Von Matthias Bosenick (21.10.2021)
Das ist immer ein Phänomen mit den Manic Street Preachers: Sie bringen Jahr um Jahr neue Platten mit tollen Poprocksongs heraus, und bei jedem neuen Album fragt man sich nach den ersten Läufen, was davon überhaupt hängen blieb, und wenn man es dann unter diesem Aspekt noch einmal auflegt, stellt man fest, dass man alle Lieder längst mitsingen kann, und wenn man dann durch den Tag tändelt und irgendeinen Mancis-Song im Ohr pfeifen hat, weiß man wiederum nicht mehr, ob der jetzt wirklich vom neuen Album ist oder von irgendeinem der drölfzig davor. „The Ultra Vivid Lament“ ist poppig mit Ansage, und wenn man das Überproduzierte satt hat, legt man halt die Bonus-CD mit den reduzierten, aber kaum weniger gigantischen Versionen auf.
Archiv des Autors: Van Bauseneick
Tibet – Tibet – Bellaphon/Sireena 1978/2021
Von Matthias Bosenick (19.10.2021)
Werdohl! Da kann man als freakige Prog-Kraut-Rockband mit Orgel schon mal herkommen, so in den Siebzigern. Und sich dann Tibet nennen, weil das Sauerland ungefähr so hohe Berge hat wie der Himalaya. Nicht zum ersten Mal bringt das Label Sireena das selbstbetitelte Album erneut heraus, dieses Mal indes auf CD und mit Bonus. Musikalisch ist dies eine angenehm unspinnerte Reise mit vielen spannenden Umwegen, da erhebt sich die Band in der Tat über das Dach der Welt, und einem etwas anstrengenden Gesang. Die Orgel ist geil!
Human Impact – EP01 – Ipecac 2021
Von Matthias Bosenick (18.10.2021)
Das hier ist wohl das größte Geschenk für alle, die Bock auf mehr haben von Bands wie Swans, Cop Shoot Cop oder Unsane, und die sich Musik wünschen, die wie eine Mischung daraus klingt: Human Impact ist eine Quasi-Supergroup aus New York, die aus Mitgliedern ebenjener Bands besteht, entsprechend todernsten brachialen handgespielten US-Industrial mit Groove, Härte und Noise macht und mit „EP01“ diverse Online-Singles zu einem Compilation-Album auf Vinyl bündelt. Das ist gleichzeitig oldschool und in dieser Mischung so gut wie originell, mithin erfrischend neu.
Solbrud – Levende i Brønshøj Vandtårn – Napalm Records 2021
Von Matthias Bosenick (13.10.2021)
Endlich auf Vinyl und dann auch noch inklusive der DVD! Eine geile Idee überhaupt: Die Black-Metal-Band Solbrud spielte im November 2019 im titelgebenden Kopenhagener Wasserturm im Stadtteil Brønshøj zwei Konzerte, und da der Turm von sich aus einen fünfzehnsekündigen Hall hat, stimmte das Quartett die Songs der bisherigen drei Alben darauf ab und komponierte sogar einen neuen Song dafür. Klar, Black Metal ist Keifen, Blast Beats und Schrammelgitarre, wenn man nur oberflächlich hört, aber Solbrud sind dafür viel zu atmosphärisch, um damit abgekanzelt zu werden, und bauen außerdem nicht nur an diesem Ort in ihre Mucke unerwartete Elemente ein, von Ambient natürlich bis hin in Richtung Progrock. Episch!
Cuprion – Social – Cuprion 2021
Von Matthias Bosenick (11.10.2021)
Der Nachwuchs schläft nicht! Mit Cuprion aus Berlin (und eigentlich überhaupt gar nicht aus Berlin) macht eine junge Band seit zwei Jahren das Beste aus dem Umstand, dass es gefühlt alles schon gibt: Sie mixt dieses Alles einfach zu etwas Eigenem. Einflüsse lassen sich aus Djent, Progmetal, NuMetal, Mathcore, Metalcore und Ambient heraushören, und aus diesen und weiteren Quellen schöpfen Cuprion ihre eigene Energie. Zudem transportieren sie damit Inhalte, die sich nicht zuletzt aus der Zusammensetzung ihrer vier Bandmitglieder ergeben. Zunächst gibt es nur zwei Songs, aktuell davon ist die Single „Social“ – ein Album wäre mindestens ratsam!
Sepultura – SepulQuarta – Nuclear Blast 2021
Von Matthias Bosenick (08.10.2021)
Das machen Kulturgesichter in der Pandemie-Quarantäne: exklusive Konzerte streamen, sich für jeden Song einen anderen Gast aus dessen Home Office dazuschalten und davon 15 Tracks als Live-Album herausbringen. Da ist es scheißegal, dass der Sound von „SepulQuarta“ nicht durchgehend lecker ist – die Mucke ist es, Sepultura haben Bock, die Gäste aus allen Spielarten des Metal ebenso. Moshen statt jammern!
Helden der Wahrscheinlichkeit (Retfærdighedens Ryttere) – Anders Thomas Jensen – DK 2020
Von Matthias Bosenick (07.10.2021)
Alles beginnt mit einem gestohlenen Fahrrad: Aus einer Verkettung von Zufällen geraten drei Nerds und ein Soldat mit Rockern aneinander. Was Anders Thomas Jensen aus dieser Gemengelage macht, sprengt alle Genregrenzen und ist, gottlob, weitab davon, so peinlich zu sein, wie es das Plakat suggeriert und wie es Jensens voriger Film „Men & Chicken“ war. Humor und Tragik, Drama und Action, Emotionen und Blutbad: Perfekt ausbalanciert, auf den Punkt, sympathisch absurd, filmisch hochwertig und enorm seriös liefert der Däne einen der überraschendsten Filme der letzten Jahre. Und eine Vielzahl an Onelinern, für die allein man den Film schon öfter gucken muss.
Erasure – The Neon Remixed – Mute 2021
Von Matthias Bosenick (06.10.2021)
Da freut man sich erst groß über die positive musikalische Entwicklung der Synthiepopper Erasure, da kommen sie mit einer Remix-Sammlung ihres jüngsten Albums „The Neon“ um die Ecke, das erschreckenderweise nahezu frei von Experimenten eine Allianz mit dem Schlager eingeht. Selbst die sehr wenigen populären Namen retten diese Doppel-CD nicht, immerhin der neue Song „Secrets“ überzeugt mit seinem im klassischen Achtziger-Erasure-Sound gehaltenen analogen Synthiepop. Neue Hörer erschließt man sich damit abseits des ZDF-Fernsehgartens eher nicht.
GusGus – Mobile Home – Oroom 2021
Von Matthias Bosenick (03.10.2021)
Das geht gleich wieder geil los, mit knarzigen analogen Synthies, deepen Beats, grandiosen Melodien und souligem Gesang. Auf „Mobile Home“ sind GusGus aus Island wieder zu dritt, und zwar mit Margrét Rán Magnúsdóttir von der Band Vök als inzwischen 15. Bandmitglied seit 1995. Die Gesten sind nach wie vor groß, die Songs indes wieder näher am Pop als an der epischen Kathedrale, aber nicht weniger geil. Ein Ohrwurm jagt den nächsten, man mag das Album gar nicht mehr weglegen. Eine Großtat mit der Option auf das Album des Jahres!
Jomi Massage – Live am 9. September im Flindt & Ørsted, Ørstedsparken, Kopenhagen
Von Matthias Bosenick (19.09.2021)
Ein Spätsommernachmittag in einem Kopenhagener Park, gleich bei dem kleinen Café Flindt & Ørsted: Um ihr kommendes Album „Lyst“ und ein vollorchestriertes Konzert am 27. Oktober im Hotel Cecil zu promoten, gibt Jomi Massage, zu anderer Gelegenheit Teil der Indierockband Speaker Bite Me, ein halbstündiges Solokonzert mit E-Gitarre und E-Piano. Legen die Vorabsingles noch die Vermutung nahe, es bei dem Album mit verspieltem Jazz zu tun zu bekommen, verbreitet Jomi live eine minimalistische Intimität. Herrlich chillig. Die Sonne neigt sich dem Horizont, fish are jumping and the cotton is high.