Ben Aaronovitch – Die Silberkammer in der Chancery Lane (Amongst Our Weapons) – dtv 2022

Von Matthias Bosenick (27.06.2022)

Was macht man, wenn eine Buchreihe erfolgreich ist und man gesichert weiß, dass Neuerscheinungen von fanatischen Fantasy-Fans sofort erworben werden? Klar: die Bücher teurer. Heißt zum zweiten Mal in der „Die Flüsse von London“-Reihe von Ben Aaronovitch, dass der deutsche Verlag dtv das Format sinnlos aufbläht und dieses Mal dafür sogar satte sechs Euro mehr pro Buch einstreicht. Genau so sinnfrei ist der Versuch, die deutschen Titel einer Corporate Identity zu unterwerfen, die sie im Original nicht haben – offenbar traut man seiner Leserschaft nicht den popkulturellen Horizont zu, den der Autor hat, denn „Amongst Our Weapons“ spielt, wie so viele Stellen im Buch, allen voran die Zwischenüberschriften, auf Monty Pythons Flying Circus an: „Nobody expects the Spanish Inquisition!“, mit direktem Bezug zum Inhalt dieser neunten Geschichte der Urban-Fantasy-Reihe um Zauberpolizist Peter Grant. Aaronovitch schreibt hier wieder ausufernd, und doch konzentrierter, spannend, humorvoll, sprachlich gewandt und einfallsreich über einen Racheengel, der direkt aus der Epoche der Spanischen Inquisition stammt. Und im Buch werden Monty Python nicht einmal überhaupt erwähnt.

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Marc Domin/Jonas Kolb – Kollision zweier Apostelschädel – Domin/Kolb 2021

Von Matthias Bosenick (15.03.2022)

Kein leichter Happen, den einem die beiden musizierenden Autoren oder schreibenden Musiker Marc Domin und Jonas Kolb da vorwerfen. Einmal formal: Reisebericht, Briefroman, Tagebuchroman, Gedicht und Collage bilden das Gesamtwerk „Kollision zweier Apostelschädel“. Und zweitens inhaltlich: Zwischen Horror, Blutbad und Porno siedeln sie die Geschichte von zwei Forschern an, die 1880 die titelgebenden Reliquien unschädlich (ha, ha) machen wollen – und nutzen dies selbstredend zur gepflegten Provokation. Letztlich ist klar: Mit der „Kollision zweier Apostelschädel“ ist das Buch selbst gemeint, das aus dem nämlichen Vorgang hervorging, denn bei diesen Dickköpfen handelt es sich natürlich um die der Autoren.

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Stefan Thoben – Ein Traum in bunt. Entdeckung Ruhrgebiet – Verlag Andreas Reiffer 2021

Von Matthias Bosenick (17.05.2021)

Wenn man als Außenstehender auch nur leicht zum Ruhrgebiet in Liebe entflammt ist, will man aus diesem Buch nie mehr auftauchen. Aus einer ausgedehnten Radtour machte Stefan Thoben, Journalist aus Hannover, dieses üppig bebilderte Erlebnis- und Sachbuch, in dem er einen Blick auf das Ruhrgebiet wirft, der weder touristisch-euphorisch noch stereotyp daherkommt, sondern vermittels dessen er mit einer persönlichen Wahrnehmung und fachkundiger Recherche seine Eindrücke analysiert. Vollständig kann diese Betrachtung nicht sein, das weiß der Autor auch, und als Leitfaden für oberflächliche Reisende ist das Buch wohl zu herausfordernd; allen anderen ist es wahlweise ein Ersatz für den überfälligen Besuch oder die willkommene Aufforderung zu einem solchen. Das Wort Liebeserklärung drängt sich bei der Betrachtung des Buches einfach auf.

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Tom Liwa – Der, den mein Freund kannte – Tom Liwa 2020

Von Matthias Bosenick (29.12.2020)

Auf Deutsch singen und Klischees umschiffen, das war mal möglich, in den Neunzigern, und von denen, die damals diese Wege einschlugen, ist Tom Liwa einer der Überlebenden, einer, der sich konstant entwickelte, vom Indierock über die Verwandtschaft zur Hamburger Schule zu Singer-Songwriter ohne Gejammer, esoterischer Kunstmusik, Heilungsmusik und – nun: Was macht Tom Liwa eigentlich heute? Er reflektiert über den Tod, musikalisch zurückgenommen und experimentell wie lang nicht, textlich enigmatisch wie immer. „Der, den mein Freund kannte“ ist eine Herbstplatte, die von Tod und Abschied handelt und also auch vom Leben, und der begleitend „Das Buch Tom“ mit Gedichten und Kunst zur Seite steht.

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Spezial: René Seim + Windlustverlag

Von Matthias Bosenick (17.12.2020)

Für den Rezensenten ist es ein schwieriges Terrain: Lyrik, Gedichte, Poesie, da fehlt ihm im allgemein und grundsätzlich der Zugang. Nun bildet dies jedoch den Schwerpunkt im Schaffen des Dresdener Autoren und Verlegers René Seim. Eine Betrachtung seines Oeuvres aus der Position des Unbeleckten kann daher nur viel zu weit am Wesen der Dinge vorbeigehen. Versucht sei eine Annäherung an drei Bücher des Multitalents, der nicht nur als Autor und Verleger (Windlustverlag), sondern auch als DJ Cramér („Wildblumenblues“, „Wildes Parfum“), Fotograf und Labelbetreiber (Head Perfume Records) tätig ist: „Bunte Hunde, wilde Vögel“, „Spielereien einer vielschrötigen Flöte“ und „Fliegende Fenster“, allesamt erschienen im eigenen Windlustverlag.

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Dan Yell – Hirnfick, Scheusal & ich – Dan Yell 2020

Von Matthias Bosenick (18.11.2020)

Nach der Lektüre dieses Büchleins hätte der Rezensent dem Autoren davon abgeraten, es zu veröffentlichen. In „Hirnfick, Scheusal & ich“ macht Dan Yell seine Sicht auf eine toxische Beziehung zu einem anderen Punkmusiker öffentlich und legt sein Inneres offen. Für ihn ist es Verarbeitung, für den Genannten womöglich Provokation sowie für den Leser eine Art Brief mit der Nacherzählung der Geschichte und einer von sehr vielen Varianten, mit so etwas umzugehen – jedoch nicht in aller Augen die beste. Als psychologisches Lehrstück für die subjektive Auseinandersetzung mit Mobbing ist es passabel, als Hilfestellung nur bedingt. Dem Büchlein liegt wahlweise eine CD oder ein Tape mit der Punk- und Wave-Musik bei, die im Text Erwähnung findet.

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Ben Aaronovitch – Ein weißer Schwan in Tabernacle Street (False Value) – DTV 2020

Von Matthias Bosenick (09.11.2020)

Hat er gut gemacht! In den vergangenen fast zehn Jahren schien es, als habe Ben Aaronovitch zuletzt das Ziel verfolgt, so viel wie möglich aus seiner zum Kult erhobenen „Die Flüsse von London“-Serie um den Zauberpolizisten Peter Grant herauszuquetschen, koste es, was es wolle, und seien es Qualität oder Verständlichkeit. Im achten Band der Reihe hat er sich offenbar wieder gefangen: Die Story ist nachvollziehbar, die Nebenhandlungen fügen sich in die Hauptgeschichte ein und lenken nicht von ihr ab, die Vorbereitung auf die Lösung schließt etwas Neues mit ein und die ausreichend diffuse Lösung ist dann doch nicht vorhersagbar. Inklusive Humor und Ermittlungsarbeit ist alles drin, was man sich wünscht. Nur der Preis ist frech, aber dafür kann Aaronovitch wohl weniger.

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Matthias Hufnagl – Interim. Gineitel Lichtorgeln – Windlust-Verlag 2020

Von Matthias Bosenick (15.10.2020)

O Lyrik, du ungnädige Literaturgattung! Wer nicht sowieso einen Zugang zu dir hat, tut sich auch mit dem Gedichtband „Interim. Gineitel Lichtorgeln“ von Matthias Hufnagl schwer. Zunächst zumindest: Man muss sich reinknien, muss es wirken lassen, sich den Bildern hingeben, den sprachlichen wie den tatsächlichen, die der Berliner DJ, Dichter und Hobbyfotograf mit Wurzeln in Dresden seinen minimalistischen Betrachtungen zur Seite stellt. Dann bekommt man einen Eindruck von Nachtleben, Fernweh, Wehmut und dem Gefühl dafür, wie schwer ein Leben ist, indem man seine Position noch nicht gefunden hat. Und davon, wie die Texte im Livevortrag wohl wirken mögen.

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Sibylle Schreiber – Vom Lachen über den Tod – Ehrlich-Verlag 2019

Von Matthias Bosenick (08.07.2020)

„Der Tod ist leider niemals lustig“, befand Terence Hill alias „Nobody“, und so begegnet die Gesellschaft diesem dem Leben immanenten Phänomen zumeist, indem sie es bestenfalls ausblendet. Gegensätzliche Erfahrungen wiederum machte die Wolfsburger Autorin Sibylle Schreiber, als sie als Lesende einige Zeit im Hospiz verbrachte: Ohne den Tod zu veralbern, begegnet man ihm dort zuweilen überraschend gutgelaunt. Behutsam und warmherzig berichtet Schreiber von Erlebnissen, die Belegschaft und Bewohner mit rührenden, fröhlichen, unerwarteten, schlagfertigen Reaktionen auf das nahende Sterben machten.

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