alias Adunakhor Z. alias Adz heraus. Seine Projekte Kaamosmasennus und Salaman Isku liegen bereits auf CD vor, jetzt schließt sich Reflecting The Light an: Wie gewohnt im Alleingang spielte der Franzose ein instrumentales Album aus Post Rock und Post Black Metal mit Opulenz und Pathos ein, das mehr auf große Gesten setzt als auf Trveness und auf dem er die gar nicht so dunkle Atmosphäre mit Synthies dick unterstreicht. Man sieht nordische Heroen die Schwerter in den von Nordlichtern durchzogenen Nachthimmel recken und verspürt den unterschwelligen Wunsch, sich ihnen anzuschließen. Nach „Reflecting The Light“ darf also davon ausgegangen werden, dass sich Bitume in absehbarer Zeit auch Neuvilles weiteren Projekten .eterniteduchaos. und Thy Apocalypse zuwenden wird.
Canaan – Ai Margini – Toten Schwan/Eibon Records 2024
Von Matthias Bosenick (29.01.2024)
Als jemand, der Canaan noch gar nicht kennt, drängt sich beim Hören von „Ai Margini“ bald Scorn als Analogie auf, mit den heruntergepitchten Hip-Hop-Beats und den sphärischen Industrial-Sounds, und wenn man dann nachliest, dass sich Canaan 1995 aus der Asche der Mailänder Doom-Metal-Band Ras Algethi mit noch sehr ähnlicher musikalischer Ausrichtung formierte und diese Art von Ambient erst seit jüngerer Zeit aus dem gewohnten Sound herausfilterte, fühlt man sich in seiner Scorn-Analogie zusätzlich bestätigt und versteht, warum eine Band mit solcher Musik überall im Metal-Kontext erscheint. „Ai Margini“, das erste Lebenszeichen seit sechs Jahren, ist dunkel, harmonisch, in der Mitte fragil, „An den Rändern“ – so der Titel übersetzt – zwischen kopfnick- und tanzbar sowie in seinen Strukturen frei von jeglicher Art Lied. Das ist mal echt eine Entwicklung!
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Zupfe Hansel Deine Geige
Von Onkel Rosebud
Nicht der, aber ein Grund, warum meine Freundin meine Freundin ist, besteht darin, dass meine Plattensammlung ein Teil unserer gemeinsamen Wohnzimmerdekoration sein darf. Ich finde das nicht selbstverständlich, denn in meiner Funktion als öffentlicher Schallplattenunterhalter ist da über die Jahre so einiges an Polyvinylchlorid und -acetat zusammengekommen. Ich weiß noch, als wir damals zusammen in die flussnahe Wohnung gezogen sind, habe ich mich nicht getraut, meine Schätze wie gewohnt im Hauptaufenthaltsraum aufzubahren; ich habe den größten Teil im Keller verstaut – auch wegen Schutz vor Kind und Katze. Doch wie das nun mal so ist, wenn ein Wasserlauf den Wohnort kreuzt, es kam die sogenannte Jahrhundertflut und unser Tiefparterre drohte sich mit Schlamm zu füllen. Seitdem dürfen die Scheiben das Obergeschoss zieren inklusive meiner Plattenwaschmaschine, Fabrikat Knosti. Die steht neben meinem Technics SL-1210 MK2 und hat schon oft das erzählerische Eis gebrochen, wenn frischer Besuch es sich in der Sitzschnecke bequem gemacht hat.
WeiterlesenC.K. McDonnell – The Stranger Times – Eichborn/Bastei Lübbe 2023
Von Guido Dörheide (24.01.2024)
Neulich gegen Ende der Woche hatte ich nichts mehr zu lesen. Also bin ich am Sonnabend um 13:40 Uhr mit dem Fahrzeug gen Innenstadt aufgebrochen, Benno Goeritz hat ja schließlich noch bis 14:00 Uhr auf. Kurz vorher stürmte ich den Laden und schilderte dem Eigentümer meine Notlage. Ich bedürfe dringendst eines Krimis. „Eher blutig, oder eher nicht?“ „Eher nicht, mehr so mystisch, Hauptsache spannend, aber blutig bitte nicht!“ „Dann scheidet Hardy Crueger also schon mal aus!“ Tut er vor allem deswegen, weil ich alles Relevante von ihm bereits gelesen habe. Ich schnappte aber dabei eine wichtige Information auf:
Am 15. Februar 2024 findet die alljährliche „Einfach G.E.L.“-Lesung von Hardy Crueger in der Buchhandlung Benno Goeritz statt. Kommet zuhauf!
Alsdann lobpreiste Herr Hallensleben den 2023 als Taschenbuch auf Deutsch erschienenen Roman „The Stranger Times“ von C.K. McDonnell. Es ginge um eine Frau, die auf der Suche nach Arbeit bei einer merkwürdigen Wochenzeitung landet, und dort gäbe es einen Chefredakteur, der einen abgrundtief bösen Satz nach dem anderen raushaue, dass es eine wahre Freude sei, das zu lesen. Die Begeisterung des Buchhändlers ergriff unmittelbar von mir Besitz, ich nahm das Buch mit und konnte es fürderhin nicht mehr aus der Hand legen. C.K. McDonnell (bürgerlich Caimh McDonnell aus Limerick, Irland) schreibt witzig, fesselnd und mit einem richtig schön bösen Witz.
WeiterlesenVægtløs – Aftryk – P.O.G.O. Records/5FeetUnder Records 2024
Von Matthias Bosenick (24.01.2024)
Bei Vægtløs (Schwerelos) ist die Auseinandersetzung mit dem Tod keine genrespezifische Koketterie, sondern ein Ventil. Das Quartett kam 2022 in Aalborg zusammen, um den Krebstod naher Freunde zu bewältigen, und wählte ein auf Black Metal basierendes Vehikel für den erlebten Schmerz. Den die vier hörbar ausdrücken: Das Debüt „Aftryk“ („Impressum“) klingt verzweifelt, doch gibt sich die Band dieser Verzweiflung nicht einfach hin, sondern wendet sie in etwas Kreatives um, eben Musik. So entstanden vier überlange Tracks zwischen Post-Metal, Hardcore und Shoegaze, die Dunkelheit transportieren und gleichzeitig befreiend vermitteln, dass es sich lohnt, die Trauer zu überwinden und voranzugehen.