Enslaved – Heimdal – Nuclear Blast 2023

Von Guido Dörheide (05.04.2023)

Enslaved verstehen es wie kaum eine zweite Band, ihre Black-Metal-Wurzeln nicht zu verleugnen und dennoch unter Zuhülfenahme von Prog und gerne auch mal Thrash ein sehr warmes Klangbild zu erzeugen, das den Hörenden vermittelt: „Es ist Enslaved, hier kann Euch nichts passieren!“

Das manifestiert sich bereits, bevor das erste Stück „Behind The Mirror“ noch richtig begonnen hat: Es ist eine Art Nebelhorn zu hören, und Musikanten, die eine Art Nebelhorn verwenden, zünden keine Kirchen an (sorry, liebe Lesenden, dass ich nicht müde werde, dieses alte, tote Black-Metal-Pferd zu reiten, es ist aber auch zu putzig. Ein putziges, totes Pferd.).

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Fargo – Geli – Kapitän Platte 2023

Von Matthias Bosenick (04.04.2023)

„Geli“ ist der Spitzname der Künstlerin, die das Cover malte, nämlich Angelika Zwarg, die 2018 verstarb. Bei den beiden Vorab-EPs „Heimkehr“ (2013) und „Yaron“ (2014) fällt die namentliche Zuordnung aus der Hüfte etwas schwerer – zumal die Bezeichnung der Tracks dieser Leipziger Postrock-Band Fargo einer komplett eindeutigen Linie folgt: Nach „Köln“ und „Heilbronn“ auf „Heimkehr“ sowie „Königsberg“ und „Leipzig“ auf „Yaron“ sind es auf „Geli“ nun „Dresden“, „Regensburg“, „Berlin“ und „Pforzheim“, die der nach einer amerikanischen Stadt in North Dakota sowie dem danach benannten Film sowie der danach benannten Serie benannten Band als Titelgeber dienten.

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Lana Del Rey – Did You Know That There’s A Tunnel Under Ocean Blvd – Polydor/Interscope Records 2023

Von Guido Dörheide (03.04.2023)

Den Tunnel unter dem Ocean Boulevard, den Lana del Rey auf dem Titelstück besingt, gab es wirklich, von 1927 bis 1967, und allein der Text dieses Stücks rechtfertigt bereits den auf dem Albumcover prangenden Parental-Advisory-Sticker: Der Refrain beginnt mit einem leicht ins Abstoßende gehenden „Open me up, tell me you like it, fuck me to Death“. Solche Gewaltphantasien kennt man von Ms. Grant, und niemand sonst kann sie vortragen, ohne dabei seine Würde einzubüßen, außer sie selbst. Mit der anschließenden Zeile „Love me until I love myself“ wird es dann auch schon viel nachdenklicher. Und das Ganze brüllt sie nicht etwa zu harter Musik heraus, sondern haucht es wie beiläufig zu Klavier- und Streichermusik hin, mit ihrer Stimme, die eine meiner Lieblingsstimmen ist und die immer so klingt, als wäre sie eigentlich schon nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern längst irgendwo ganz woanders. Und der Text des Titelstücks steckt voll von Mysteriositäten, angefangen damit, dass ein Mädchen „Hotel California“ singt, das sich ja eigentlich, so Frau del Rey, nach Florida anhört, dann wünscht sie sich einen Freund wie Harry Nilsson, weil seine Stimme bei Minute 2:05 von „Don‘t Forget Me“ so schön bricht, und vor dem Refrain fleht sie „When‘s it gonna be my turn – don‘t forget me.“

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Lumsk – Fremmede Toner – Dark Essence Records 2023

Von Matthias Bosenick (04.03.2023)

Nightwish-Metal lediglich in 2D plus Mittelalter-Folklore-Tralala, inklusive „Tanderadei“ und einer anstrengenden Stimme: Lumsk aus Trondheim vertonen nach 16 Jahren Pause auf „Fremmede Toner“, ihrem vierten Album in 22 (andere Quellen sagen 24) Jahren, ins Norwegische übersetzte Gedichte und in der zweiten Hälfte deren Originale. Handwerklich kann man dem Septett nix nachsagen, aber dennoch wehren sich die Ohren dagegen, der Musik dauerhaft ausgesetzt zu sein: Zu viele Klischees aus den verschiedenen Genres – und ein Gesang, der mehr will, als er zu bieten in der Lage ist.

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Kodiak Empire – The Great Acceleration – Bird’s Robe Records 2023

Von Matthias Bosenick (03.04.2023)

Dieses Australische Quintett will mit „The Great Acceleration“ dringend dem modernen Progrock zugehören und tut alles dafür, in diese Schublade auch hineinzupassen. Seine Rockmusik ist verschachtelt, vielschichtig, polyrhythmisch, dynamisch, dicht. Im Umkehrschluss bedeutet es indes auch, dass die Tracks so komplex sind, dass man die Übergänge zwischen ihnen nicht ausmacht und diese Tracks auch nicht im Ohr behalten kann. Vorneweg hat man sich mit der sehr hohen und gequäkten, eher im Emocore erwarteten und auf Dauer leider ziemlich unerträglichen Stimme auseinanderzusetzen, die vielleicht an Geddy Lee erinnern mag, aber auch an Steve Hogarth, dann wären schon mal Rush und Marillion abgehakt. Nur passt diese Stimme nicht immer zur Musik und drängt sich in ihrer Frequenz zu sehr in den Vordergrund. Gegen Ende des Albums schlägt der Anstrich plötzlich in Richtung Death Metal um, da growlt, brüllt der Sänger aus heiterem Himmel, und da fügt sich alles zusammen, das kommt richtig gut und stellt Unterschied und Mehrwert dieses Albums dar.

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Edredon Sensible – Montagne Explosion – Les Productions du Vendredi 2023

Von Matthias Bosenick (02.04.2023)

Diese Band aus Toulouse haut einem mit ihrem zweiten Album „Montagne Explosion“ direkt in die Fresse. Der Opener „Poulet Gondolé (Chasuble)“ hat ein irrsinniges Tempo, auf dem die Percussions und Schlagzeug einen an Balkanpop erinnernden Beat anschlagen und zu dem zwei Saxophone kürzeste Melodiefragmente unendlich wiederholen. Das Ensemble steigert sich in den Track hinein, variiert Pattern und explodiert dann wie der titelgebende Berg zum wildestmöglichen tanzbaren Free Jazz. „Une bonne Soupe au Lard“ steigert die Energie sogar noch, das Schlagzeug ist mit einem schrillen repetetiven Ton unterlegt, dazu schreien Leute herum und das Basssaxophon trötet nur drei verschiedene Töne. Als wäre dies ein experimentelles Technostück, nur mit nichtelektronischen Mitteln generiert. Alter! Man fühlt sich echt wie geprügelt. Man muss das Album erst einmal komplett durchhören, um sich für diesen Einstieg zu öffnen, denn es kommt noch anders und erscheint einem schon beim zweiten Durchlauf als völlig geil.

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Nac/Hut Report – Absent – Crunchy Human Children 2023

Von Matthias Bosenick (30.03.2023)

Dieses Mal geht das Duo Nac/Hut Report aus Kraków etwas anders an seine zerhackte Entspannungsmusik heran: Kurzwellen-Radiosignale aus aller Welt bilden die Grundlage für das, was auf „Absent“ wie geschredderter Dreampop der Marke Cocteau Twins klingt. Als hätte man Elizabeth Fraser zu dicht am Gartenabfallhäcksler geparkt. Immer wieder erstaunt, wie eine dergestalt zerstörte Musik so wunderschön sein kann. Vermutlich, weil sie mit einem solch ätherischen Gesang versetzt ist, der die Samples und Electroeffekte bündelt, sich aber nicht davon ausnehmen kann, selbst bisweilen elektronisch abgewürgt zu werden. Wunderschön, wie immer!

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Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Es heißt Leben, nicht Liebe

Von Onkel Rosebud

Neulich in London… Mit einem Text, der so beginnt, kann eigentlich nicht mehr sehr viel schief gehen, versprüht er doch Weltgewandtheit und Lebensfreude…

Also, neulich ist mir da folgendes passiert: Auf der Suche nach einem Parkplatz fahre ich mit einem kleinen Auto durch die Innenstadt. Parkplätze sind rar. Am Straßenrand werden gerade Autos abgeschleppt. Ich höre sehr laut einen Song, der mich nicht loslässt: Elegische Pianoläufe mit weltweiser Männerstimme, die davon singt, wie unerreichbar die Liebe und das Leben mal wieder sind. Streicher sind auch dabei. Der Song ist rundum dufte. Ich singe mit. Plötzlich sehe ich einen freien Parkplatz. Ich parke ein, steige aus, blicke triumphierend in die Runde. Mir geht es gut, obwohl ich feststellen muss, dass ich keine Münzen für die Parkuhr habe. Euro ist hier nicht.

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Jack Dangers – Lucky Bag – Flexidisc 2023

Von Matthias Bosenick (28.03.2023)

Diese Compilation ist unhörbar. Zumindest die Tracks der Doppel-CD, die auf dem beigelegten USB-Stick tragen deutlich erkennbare Züge von dem, was man an Meat Beat Manifesto so mag, aber das Haupt-Solo-Album von Bandkopf Jack Dangers ist mitnichten ein „Lucky Bag“, auch wenn er Ohrenstöpsel und Bonbons in die Schachtel legt, sondern es handelt sich vielmehr um „Sketches Of Pain“, wie der Künstler auf eine beigefügte Karte drucken ließ. John Stephen Corrigan plündert seine Datenbanken und fegt Aufnahmen aus den Jahren 1982 bis 2022 zusammen, die das Attribut „Noise“ komplett erfüllen: Nahezu frei von Rhythmus lärmen die Stücke vor sich hin. Und nerven. Geräusche, die man nicht mal als Avantgarde oder Experiment goutieren mag, die allerhöchstens als Ausgangslage für ausformulierte Tracks herhalten könnten, aber nicht als Material eines Doppelalbums. Immerhin die wav-Dateien auf dem Stick lohnen sich. Und die Schachtel ist hübsch.

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dEUS – How To Replace It – PIAS 2023

Von Matthias Bosenick (23.03.2023)

Zuerst zwei Alben in zwei Jahren herauswerfen, weil man ja so viel Material hat, und dann direkt danach elf Jahre Pause machen: dEUS haben Humor. Dabei kündigte Violinist Klaas Janzoons dem Rezensenten 2014 in seiner Bar Plaza Real in Antwerpen noch an, dass es ein neues Album bereits 2015 oder 2016 geben sollte. Unklar, ob er damals schon von „How To Replace It“ sprach, aber jetzt ist es da und setzt den Kurs fort, weg vom Kunstlärm der frühen Neunziger hin zum daraufhin entwickelten Kunstpoprock mit gelegentlichem Sägen. Die Band hat ein Händchen für schöne Melodien und Harmonien und auch dafür, ihre selbst erdachte musikalische Schönheit mit aggressiven Untertönen zu versetzen. Man muss das Album laut hören, um die Feinheiten zu erfassen, ansonsten könnte womöglich der Eindruck entstehen, es sei weich und langweilig, AOR oder Yachtrock für herausgewachsene Indiekids. Ist es aber nicht, jedenfalls nicht ausschließlich. Etwas Enttäuschung ist dennoch zulässig.

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