Ed Wilcox + Michel Kristof Duo – Au fond de la coulisse – Muteant Sounds Netlabel 2023

Von Matthias Bosenick (22.06.2023)

Nervöse Musik von entspannten Leuten: Ihr gemeinsames Album mit der Charles-Baudelaire-Zeile „Au fond de la coulisse“ als Titel (aus „Les Fleurs du mal“) verschenken die Impro-Initiatoren Ed Wilcox aus Philadelhia und Michel Kristof aus Paris, die ihrem Projekt lediglich das „Duo“ als Namenszusatz anhängen. Ausschließlich mit Schlagzeug sowie E-Gitarre, Piano oder Cembalo ausgestattet, setzten sich die beiden ins Studio und frickelten fröhlich vor sich hin. Dabei entstand eine Art Jazz, wenn man so will, dem auf weiten Strecken weder Takt noch Melodie zugewiesen sind, sondern eine Stunde lang mal versunken, mal nach außen gewandt frei bearbeitetes Instrumentarium – und das komplett unbearbeitet, einfach mitgeschnitten. Damit schlagen die beiden eine Brücke zwischen Arthur Doyle und Sonny Simmons, für die jeder jeweils musizierte. Beides Freejazz-Saxophonisten, und doch verzichten Kristof und Wilcox bei ihrem Tribut auf exakt jenes Instrument und besinnen sich auf ihre Kernkompetenzen. Und auf Baudelaire.

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Fiesta Alba – Fiesta Alba EP – Neontoaster Multimedia Dept. 2023

Von Matthias Bosenick (13.06.2023)

Ein wahres Feuerwerk an Stilen vermengt das anonym maskierte italienische Quartett mit dem spanischen Namen Fiesta Alba auf seiner selbstbetitelten Debüt-EP. Die fünf Tracks in 19 Minuten sind grenzenlos und explosiv, dabei erstaunlich kohärent – und das hochenergetische Zappeln fördernd. Die „Fiesta Alba EP“ ist die beste Lösung für die Problematik, dass es im Jahre 2023 einfach schon alles gibt: Crossover, alles zusammenrühren, was da ist, und daraus etwas Neues, Originäres kreieren. Und das gelingt hier, trotz dezent wiedererkennbarer Quellen, auf der Höhe der Zeit, und nicht als Retro-Aufguss. Was sicherlich auch an den vielen Gästen liegt, die diese EP mitgestalten. Ein Fest der Morgendämmerung – so geht das!

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зелёный дядя u сёрферы чёрной дыры – Коллективная безответственность – Black Hole Surfers 2023

Von Matthias Bosenick (03.05.2023)

Vier Songs, vier Genres: Endachtziger-The-Cure, Orgel-Surf-Sixties-Garage, Speed-Spacerock-Stoner und zuletzt Electro-Surf-Cowpunk-Polka, alles mit Druck und einer hörbaren schlechten Laune, angesichts der Lage, in der sich Musiker aus Russland befinden, die mit gewissen Aktivitäten ihrer Landesfürsten nicht einverstanden sind und dafür womöglich Repressalien zu erdulden haben, sowie einer grandiose Spielfreude, die es mit sich bringt, dass das Quartett зелёный дядя u сёрферы чёрной дыры (wörtlich: „Grüner Onkel und die Surfer des Schwarzen Lochs“, international: Black Hole Surfers) aus Нижний Новгород (Nischni Nowgorod) innerhalb ihrer Songs den ohnehin schon wilden Genres nicht treu bleiben und herumimprovisieren.

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Spezial: addicted/noname Label aus Moskau, Teil 14

Von Matthias Bosenick (01.03.2023)

Ein kleiner Blick in die zurückliegenden Monate und wie sie sich auf das fabelhafte Moskauer Label addicted/noname auswirkten. Zu finden ist wie immer eine breite Palette an Stilen und Sounds: Flötendominierter Psychedelic Rock mit Бур, psychedelischer Doom mit Spaceking, tanzbarer Avantgarde-Indierock mit ЛАНЬ, vielseitiger Black Metal mit Gigrøma, melodischer In-die-Fresse-Thrash-Doom mit Crust und schleppender Hardcore-Sludge mit Erbo.

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Eartrumpet & Mystified – Eartrumpet & Mystified – Treetrunk 2023

Von Matthias Bosenick (27.02.2023)

Wenn Wissenschaft zu Kunst wird: Trompeter Roger Mills alias Eartrumpet improvisiert zu Sounds, die Thomas Park alias Mystified mit einem selbstprogrammierten Algorithmus aus Field Recordings generierte. Aus diesem artifiziellen Ansatz entsteht eine organische EP mit vier Tracks, die auf Ambient basieren und den Jazz transportieren. Die Stimmung ist dunkel und erinnert an Soundtracks experimenteller Filme, die man sich – allein schon der großartigen Musik wegen – unbedingt angucken möchte.

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Groborsch Kowald Schneider – Bedlam – GKS 2023

Von Matthias Bosenick (13.02.2023)

Gleich zwei Vermächtnisse in einer Aufnahme: Mit zwei Kontrabässen und einem Schlagzeug improvisierten Frederik „Fred“ Groborsch, Peter Kowald und Jörg A. Schneider 2002 im Studio von Guido Lucas herum. Kurz darauf verstarb Kowald in New York, und Lucas reiste ihm 2017 nach. Das gemeinsame Album „Bedlam“ erscheint jetzt, leider ausschließlich digital, aber wenigstens überhaupt, und man darf hier das Trio dabei begleiten, wie es arhythmisch unstrukturierten und angenehm hörbaren Jazzlärm generiert, mit Bogen über Saiten und einem damals eigentlich noch intakten Noiserock-Schlagzeuger, der seine zukunftsweisende Taktlosigkeit erst danach so richtig auszuleben begann. 15 Miniaturen, schlicht nach Alphabet durchbetitelt und grob dem Free Jazz und der Impro-Musik zugeordnet. Wie gut, dass diese Aufnahme jetzt die Archive verlässt!

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Acid UFO Death Cult – חשֶׁךְ – Acid UFO Death Cult 2022

Von Matthias Bosenick (01.09.2022)

Acid. UFO. Death. Cult. Diese Wortkombination muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Acid UFO Death Cult. Das dürfte der Anwärter auf das goldene Krönchen für den Bandnamen des Jahres sein. Musikalisch wird es für das Projekt indes schwieriger, schießt sich der Römer Ali alias Mountain Hermit, der dahintersteckt, mit seinem eher anonymen Compagnon, dem ominösen Ω, doch sehr auf ein Genre ein: die klassische Two-Men-Black-Metal-Sache nämlich, und die ist ja naturgemäß nicht ganz so breitenwirksam. Das Hebräisch betitelte „חשֶׁךְ“ ist bereits das zweite Mini-Album in zwei Monaten und es heißt nicht zufällig so: „Dunkelheit“ obsiegt hier sehr, „יאוש“ wäre sicherlich nicht weniger angebracht gewesen. Dabei scheint Ali eine gehörige Portion Humor zu haben.

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Hades – 4 Singles – Cri Du Chat Disques/Universal Brasil 2021

Von Matthias Bosenick (24.02.2022)

Auch wenn’s kein klassischer EBM ist, ist der 24.2. ein gutes Datum, sich mit dem Brasilianischen Duo Hades zu befassen. Die Titel der früheren Veröffentlichungen, etwa „Morbid Action“, kombiniert mit dem Bandnamen lassen zwar an Black Metal denken, doch handelt es sich dabei um ein jüngst reaktiviertes über 30 Jahre altes Synthie-Projekt. Die dunkle, minimalistische Neunziger-Attitüde hört man auch den neu aufgenommenen vier alten Songs an, die Alan Draht und Sandro Couto veröffentlichten: dunkel, eher an US-Electro orientiert, trotz der aufs Wesentliche reduzierten Arrangements mit kleinen Details gespickt, Gruftstimme und auch im niedrigen Tempo keine Allüren, balladesk die Charts zu erobern. Kurios: Inzwischen steht bei Bandcamp, die Band komme aus Wolfsburg. Sowas!

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The Absurd – Cancel The Wall – Bent Knee Records 2021

Von Matthias Bosenick (31.01.2022)

Keine vier Jahre alt, erfährt das Debütalbum von The Absurd aus Los Angeles die bereits dritte Wiederveröffentlichung, dieses Mal als „Cancel The Wall“. Physisch leider nur als CDr, außerdem mit anderen Tracks als im Begleit-Download, aber hey, allein für den Hit „Boots On The Ground“ ist es den Erwerb wert. Die Trump-Anleihe des Ur-Titels „Build The Wall“ ist inzwischen umgekehrt, da ist man politisch eindeutiger geworden. Musikalisch bewegt man sich mit Black-Sabbath-Anleihen nahe am Stoner, rifft wuchtig, schreit eindringlich, groovt amtlich, gniedelt episch, und dem Zuhörer bricht der Nacken, wenn er gerade keinen Platz zum Tanzen hat. The Absurd sind lediglich zu dritt – und da steckt mächtig gewaltige Gewalt drin!

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Krüger – Unerhört EP Vol. 1 & Vol. 2 – Bauchpfannen Aufnahmen 2021

Von Matthias Bosenick (11.01.2022)

Geil, Krüger entrümpelt seinen Keller und fördert stapelweise Kassetten mit Demos und Liveaufnahmen zutage. Wenn er schon seit mehr als vier Jahren keine neue Musik herausbringt, dann wenigstens alte, und die ist ja deswegen nicht schlechter. Der Indierocker hat einfach das Gespür für Hooks, Arrangements und Punchlines, schon bei den Trottelkackern war das so, und damit überzeugen auch diese einstmals aussortierten Songs. Live kommen die Stücke, die er ansonsten zu Hause allein einspielt, noch besser zur Geltung, mit noch mehr Groove und einem fantastischen Zusammenspiel seiner erstklassigen Mitmusiker. Bei aller Ironie kann Krüger eines aber nie verbergen: seine Melancholie, die seinen Indierocksongs Tiefe und Schwere gibt, so straight sie auch rocken.

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