Ich gebe ja gerne zu, dass ich mir jedes Mal von Neuem auf die Füße sabbere, wenn Dolly Parton mal wieder ein neues Album unter die Leute schmeißt – aber so gespannt wie dieses Mal war ich noch nie: Parton, mittlerweile 77 Jahre alt und seit nunmehr deutlich über 50 Jahren im Musikgeschäft tätig, wurde 2022 in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen, ohne auch nur ein einziges Rock-Album aufgenommen zu haben, und tritt nun heuer an, das zu ändern. Und wie.
Nennen Sie mir einen Musikanten aus den Alpen, der immer eine wollene Mütze auf dem Kopf trägt und die europäische Musiklandschaft geprägt hat wie kaum ein Zweiter – nun, hm, häh? Nein, die Rede ist hier nicht von DJ Ötzi, sondern von Thomas Gabriel Fischer a/k/a Tom G. Warrior, der mit seinen Bands Hellhammer und Celtic Frost Musikgeschichte geschrieben hat und mit Triptykon eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass er immer noch eine ganze Menge zu sagen hat und willens und in der Lage ist, dieses klangtechnisch zu untermauern. Mit seiner aktuellen Band „Triumph Of Death“, benannt nach einem Hellhammer-Song, lässt er nunmehr die alten Zeiten rollen, und das macht er ganz hervorragend.
St. Louis Park liegt in Hennepin County im Bundesstaat Minnesota, also im Mittleren Westen, dem Teil der USA, der im 19. Jahrhundert das Bedürfnis hatte, sich von der Ostküste und von Richtung Europa abzugrenzen. Die Stadt hat ca. 50.000 Einwohner, die Coen-Brüder stammen von da und auch John Wozniak (geboren 1971). Die größte Sehenswürdigkeit des Städtchens ist der Peavey-Haglin Experimental Concrete Grain Elevator, ein Ende des 19. Jahrhunderts erbautes, zwanzig Meter hohes Getreidesilo. Würde St. Louis nicht an Minneapolis mit fast 500.000 Einwohner grenzen, dann gilt für jeden dort geborenen Freigeist: Get the hell out of there. So geschehen mit den Coen-Brüdern (Los Angeles) und John Wozniak zog Mitte der Neunziger nach New York, um mit der Formation Marcy Playground, benannt nach dem Spielplatz seiner Grundschule „Marcy Open“, mit melodieseligem, leicht schrägem Gitarrenpop den amerikanischen College-Rock aufzumischen. So Pavement für Arme. Ergebnis: Im Jahr 2012 wurde sein Gassenhauer „Sex And Candy“ aus dem Jahr 1997 von der Musikjournaille Rolling Stone zum viertbesten One-Hit-Wonder der 1990er Jahre gekürt.
Das dürfte ein schöner Soundtrack für den Herbst sein, was der Musiktüftler Sébastien Guérive aus Nantes auf „Obscure Clarity“ anbietet: Partiell zwar rhythmische, elektronisch basierte Musik, aber doch eher schwelgerisch, träumerisch als zum Tanzen aufgelegt, und ganz viele himmelsstürmende Soundscapes. Man hat die Idee eines Soundtracks vor den inneren Augen und möchte gern den Film dazu sehen. Instrumentale Wohlfühlmusik für Unwohlfühlzeiten.
Weiterentwicklung, so wichtig, um kreativ nicht auszubrennen oder sich grundlos zu wiederholen! Hört man sich durch das Oeuvre von Ammalie Bruuns Alter Ego Myrkur, bekommt man diesen Ansatz mehr als bestätigt: vom Ein-Frau-Black-Metal-Projekt über Kammerchor und Folklore zu – nun: Pop. Ein Zirkelschluss mithin, denn mit ihrer früheren Band Ex Cops machte Bruun bereits Rockpop, aber anders gelagert: Auf „Spine“ schwingen Abba mit, man mag es nicht glauben, und etwas Roxette vielleicht. Und Europe. Sehr schwedisch für eine Dänin! Und doch bei weitem nicht so glitzernd: Ihre Dunkelheit streift Bruun nicht ab, die Abgründe finden einen Platz in dieser schönen Musik, mit der sie ihre Mutterschaft bewältigt. Aber kurios ist die Entwicklung schon, an der auch noch Billy Corgan von den Smashing Pumpkins beteiligt ist. Um es ihrer Gemeinde trotzdem leichter zu machen, bringt sie außerdem auch sämtliche ihrer bisherigen Sounds auf „Spine“ unter, und es passt formidabel.
Ins Fach Alternative Metal sortieren sich Misty Route mit ihrem Debüt „Without A Trace“ selbst ein, da treten sofort Assoziationen hervor, irgendwie Neunziger, etwas Grunge, etwas NuMetal, und ja, das stimmt auch, doch überschreiten die Griechen die Grenzen der Gefälligkeit, indem sie auch die progressiv-komplexen Strukturen von beispielsweise Opeth oder Tool hinzuziehen. Das Trio veröffentlichte das in Griechenland aufgenommene und in Schweden von Göran Finnberg gemasterte Album vor zwei Jahren digital, das französische Bitume-Label bringt es jetzt physisch auf den Markt. Die Zeitreise, die man beim Hören antritt, reicht indes weiter zurück als diese zwei Jahre – einiges mag einem vertraut vorkommen, aber nicht in dieser Mixtur, die viele zurückgenommene Passagen mit wuchtigem und unvorhersehbarem Metal durchbricht. Ein wohlgefälliger melancholischer Mix, der es verschmerzen lässt, dass gelegentlich auch die unappetitlichen Metallica der Neunziger durchschimmern.
Punk mit Trompeten ist nicht automatisch Ska, auch wenn der Gedanke naheliegt: Die Ugly Hurons betreiben diesen Soundmix, und beim Hören des neuen Albums „Proud To Be Ugly“ fühlt man sich eher an die energetische Genrekombination vom Farin Urlaub Racing Team erinnert als an sarenwama The Busters, auch wenn sich mal ein verlegener Off-Beat in die elf Stücke mogelt. Vor 40 Jahren, als die Band aus Hermsdorf in Thüringen auch beinahe schon existierte, hätte man angesichts der ironischen Darbietung einiger Inhalte sicherlich von Funpunk gesprochen, doch sind die Gute-Laune-Beiträge hier eher Bestandteil einer Art breitgefächerter Bestandsaufnahme gegenwärtiger Themen als ein Kernanliegen. Das Septett aus der Mitte zwischen Jena und Gera ordnet sich selbst seit 1987 als Brutaloschlager ein – das kann man trotzdem gut gelten lassen.
Für solche Musik etablierte sich damals wohl der Begriff Schmockrock: Vorsichtig angerauhter Rockpop, im mitklatschtauglichen Midtempo gehalten, eingängige Melodien, vertraute Rhythmen, eingebaute Keyboards. Und das von einer Band, die seit den frühen Siebzigern in Deutschland den Krautrock mitdefinierte: Jane aus Hannover, hier wiederveröffentlicht das letzte Studioalbum ohne Präfix, „Beautiful Lady“ aus dem Jahr 1986, ein Quasi-Comeback und der Schwanengesang in einem, denn in den Jahren danach zerstritten sich die ohnehin ständig ausgetauschten Musiker nochmal extra. Handwerklich ausnehmend passabel gemacht, lässt sich an dem Album dennoch gut ablesen, warum die Bezeichnung „Hardrock“ in der Zeit einen herabwürdigen Beigeschmack erhielt. Das Album ist somit eher ein nostalgisches Zeitdokument als musikalisch relevant. Das Label Sireena bringt es mit einer Liveversion des Titeltracks auf CD neu heraus, also nicht mit dessen Maxi-Version wie das ursprüngliche Label Sky selbst vor 30 Jahren.
Beim ersten Hören dachte ich „Was ist das?“ bzw. „Was soll das?“ Hatten die sechs Australier früher in diesem Jahr auf „PetroDragonic Apocalypse“ noch progressiven Thrash Metal mit der KGLW-typischen durchgeknallten Psychedelic gemischt, kommt „The Silver Cord“ rein elektronisch daher, womit ich nicht gerechnet hätte und was mir darob erstmal etwas Eingewöhnung abverlangte. Nach dieser lässt mich das Album jedoch nicht mehr los.
„The Silver Cord“ ist bereits das 25. Album, das King Gizzard & The Lizard Wizard seit 2012 veröffentlicht haben, und dieses Mal treiben sie ihre Veröffentlichungswut auf die Spitze bzw. nehmen sie gleichsam auf die Schippe, indem sie dasselbe Album zweimal gleichzeitig herausbringen. „The Silver Cord“ enthält 7 neue Songs mit einer Gesamtspielzeit von 28:14 Minuten. Anschließend folgen 7 bereits bekannte Songs mit einer Gesamtspielzeit von nochmal knapp anderthalb Stunden. Es handelt sich dabei um die ersten 7 Songs des Albums in der Extended-Mix-Version. Bereits die Langversion des Eröffnungsstücks „Theia“ ist mit über 20 Minuten fast so lang wie das ursprüngliche Album.
Kaum ist der Sommer vorbei, schwingt sich Bert Olke alias B. Ashra aus seiner sonnenbeschienenen Hängematte und erarbeitet gleich drei Releases mit – Dark Ambient, Ambient, spaciger Instrumental-Synthiemusik, Drones, also lauter Sachen, die man mit Sonne eher nicht assoziiert. „Gnome“ ist eine getragene Piano-Ambient-Single, „Dark Moments“ löst sein titelgebendes Versprechen mit dunkelsten Soundscapes ein und „Aurora“ ist ein chilliges Livealbum, das er Anfang Juni beim Open Ear Ambient Festival in der Fränkischen Schweiz mitschnitt. So darf es gern Herbst werden!