Von Matthias Bosenick (12.08.2025)
Beinahe fühlt es sich an wie Verrat, dass „Moon’s Mallow“, die vierte Schallplatte der Psychedelic-Britrocker gleichen Namens aus Bari, trotz melancholischer Grundierung so gutgelaunt daherkommt – schließlich ist es das Vermächtnis von Claudio Colaianni, dem Gitarristen, den Bandkopf Gioia Coppola von den Heavy-Psych-Helden Anuseye und That’s All Folks! für sein Projekt übernommen hatte, denn er verstarb Anfang Juli. Hier hört man ihn und die ganze Band in voller Spielfreude ein Album einrocken, das auch ohne den Trauerflor etwas Besonderes ist.
Archiv der Kategorie: Album
Ethel Cain – Willoughby Tucker, I’ll Always Love You – Daughters Of Cain Records 2025
Von Guido Dörheide (10.08.2025)
Was hört man eigentlich, wenn man gerade keine Lust auf Lady Gaga oder – noch besser – Lana del Rey hat? Anna von Hausswolff und Chelsea Wolfe haben immerhin lange kein neues Album veröffentlicht. Dann also Ethel Cain? Zumindest hat sie sich mit ihrem 2022er Debütalbum „Preacher’s Daughter“ aus meiner Sicht mit Vehemenz und sehr kompetent in die Fußstapfen der Vorgenannten geschmissen (ein Album, von dem ich zugegebenermaßen und in diesem Magazin nachlesbar erst Jahrende nach der Veröffentlichung Kenntnis erlangt hatte), aber seit dem gerade erst vor wenigen Monaten veröffentlichten Zweitlingswerk (das trotz der langen Spielzeit als EP zählt, somit ist „Willoughby Tucker etc.“ erst ihr zweites Album und damit passt es schon wieder, zuvor Geäußertes zu erwarten) „Perverts“ war ich mir nicht sicher, in welche Richtung sich das Werk der gebürtigen Floridaerin aus nunmehr Pennsylvania entwickeln würde. „Preacher’s Daughter“ war irgendwie sowas wie seeehr seeehr dunkler Folk mit Dreampopeinflüssen, wunderschönen Melodien und verstörenden Inhalten, auf „Perverts“ trat dann mehr das verstörende Element in den Vordergrund. Drone-Elemente wechselten sich mit Ambient-Passagen ab und zwischendurch schimmerte immer mal wieder der düstere Folk durch, und die Texte taten ihr Übriges zur beeindruckenden Gesamtwirkung bei.
WeiterlesenHouses Of Heaven – Within/Without – Felte 2024
Von Matthias Bosenick (07.08.2025)
Ein tragisches Ereignis ist der Grund, warum Houses Of Heaven ins Bewusstsein des Rezensenten kamen: Nach dem Tod des Nitzer-Ebb-Sängers Douglas McCarthy teilte jemand in diesem Internet den Song mit dem programmatischen Titel „The End Of Me“, den McCarthy für das Trio aus Oakland einsang. Flugs das Album erworben, stellt sich heraus, dass die anderen Songs sogar noch besser sind: Achtziger-Synthie-Sounds kombiniert mit analogen Instrumenten und zeitgemäßem Songwriting, melancholische Stimmung, und dann noch auf graumeliertem Vinyl. Eine schöne Entdeckung!
Psycho Symphony – Silent Fall – Audio Pro 1997/Loud Rage Music 2025
Von Matthias Bosenick (06.08.2025)
Legt man heute „Silent Fall“ auf, das Debüt und einzige Album des rumänischen Quartetts Psycho Symphony, muss man die Entstehung dieses Prog-Metal-Werkes berücksichtigen: Mitte der Neunziger und ohne nennenswerte technische Ausstattung erstellten die vier Musiker diese verschachtelten Frickeleien, setzten ihre Visionen um und mit diesem ursprünglich ausschließlich als Tape erschienenen Album außerdem einen Pflock in die rumänische Metallandschaft. Jetzt ist „Silent Fall“ erstmals als CD und Stream zu haben.
Roger Waters – This Is Not A Drill (Live From Prague) – Columbia/Legacy 2025
Von Guido Dörheide (02.08.2025)
Hach ja, liebe Lesenden – neulich im Schrebergarten, Thomas wartet, während Rüdiger wässert… (oder wie Rötger Werner Friedrich Wilhelm Feldmann auf dem Höhepunkt seines Schaffens tönte: „Wenn Günter Grass kifft, fickt Curd Jürgens Hühner – Jürgen tun seine Hühner Leid, aber das Gras bauen wir neu an“), aber dieser Beitrag soll nicht von Tom Waits und auch nicht von Brösel oder Werner, sondern von Roger Waters handeln. Gäbe es auf der einsamen Insel (former proud member of the EU) nur zwei Bücher, und wären diese betitelt mit „Die 100 größten Nervensägen des 20. Jahrhunderts“ und „Die 100 größten Nervensägen des 21. Jahrhunderts“ – Roger Waters nähme in beiden Werken einen der vorderen Plätze unter den ersten Zehn ein. Wo ist der verrückte Buchmacher, wenn man ihn braucht? Und welcher Buchmacher wäre so verrückt, eine derart glasklare Wette anzunehmen, ohne seinen sicheren Ruin zu riskieren? Fragen über Fragen, aber wurscht, der unrasierte Kotzbrocken, der einst überaus kompetent die Bassgitarre bei Pink Floyd bediente und zahlreiche ihrer wunderbaren Songs komponierte und sang, ist zurück mit einem im Jahr 2023 zu Prag aufgenommenen Live-Album, und mit eben diesem möchte ich mich hier auseinandersetzen.
WeiterlesenWe Lost The Sea – A Single Flower – Bird’s Robe Records/dunk!records/Translation Loss Records/New Noise 2025
Von Matthias Bosenick (01.08.2025)
Mittlerweile ist der Post-Rock ja auch eine Art alter Kumpel geworden, reichlich ausformuliert und ausdefiniert. Das stellt man auch beim Hören von „A Single Flower“ fest, dem fünften Studioalbum des Sextetts We Lost The Sea aus Sydney: Die Parameter sind vertraut, die Strukturen, Harmonien, Emotionen, da muss man sich schon etwas einfallen lassen, um besonders zu bleiben. Festzustellen ist, dass es der Band bestens gelingt, ihre Musik genregemäß zu spielen; es ist eine Freude, „A Single Flower“ zu hören. Für die größere Unterscheidbarkeit müssten aber mehr Abweichungen her.
Anna Never – Serpi In Seno – Les Longs Adieux 2025
Von Matthias Bosenick (31.07.2025)
Man hört, dass das Duo Les Longs Adieux aus Rom Bock hatte, seinen Sound aufzubrechen und in eine gitarrenlastige Richtung zu drängen. Mit zwei bis drei Gastmusikern hoben Federica Garenna und Frank Marelli das Projekt Anna Never aus der Taufe und präsentieren nun das Album mit dem Äsop-Titel „Serpi In Seno“, und das hat’s in sich: Oldschooliger Achtziger-Punk-Wave, garniert mit Gitarrenelementen aus ebenfalls oldschooliogen Metal- und Rock-Richtungen, dazu Federicas durchdringender Gesang und der Bock, irgendwas anzuzünden.
Red Lorry Yellow Lorry – Strange Kind Of Paradise – ALI!VE/COP International 2025
Von Guido Dörheide (27.07.2025)
Hier ist mir jetzt der Herausgeber zuvorgekommen und mit allem, was er schreibt, hat er Recht und spricht er wahr, aber gestatten Sie mir, treue Leserinnen und Leser, dennoch einige autobiografisch eingefärbte Anmerkungen zur aktuellen Veröffentlichung von Chris Reeds Red Lorry Yellow Lorry, einem der Urgesteine der UK-britischen Postpunkgothrockgemengelage. Und ich schwöre, ich schreibe nichts zur Musik auf dem neuen Album, auf dem Chris Reed das wunderbare Gefühl, das seit „Talk About The Weather“ (1985) beim Hören eines jeden neuen Albums der Lorries entsteht, nochmal aufs Wunderbarste Paroli laufen lässt. Das hat Herr Van Bauseneick schon getan und ich möchte den Lesenden hier gerne Bock machen, die geile Review zu lesen (hier bitte Link einfügen, Matze!). [Hab ich gemacht, danke, Guido! Ohne dich hätte ich diese Band überhaupt erst viel später entdeckt. M.]
WeiterlesenReichenhall – The Hen – Iapetus Media 2025
Von Matthias Bosenick (24.07.2025)
Auf ihrem neuen Album „The Hen“ widmen sich die produktiven Experimental-Elektroniker Reichenhall aus Berlin dem Leben einer Henne, wie es der Titel bereits andeutet. Vom Schlüpfen bis zum Nachwuchs verfolgt das Quartett seine Geflügeldame, und das zuvorderst als Ambient, als Soundscapes, mit eingearbeiteten Samples und Effekten, die das Hühnerverhalten abbilden. Auch ohne dieses Konzept lässt sich zum chilligen „The Hen“ bestens ein Ei auf alles pellen.
Red Lorry Yellow Lorry – Strange Kind Of Paradise – COP International 2025
Von Matthias Bosenick (23.07.2025)
„Strange Kind Of Paradise“ ist Chris Reeds Vermächtnis zu Lebzeiten: Der Sänger, Gitarrist und Bandkopf von Red Lorry Yellow Lorry aus Leeds ist schwer krank, heißt es, hatte aber noch dieses finale Album in der Pipeline, über 30 Jahre nach dem Vorgänger „Blasting Off“. Den charakteristischen Darkwave-Drumcomputer tauschten die Engländer gegen einen echten Drummer aus, um den Schwerpunkt zu verlagern: Zum Gothic Rock fühlten sie sich nicht zugeordnet, sagen sie, sondern mehr dem Rock’n’Roll. Stattgegeben, das Album rockt auch mit Electro-Elementen, ist aber trotzdem nicht frei von Dunkelheit, Melancholie und Wehmut. Was Wunder. Auf diese Weise rücken die Lorries musikalisch sogar näher an Chris Reeds Solo-Aktivitäten Unit und Woof!.