Dave Gahan & Soulsavers – Imposter – Columbia 2021

Von Matthias Bosenick (14.03.2022)

Dave Gahan hat keinen Bock mehr. Seine Stimme hat Startschwierigkeiten, er rollt seinen Gesang nur noch mühselig knarrend an, so richtig motiviert scheint er gar nicht zu sein, aber muss ja. Eigene Songs macht er auch nicht mehr, auf „Imposter“ covert er ausschließlich andere Leute. Nicht mal auf seine Band Depeche Mode hat er mehr Bock, er lässt sein als Soloarbeit deklariertes Album einmal mehr vom Gospel-Electro-Projekt Soulsavers begleiten. Das funktioniert nicht durchgehend gut, sein Vorgänger Mark Lanegan hatte einfach die bessere Stimme für diesen Sound. Schlimme Nachricht: Mit dessen Tod wird das angekündigte nächste Album nicht mit ihm stattfinden. Nicht ganz so schlimme Nachricht: Ganz übel ist „Imposter“ gottlob auch wieder nicht. Und als hätte es Gahan geahnt, gehört Lanegan hier zu den Gecoverten.

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Tocotronic – Nie wieder Krieg – Vertigo Berlin 2022

Von Guido Dörheide (10.03.2022)

Ich weiß nicht, wieso ich Euch so hasse, Fahrradfahrer dieser Stadt. Dafür und für so viele andere Textzeilen habe ich Tocotronic in den 90ern gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Nach dem ersten selbstbetitelten Album (Tocotronic – das weiße Album, 2002) und spätestens nach „Pure Vernunft darf niemals siegen“ (2005) habe ich dann gedacht, jetzt kann ich mit deren Stil nicht mehr so recht was anfangen, und habe die Band komplett aus den Augen verloren.

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Toundra – Hex – Inside Out/Sony 2022

Von Matthias Bosenick (07.03.2022)

Sobald nur die Gitarre einsetzt, ist es wie eine Heimkehr, das gilt für die melancholische Dudelgitarre wie für das episch verzerrte Brett: Toundra ist eine Band, die man am Sound erkennt, einzigartig. Den instrumentalen Postrock der Spanier unterscheidet das Progressive von anderen Vertretern, die Stücke sind komplex und abwechslungsreich. Damit Musik nicht wie in diesem Genre üblich alsbald ins Weinerliche driftet, reichern Toundra sie mit einem kraftvollen Schlagzeug und einer streckenweise unerwarteten Härte an. Auch wenn instrumental hier das absolut aufgehende Konzept ist, wünscht man sich doch zusätzlich eine Rückkehr von Niño de Elche zurück, also die Fortsetzung des vorzüglichen gemeinsamen Flamenco-Projektes Exquirla.

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Converge & Chelsea Wolfe – Bloodmoon: I – Epitaph 2021

Von Matthias Bosenick (02.03.2022)

Da geht die Post ab, besser: das Post, denn das hier auf „Bloodmoon: I“ ist Post-Allesmögliche, Post-Hardcore, Post-Metalcore, Post-Postrock, Post-Doom, Post-Sludge, Post-Progmetal, Post-Grunge, Post-Gothrock, Post-Ambient, Post-Postpunk. Dem Converge-Schreihals Jacob Bannon steht hier Chelsea Wolfe zur Seite, die dem zumeist langsam lärmenden Gesamtwerk manchmal sogar etwas von Patti Smith verleiht. Dafür fährt die Band das Hardcore-Tempo zurück, wuchtet malmend und lässt sehr viel Zeit für richtiggehend fragile Momente. So düster geht Hardcore! Eine höchst bemerkenswerte Entwicklung.

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Dream Invasion – 50 – db2fluctuation 2022

Von Matthias Bosenick (28.02.2022)

Anlass für den Track seines Projektes Dream Invasion, dessen Länge im Titel definiert ist, ist ein Posten in Erwin Jadots Leben, der mit der darin enthaltenen Nummer korrespondiert: sein 50. Geburtstag. Nun könnte man meinen, Jadot nähme sich pro Jahr eine Minute Zeit, um das Erlebte in Musik zu verpacken, und der Track wäre ein turbulenter Reigen an kunterbunten Ideen, aber weit gefehlt: „50“ ist Ambient und erweckt den Eindruck, der Komponist müsse sich nach der zurückliegenden Zeitspanne erstmal erholen. Das sei ihm gegönnt, und mit dem Album im Ohr schließt man sich ihm gern an. Eine abenteuerliche Geschichte erzählt es nämlich trotzdem, nur stiller.

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Scorpions – Rock Believer – Vertigo Berlin 2022

Von Guido Dörheide (28.02.2022)

Klaus Meine ist der Sänger, den man für seinen Gesang feiert, auch wenn er textlich nur Mumpitz von sich gibt. So auch ich, so auch auf „Rock Believer“. Ein ziemlich mumpitzverdächtiger Titel für ein spitzenmäßiges Album. Und der Text des Titelsongs hält nicht nur, was der Titel verspricht, sondern übertrifft es bei Weitem: „Come on scream for me screamer, I‘m a rock believer, like you.“ Pick up the receiver, I make you a believer, schießt einem da durch den Kopf. Und titelmäßig hauen die Sarstedter einen nach dem andern raus: „Roots In My Boots“, „Knock ‘em Dead“ und auch für den Refrain von „Peacemaker“ wird es wohl den Literatur-Nobelpreis nicht geben („Peacemaker, peacemaker, bury me, undertaker“).

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Hades – 4 Singles – Cri Du Chat Disques/Universal Brasil 2021

Von Matthias Bosenick (24.02.2022)

Auch wenn’s kein klassischer EBM ist, ist der 24.2. ein gutes Datum, sich mit dem Brasilianischen Duo Hades zu befassen. Die Titel der früheren Veröffentlichungen, etwa „Morbid Action“, kombiniert mit dem Bandnamen lassen zwar an Black Metal denken, doch handelt es sich dabei um ein jüngst reaktiviertes über 30 Jahre altes Synthie-Projekt. Die dunkle, minimalistische Neunziger-Attitüde hört man auch den neu aufgenommenen vier alten Songs an, die Alan Draht und Sandro Couto veröffentlichten: dunkel, eher an US-Electro orientiert, trotz der aufs Wesentliche reduzierten Arrangements mit kleinen Details gespickt, Gruftstimme und auch im niedrigen Tempo keine Allüren, balladesk die Charts zu erobern. Kurios: Inzwischen steht bei Bandcamp, die Band komme aus Wolfsburg. Sowas!

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Keimzeit – Kein Fiasko – Comic Helden 2022

Von Guido Dörheide (19.02.2022)

Damals, als die deutsch-deutsche Grenze schon gefallen war, es die DDR aber noch gab, hörte ich gerne Sendungen im West-Radio, in denen DDR-Bürger das Programm gestalten konnten. Ich war Wessi, aufgewachsen in Sichtweite der Grenze, und lernte dadurch Songs kennen wie „E.S.T. – Trip To The Moon“ von Alien Sex Fiend (ja, das kannte ich vorher nicht!) und „Irrenhaus“ von Keimzeit. Und dachte bei zweiterem, das wäre unmittelbar nach dem Zusammenbruch der DDR geschrieben worden. „Irre ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament – Selber schuld daran, wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt“, das schrie förmlich danach, war aber schon vor Gorbatschows legendärem „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ (was er wohl tatsächlich nie gesagt hat, aber zumindest trotzdem aus 1989 stammen soll) geschrieben worden, und Norbert Leisegang, der dieses Monument von einem Song getextet und gesungen hatte, sagte später in Interviews, dass er beim Schreiben des Songs tatsächlich keinerlei Ende der DDR im Sinn hatte.

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Tara Nome Doyle – Værmin – Modern Recordings/Warner 2022

Von Guido Dörheide (19.02.2022)

Warum zum Teufel sollte man für die Blutegel beten?

Zum Beispiel aufgrund Tara Nome Doyles eindringlich vorgetragener Aufforderung „pray for the leeches“ gleich im ersten Song ihres neuen Albums. Dieser mag ich mich wirklich nicht widersetzen, zumal ich diese Zeile seit einigen Tagen immer andauernd permanent vor mich hinsingen muss und damit bestimmt schon das Misstrauen einiger Nachbarn auf mich gezogen habe. Es geht aber auch nicht, sich der Magie des Stückes „Leeches I“ zu entziehen:

Es beginnt sehr ruhig ohne viel Begleitmusik, nur eine einsame Orgel tönt, so dass das erste, dass die Zuhörenden auf „Værmin“ in den Bann schlägt, die Stimme ist. Ich weigere mich jetzt aber, zu schreiben, „klingt nach Kate Bush“, nur weil eine Frau eine wunderbare Stimme hat und sie bemerkenswert einsetzt. Man kann ja auch nicht immer sagen „schmeckt nach Huhn“, wenn man irgendeine Fleischsorte (außer Lamm, das schmeckt nun so gar nicht nach Huhn) zum ersten Mal isst.

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Voivod – Synchro Anarchy – Nuclear Blast 2022

Von Guido Dörheide (18.02.2022)

Kanada ist ja quasi sowas wie das Skandinavien Nordamerikas, also sozusagen ähnlich wie Irland, bezogen auf Kontinentaleuropa. Aus Kanada kam nur zweimal schlechte Musik: Nämlich von Bryan Adams und von Céline Dion. Und vielleicht von Justin Bieber (obwohl ich einige Songs von dem wirklich gerne höre und er m.E. alleine für sein gesundes Selbstbewusstsein und -vertrauen gefeiert gehört), aber ich befürchte, wenn ich jetzt länger die Begriffe „Kanada“ und „Scheißmucke“ googele, wird da vielleicht noch viel mehr zutage gespült.

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