Man … Or Astro-Man? – Distant Pulsar – Chunklet Industries 2022

Von Matthias Bosenick (05.01.2023)

Es gibt sie noch – oder wieder und noch: Nach dem Jahr 2000 dauerte es zwar 13 Jahre bis zur obligatorischen Reunion einer Neunziger-Indie-Band, aber das Comeback-Album ist mittlerweile auch schon wieder gut zehn Jahre alt. Seitdem veröffentlichen die Surfrocker aus der Zukunft nur noch spärlich Singles, „Distant Pulsar“ ist sogar eine Doppel-7“ mit vier Tracks. Die belegen, weitgehend von dem Schabernack der Neunziger befreit, um was für grandiose Musiker es sich bei Man … Or Astro-Man? tatsächlich handelt. Natürlich fehlt das juvenile Ungestüm der Anfangszeit, aber dafür bekommt man eben gereiften Indierock, fett produziert, voller Einfälle und mit wissenschaftlicher Lehrstunde on top obendrauf.

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Killing in the Name of Matze

Von Onkel Rosebud (Januar 2023)

Meine Freundin ist eine Verfechterin des Lebensentwurfes, dass man mindestens zwei Sachen im Leben überdurchschnittlich gut können sollte. Falls die eine Sache mal wegbricht, bleibt einem dann immerhin noch die andere, ohne dem Staat auf der Tasche zu liegen und das Dasein gepflegt zu bewältigen. Interessanterweise kann sie viel mehr als nur zwei Aktivitäten, wovon man leben könnte, richtig gut, aber für mich trifft es tatsächlich zu, genau in zwei Fällen „better than the rest“ zu sein.

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Jambinai (잠비나이) – Apparition – Bella Union 2022

Von Matthias Bosenick (02.01.2023)

Und noch eine Corona-Platte. Weil es aufgrund der bekannten Hindernisse (Kontaktbeschränkungen usw, usf) nicht zur geplanten Albumproduktion kommen konnte, schieben Jambinai nun eine EP ein, auf der sie einerseits das weltweite Lockdownelend behandeln und andererseits etwas verzögert das Zehnjährige ihrer Band feiern, als Dankeschön an die Gefolgschaft. Und die wächst, obwohl die Musik der Südkoreaner mitnichten leicht konsumierbar ist: im weitesten Sinne Post-Rock, kurz vor Metal, aber durchsetzt mit traditionellen Koreanischen Instrumenten und befreit von gewöhnlichen Pop- und Songstrukturen. Und trotzdem voller Schönheit, die lediglich keinen westlichen Hörgewohnheiten entspricht; dabei hatte man ja bereits zehn Jahre Zeit, sich an den Sound von Jambinai zu gewöhnen, und wer daran Gefallen fand, wird mit „Apparition“ belohnt.

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Big Thief – Dragon New Warm Mountain I Believe In You – 4AD 2022

Von Guido Dörheide (30.12.2022): Guido Dörheides Album des Jahres

Ja. Ich weiß. „Dragon New Warm Mountain I Believe In You“ ist bereits am 11. Februar 2022 erschienen. Warum habe ich darüber noch nichts geschrieben, und warum tue ich es jetzt doch noch?In der Tat hatte ich bereits am 15. Februar angefangen, einige Zeilen über dieses wundervolle Album zu tippen, und dann bin ich irgendwie abgebrochen, vermutlich, weil mir Band und Album sehr am Herzen liegen und mich sehr begeistern, und da fiel mir meine Deutschklausur weiland in den frühen 90ern über Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ wieder ein (meine Lieblingskurzgeschichte), die ich ob meiner Begeisterung über das Werk auf geradezu abenteuerliche Weise verkackt habe.

Aber, wie mein Chef sagt, man muss immer wieder über den Schmerz hinausgehen und somit würdige ich Big Thief hiermit im Rahmen der hier erstmalig erscheinenden Rubrik „Guido Dörheides ALBUM DES JAHRES“.

Oisdann – gemmas o:

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Durchströmungen II: Klangkräfte – Separated Beats 2022

Von Matthias Bosenick (29.12.2022)

Überraschend poppig gestaltet sich die Schein-Compilation „Durchströmungen II: Klangkräfte“ auf dem Klangwirkstoff-Sublabel Separated Beats, das bisher vorrangig (nicht ausschließlich!) mit Experimentellem oder etwas vom weiten Feld des Ambient in Erscheinung trat. Für seine zweite Sammlung rief Benjamin „Ben“ Bekeschus mit Tales Unfolding ein neues Alter Ego ins Leben, unter dem er die Tracks erstellte, unter Zuhilfenahme vieler Freunde Einsatz. Diese 15 Tracks und Remixe sind dicht, beatbetont, melodiös, partiell oldschool bis in die Siebziger bis Neunziger vom Proto-Ambient über Radiopop, Dub und Dancefloor bis Esoterik, stecken voller Details und hören sich gut weg. Und setzen Bekeschus‘ erste Durchströmungen „Glaswolken“ von vor einem Jahr angemessen fort.

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Best-of gestorben in Film und Serien

Von Onkel Rosebud

Das Jahresende und die damit verbundenen Rückblicke bringen es allenthalben mit sich, dass Listen angefertigt werden. Beliebt sind Klassifizierungen nach peinlichstem Lieblingslied, bestem Konzertbesuch, Ereignis sowieso etc. Nach der Wende war ich jahrzehntelang eigentlich nur deshalb Abonnement-Inhaber der Zeitschrift Spex, weil das legitimierte, jeweils im November am Leser-Poll teilnehmen zu dürfen. Im Freundeskreis brachte mir das den Spitznamen „30-Jahrgänge-Spex-Onkel“ ein, weil ich bis heute keine Ausgabe der ehemaligen Popkultur-Illustrierten wegschmeißen kann. Und wenn mal wieder ein Umzug anstand, verstanden meine Kumpels, dass die vielen Schallplatten alle mitmüssen, aber für die Kisten mit dem Subkultur-Magazin hatten sie kein Verständnis.

Das Privileg, Autor dieser Kolumne zu sein, rechtfertigt deshalb die eigentlich völlig unnütze Veröffentlichung meiner persönlichen Top-10-Hitliste aus der Rubrik „Populäre Charakter-Tode in Film und Serien“. Weil ich es kann. Los geht’s:

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Der Finger – Lapidarium – Signora Ward Records 2022

Auf seiner Reise durch die obskuren Subkulturlabels Italiens ist das Moskauer Impromusik-Duo Der Finger nun bei Signora Ward Records angelangt. Dort erscheint mit „Lapidarium“ der Livemitschnitt einer Improvisation, die eine Tanzperformance begleitete, damals, 2019, vor Corona, in Jekaterinburg (Екатеринбу́рг). Das Bild fehlt leider zu diesem Soundtrack, dabei wäre es höchstspannend, sich vorzustellen, wie sich Tanzende zu diesen rhythmusbefreiten Drones mit Saxophon bewegen. Obwohl, eigentlich war es andersherum: Die Musik entstand inspiriert durch die Tänze. Evgenia Sivkova und Anton Efimov – mittlerweile durch Putins Krieg und daraus folgender Flucht räumlich voneinander getrennt – erzeugen mit reduziertem Instrumentarium Drones, freie Melodien und auch mal Lärm, nur nichts, wozu man selbst tanzen kann. Abenteuer Kunst.

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Darts-WM im Ally Pally – Die langlebigste Serie aller Zeiten

Von Onkel Rosebud

Mein Sohn fragte mich neulich, wenn ich nur eine TV-Serie mit auf eine einsame Insel nehmen könnte, welche das wäre? Ich überlegte kurz und reiflich und entschied mich für „Die Simpsons“. Gute Wahl, fand er. In mehr als 30 Jahren wurden bisher über 734 Episoden in 34 Staffeln ausgestrahlt. Das verspräche die maximale Dauer an niveauvoll-subversiver Unterhaltung.

Nur eine Serie hält bisher länger durch, die Darts-Weltmeisterschaft gibt es seit 1977 und geht deshalb im Jahr 2022 – egal von welcher Organisation veranstaltet – in die 45. Staffel. Wir, also meine Familie bestehend aus Vater, Mutter, Kind, sind seit 2007 dabei und wir kennen nur die Versionen der Staffel, die immer zwischen Weihnachten und Neujahr im Ally Pally (Alexandra Pallace, London) von der Professional Darts Corporation (PDC) ausgetragen und bei sport1 übertragen und anfangs von Elmar Paulcke und Thomas „Shorty Schleifstein“ Seyler kommentiert wurde. Die beiden wurden 2018 von Basti Schwele mit wechselnden Co-Kommentatoren abgelöst. Die Kommentatoren sind in sofern wichtig, weil sie alle es geschafft haben und bis heute schaffen, enthusiastisch und glaubwürdig eine Freizeit-Tätigkeit als Sport professionell zu vermitteln, die für den alten, hässlichen weißen Mann im betrunkenen Zustand wie gemacht ist.

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Gravefest – Jugendhaus Ost in Wolfsburg am 17. Dezember 2022

Von Matthias Bosenick (18.12.2022)

Das Kunstmuseum Wolfsburg mit seiner „Empowerment“-Ausstellung als Ziel, kam die morgendliche Nachricht, dass A Secret Revealed aus Würzburg spontan beim „Gravefest“ im selbstverwalteten Jugendhaus Ost in Wolfsburg einspringen würden, genau zum richtigen Zeitpunkt. Acht Bands mit Musikrichtungen, die auf -core enden, als kleinstem gemeinsamen Nenner im von der Stadt frisch sanierten Ost, das die Wünsche der Nutzer dieser 1978 ins Leben gerufenen DIY-Einrichtung nicht nur berücksichtigt, sondern auch noch übertrifft – ein wahres Fest, nicht nur auf dem Grave.

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Marcel Pollex geht baden – Live im Aquarium des Kleinen Hauses des Staatstheaters Braunschweig, 15. Dezember 2022

Von Matthias Bosenick (16.12.2022)

Man könnte ihm ewig zuhören. Wenn Marcel Pollex vorn am Mikro steht und die Welt dadurch verspottet, dass er sie um mindestens eine Windung weitergedreht verbal abbildet, fühlt man sich verstanden und bisweilen auch gemeint. Mit seiner Satire verteilt Pollex die Watschen gleich mehrbödig bis in die Metaebene hinein, mit Nebensätzen, einzelnen Formulierungen und Themensprüngen erwischt es die Gegenwart vom Wochenmarkt über aktuelle Politik bis hin zu Twitter. Dabei verhält er sich nicht wie ein Comedian, der sich die Schenkel klopft, sondern gießt seine Abscheu der Welt gegenüber in wohlformulierte Texte, skurrile Dialoge oder Notizen mit Bruchstellen, inklusive Rollenwechseln und plötzlichem Herumschreien. Man möchte ihm sogar ewig zuhören.

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