Nac/Hut Report – Blue Afternoon – Enjoy Life 2025

Von Matthias Bosenick (06.05.2025)

Eine der kompromisslosesten Bands dieser Tage: Auf „Blue Afternoon“ setzt das Duo Nac/Hut Report aus Kraków sein Konzept fort, mit verhuschtem 4AD-Dreampop-Gesang zu geschredderter Musik die Schönheit in der Vergänglichkeit und im Lärm zu positionieren. Für ihr jüngstes Album fuhren die beiden Musizierenden das Schreddern zurück, die Sounds sind durchgängiger, der Kontrast zur Stimme ist nicht mehr so riesig; da passt der Titel perfekt: Hier bekommt man den Soundtrack zu einem allein verbrachten melancholischen Nachmittag, Erinnerungen nachhängend und vor lauter Wehmut komplett glücklich.

Die Quellen für die Musik auf „Blue Afternoon“ bleiben so diffus wie die Musik selbst: Man hört Schallplattenknistern und einen dumpfen Klang, der wohl von einer auf einem Grammophon abgespielten Schellack-Platte herrühren mag. Musiker LM nimmt seine Tonträger, zeichnet sie auf, seziert sie, trennt die nützlichen Passagen ab, fügt sie neu zusammen und lässt so das Harmonische mit dem Disharmonischen kollidieren, besser: eine schlüssige Einheit eingehen. Beispiel: Eine sanfte Spieluhr oder eine Pianomelodie wiegen die Hörenden in den Schlaf, während gleichzeitig ein Störgeräusch, etwa eine Sirene, das Einnicken verhindert. Sanfte Melodien, mit unidentifizierbaren Instrumenten erstellt, beginnen zu leiern, die Tonlage ungenau zu reproduzieren, miteinander in den Abgrund zu rutschen. Über allem liegt eine Käseglocke, die den Sound dämpft, eben wie auf einem Grammophon abgespielt. So schichtet LM Lage auf Lage, ohne dass die Tracks übervoll wirken, man aber beim Zuhören ins Taumeln gerät.

So wäre es ja schon spannend genug, aber Nac/Hut Report sind ja ein Duo, und so haucht Jadwiga Taba ihre Gesänge ätherisch-gespenstisch auf diese Soundcollagen. Ihre Art zu singen verleiht der Musik noch mehr Schönheit, gleichzeitig lässt sie den Eindruck von Spuk zu, von verhangenen Nebeltagen im Dämmerlicht, von Geistererscheinungen an verwunschenen Seen, in denen diese Erscheinungen zu verschwinden scheinen. Unklar bleibt, ob sie die Hörenden in den Schlaf singt oder sich selbst Hoffnung macht, sich selbst beruhigt, sich selbst Zuspruch verleiht und die geneigte Öffentlichkeit daran teilhaben lässt.

Das Zusammenspiel von Gesang und Musik wirkt wie ein Traum, den man nicht zu fassen bekommt, nicht einmal, noch während man ihn träumt. Oder wie ein verblassender Eintrag in einem Tagebuch, das jemand nach Jahrzehnten findet und zu entziffern versucht. Oder wie die metaphysische Kontaktaufnahme zu fast vergessenen Ahnen, die fetzenhaft ihre Mitteilungen über den Äther schicken. Was der Schönheit dieser Musik zuträglich ist, ist der Umstand, dass LM seine Samples dieses Mal nicht so stark auf Kante schreddert wie zuvor, er also den Gedanken an Industrial nicht aufkommen lässt und seine Quellen zwar bearbeitet, in die Schräge kippt und verfremdet, aber eben nicht brutal zerstört. Auch lässt er Jadwigas Stimme unangetastet. Das kommt zwar auch immer geil, wenn er das alles macht, nachzuhören auf den frühen Alben von Nac/Hut Report, aber es lässt sich verfolgen, wie er sein Konzept von Album zu Album entwickelt und verfeinert. Sirenen und sonstigen Lärm gibt es in dieser grundsätzlich schönen Musik ja trotzdem, nur nicht durchgehend, eher punktuell gesetzt.

Ein Bisschen ein Geheimnis machen die beiden an Nac/Hut Report Beteiligten um sich. Klar ist die Position am Mikro: Jadwiga Taba, zumindest in der abgekürzten Variante ihres Nachnamens, aus Kraków; sie ist auch als Brigitte Roussel oder TABA zu finden. An der sonstigen Gerätschaft hantiert ein Italiener, der in der Regel, wenn überhaupt, als LM in Erscheinung tritt, gelegentlich auch als Li/ese/Li.

„Blue Afternoon“ dürfte das neunte Album des Duos seit 2009 sein. Es endet mit einem Lärmgebräu aus Sirenen und Glockengeläut sowie einer Grammophonnadel, die sich vom Schellack erhebt. Damit ist man wieder aufgeschreckt und in den Alltag zurückgeworfen. Um dem zu entfliehen, empfiehlt es sich, „Blue Afternoon“ einfach gleich nochmal aufzulegen. „Es wird dunkel hier / Dunkelheit trennt uns“, behauptet das Duo auf seiner Bandcamp-Seite, und man kann nur widersprechen: Diese Dunkelheit ist mitnichten undurchdringlich – und sie verbindet.