Von Matthias Bosenick (25.05.2025)
Eigentlich erzählt „Fast Weltweit“ vom gleichnamigen Label aus Ostwestfalen, aus dessen Wurzeln in den Neunzigern die Hamburger Schule spross, etwa mit Bernd Begemann, Die Braut haut ins Auge, Die Sterne oder Blumfeld. Andererseits setzt Autor Christof Dörr dieses Interview-Mosaik zusammen wie einen Roman, erst Coming of Age, Abenteuer, dann Erfolgsgeschichte und zuletzt Drama und Psychogramm, durchgehend spannend, mitreißend, erhellend. Von sympathischen Jugendlichen in der Provinz, die davon träumen, mit ihrer unzeitgemäß deutschsprachigen Musik berühmt zu werden, und dieses Ziel gegen alle Erwartungen sogar erreichen. Mit einigen Opfern.
Archiv der Kategorie: Buch
H. Hilker, A. Pehlemann, A. Ulrich, J. Wagner (Hg.) – Power von der Eastside: Jugendradio DT64, Massenmedium und Massenbewegung – Ventil 2025

Von Matthias Bosenick (25.04.2025)
Wir hörten DT64 damals, im Zonenrandgebiet, obschon zumeist zur Nachwendezeit erst, weil der Sender ein Musikprogramm bot, das man von den renommierten Sendern aus der Gegend nicht mehr kannte, da die sich in Richtung Formatradio verabschiedet hatten. Was wir alles nicht wussten – etwa, was der Name bedeutete, welche Rolle der Sender zu DDR-Zeiten spielte und welche phantasievollen Kämpfe es nach der Wende um den Erhalt dieser wichtigen Einrichtung gab –, das erfährt man nun in diesem Buch, nach einem Slogan des ursprünglichen FDJ-Senders „Power von der Eastside“ genannt. Und man lernt in diesem Kompendium aus bereits 1993 erschienenen und neu angefertigten Aufsätzen auch so einiges über Selbstverständnis und Selbstermächtigung im Unrechtsstaat, deutsch-deutsche Geschichte und Rock’n’Roll. Spoiler: DT64 heißt seit 1993 mdr Sputnik und ist ein Formatradio. Die Erinnerungen an DT64 indes brennen noch immer, wie dieses Buch belegt.
Was meine Freundin gerne liest – die Literaturkolumne Bonusfolge: Ich möchte lieber nicht – Bartleby, der Schreiber
Von Onkel Rosebud
Bei allem, was die Weltliteratur so hergibt, findet meine Freundin neben Kafkas Verwandlung die Geschichte „Bartleby, der Schreiber“ von Herman Melville am abgefahrensten.
Die Handlung geht so: Ein namenloser New Yorker Anwalt in den 1850ern erzählt die Geschichte seines überaus seltsamen Schreibers Bartleby. Zuerst stellt er sich selbst, seine Kanzlei, die Angestellten namens „Puter“, „Beißzange“ und „Pfeffernuß“ mit ihren Eigenheiten vor. Eines Tages erscheint ein junger Mann in der Kanzlei: Bartleby, „sauber, erbarmungswürdig, achtbar und einsam“. Anfangs kopiert dieser Tag und Nacht mit stillem Fleiß und einsiedlerischer Ausdauer. Doch dann beginnt er, die Arbeit ohne Angabe eines Grundes mit den Worten „Ich möchte lieber nicht“ zu verweigern: Bartlebys passiver Widerstand löst in der Runde Rätselraten aus. Wie kann man mit ihm umgehen? Puter meint, gutes Bier könne helfen. Alle diskutieren darüber, während sich Bartleby hinter seinem Wandschirm einrichtet. Der Erzähler versucht, von Bartleby etwas über dessen Leben zu erfahren, um seine Motivation zu verstehen. Aber Bartleby „möchte lieber nicht“ mehr seine Arbeit machen.
WeiterlesenRobert Seethaler & Rattelschneck – Trotteln – Ullstein 2025
Von Matthias Bosenick (15.04.2025)
Seit über 35 Jahren ist das Cartoonzeichnerduo Rattelschneck auf eine einzigartige Weise witzig. Diese Kontinuität bei beibehaltener Kompromisslosigkeit können nicht allzu viele Cartoonisten für sich beanspruchen. Nun kommt es zu einem virtuellen Schlagabtausch zwischen der Hälfte dieses Duos – deshalb ist die Autorenschaft an dieser Stelle etwas irreführend –, namentlich Marcus Weimer, und dem Schriftsteller Robert Seethaler, den diese beiden nun unter dem Titel „Trotteln“ als Buch unter die Leserschaft werfen. Fazit: Weimer ist einfach nach wie vor der unschlagbar trockenste Beobachter, Seethaler nimmt sich wichtig und das Buch ist in seiner Preisgestaltung nicht wirklich dem Inhalt angemessen.
Was meine Freundin gerne liest – die Literaturkolumne: Prädikat Pädagogisch nicht wertvoll: Alfons Zitterbacke
Von Onkel Rosebud
Alfons Zitterbacke ist die populärste Kinderbuchfigur der DDR. Erfunden wurde sie von Gerhard Holtz-Baumert, einem systemtreuen SED-Funktionär, in den 60er Jahren. Mehrere Bücher erzählen humorvolle, aber auch nachdenkliche Geschichten aus dem Leben eines aufmüpfigen Jungen. So jedenfalls hatte ich die Kindheitserinnerung verklärt abgespeichert. Für diesen Text habe ich noch mal „Alfons Zitterbacke: Geschichten eines Pechvogels“ aus dem Bücherregal meiner Freundin gefischt und war entsetzt.
WeiterlesenWas meine Freundin gerne liest – die Literaturkolumne: Ich immer sprechen hübsch.
Von Onkel Rosebud
Ich möchte mich festlegen. Der lustigste Satz, den ich je in einem Buch gelesen habe, steht in einer Kurzgeschichte von David Sedaris und lautet: „Sie sehen aus, als könnte ich einen Drink gebrauchen.“ So lautet jedenfalls die Übersetzung aus dem Amerikanischen, wie es immer so heißt. Rätselhaft erscheint mir in dem Zusammenhang die Frage, sprechen Amerikaner nicht mehr oder weniger Englisch? Anyway, die Übersetzung ist von großen Harry Rowohlt. Im Original ist der Satz aber ganz genau so lustig: „You look like I need a drink.“
WeiterlesenHelmut Exner – Lilly und der Racheengel – EPV-Verlag 2025
Von Guido Dörheide (26.03.2025)
Er nu wieder: Nicht mal ein Jahr nach „Tammo – Wunderkind wider Willen“ erscheint Helmut Exners 22. Band aus der Fräulein-Lilly-Höschen-Reihe. Die pensionierte Lehrkraft aus Lautenthal muss mittlerweile 92 Jahre alt sein, ist, wie der Autor im vorliegenden Band selber feststellt, nicht totzukriegen und mischt sich nach wie vor in alles ein, was auch nur entfernt nach einem spannenden Kriminalfall riecht.
WeiterlesenWas meine Freundin gerne liest – die Literaturkolumne: Walter Moers, Sie alte Berghutze.
Von Onkel Rosebud
Wenn meine Freundin nur ein Buch auf eine einsame Insel mitnehmen dürfte, dann wäre das „Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär, Untertitel: Die halben Lebenserinnerungen eines Seebären, mit zahlreichen Illustrationen und unter Benutzung des Lexikons der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller“ (Penguin-Verlag). Von Walter Moers aus Mönchengladbach. Ja genau, der Comic-Zeichner des kleinen Arschlochs und Adolfs, der Nazisau.
WeiterlesenWas meine Freundin gerne liest – die Literaturkolumne: The World According to meine Freundin
Von Onkel Rosebud
Meine Freundin hat, bevor sie ein neues Buch anfängt, die Angewohnheit, zuerst den letzten Satz zu lesen. Sie ist der Meinung, dass erste Sätze bestenfalls in die Geschichte verführen, aber generell überschätzt werden, weil man den zweiten sowieso auch liest. Die Kunst einer Schriftstellerei besteht darin, mit Anstand einen Abgang aus einem Text zu machen. Ein wirklich gutes Buch kann nicht einfach so irgendwie aufhören. Mit dem letzten Satz wird der Erzählung die Seele eingehaucht. Ich habe mich zwar daran gewöhnt, finde es allerdings nach wie vor irritierend und frage sie dann immer, warum sie sich spoilert? Meine Freundin antwortet, dass mein Einwand Quatsch sei, weil die wesentliche Handlungselemente unmöglich in einem letzten Satz zusammenfasst werden können und weder Genuss am vollständigen Werk oder Spannung verderben. Ich lasse die Widerworte dazu stecken und stelle mir vor, wie gern sie, wenn sie „Mehr kann darüber nicht gesagt werden.“ liest, 1386 Seiten nach hinten blättert, um J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ zu starten.
WeiterlesenWas meine Freundin gerne liest – die Literaturkolumne: Der Herr der Zäune.
Von Onkel Rosebud „The Restraint Of Beasts“, auf Deutsch „Die Herren der Zäune“ (Suhrkamp 2000), ist der Titel des ersten Romans von Magnus Mills, ein Buch, das intrinsisch gesehen unter dem Kopfkissen meiner Freundin liegt, seitdem sie es zum ersten Mal gelesen hat.
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