Von Matthias Bosenick (26.06.2023)
De Staat sind wie ein unerträglicher Onkel auf der Familienfeier, der einen trotzdem beeindruckt, wie ein Film über eine unsympathische Figur, der einen nicht loslässt, wie der Prügeltyp auf dem Schulhof, mit dem man zur eigenen Verwunderung Interessen teilt und sich mit ihm anfreundet: Neben dem Übersong „Kitty Kitty“ und dem großartigen Circle-Pit-Anheizer „Witch Doctor“ scheinen sämtliche anderen Songs der Niederländer abzustinken, und trotzdem kann man nicht weghören. Viel liegt an der Ausstrahlung des Sängers Torre Florim, der einen mit seinem manischen Gehabe in die Abhängigkeit treibt, denn die Musik ist, freundlich gesagt, sperrig – für reinen Pop zu experimentell, für Rock zu artifiziell, sehr viel Plastik, sehr viel Plakativität, aber verdammt noch eins, spätestens, wenn man sie einmal live sah (Guido Dörheide und der Schreiber dieser Zeilen berichteten), ist man verfallen. Das aus drei erweiterten EPs bestehende Quasi-Album „Red/Yellow/Blue“ erfüllt alle Anforderungen und Ablehnungen, aber man kann einfach nicht weghören. „Who’s Gonna Be The GOAT?“ Klar: De Staat!
Archiv des Autors: Van Bauseneick
The Damned – Darkadelic – Ear Music/Edel 2023
Von Guido Dörheide (19.06.2023)
The Damned sind nicht mehr die Jüngsten, aber ihr neues Album rockt wie eine Horde wildgewordener Schafe! Insbesondere die sanfte Ballade „Death Comes Ripping“ wird Euch mit Sicherheit zu Tränen rühren. Ein Meisterwerk!
Ziemlich genau fünf Jahre nach dem letzten Album „Evil Spirits“ haben sich The Damned – Urheber der ersten Studioveröffentlichungen, die je von einer einer britischen Punkband jemals im Studio veröffentlicht wurden – ein neues Album ausgedacht, eingespielt und an die Verkaufstheken all über der Welt geliefert. Ach, was sage ich: Liefern lassen!
„Evil Spirits“ gilt als langweilig – kann „Darkadelic“ – abgesehen davon, dass der Titel sich nicht eben doll anhört (und das Cover mal vorsichtig ausgedrückt Scheiße ist) – überzeugend daran anknüpfen?
Und kann man auf „Yeahaaah, ohohohoooohooohohoooo“ einen vernünftigen Song aufbauen? Und ihn dann noch „The Invisible Man“ nennen, ohne dabei peinlich zu werden?
Und was zum Teufel soll überhaupt der weitgehend informationsfreie Einleitungssatz zu diesem Artikel, der zudem noch mit „Death Comes Ripping“ einen 40 Jahre alten Misfits-Titel zitiert, der mit „sanfter Ballade“ nun mal so gar nichts am Hut hat, aber vor einigen Jahren immerhin mal von den Misfits zusammen mit Rancid und The Damned lebend performiert wurde?
WeiterlesenCowboy Junkies – Such Ferocious Beauty – Latent/Cooking Vinyl 2023
Von Matthias Bosenick (23.06.2023)
Der erste Eindruck ist: Schade, sie haben den Fuzz wieder zurückgeschraubt und den Sound in Richtung „The Trinity Session“ heruntergedimmt. Die Songs auf „Such Ferocious Beauty“ erscheinen minimalistischer, klarer als auf „All That Reckoning“, dem bis dato letzten Studioalbum der Cowboy Junkies mit eigenen Songs aus dem Jahr 2018 (abgesehen vom digital veröffentlichten „Ghost“-Minialbum 2020). Dann dreht man das Album lauter, weil man die Feinheiten besser heraushören will, und stellt dabei fest, dass der erste Eindruck nur so semi richtig ist: Da ist noch einiger Fuzz in den Indie-Folksongs, nur eher im Hintergrund, und ganz so kontemplativ-verträumt wie 1988 sind die Kanadier auch nicht wieder, selbst wenn die Songs im langsamen Tempo gehalten sind. Country- und Folk-Fans finden sicherlich immer noch ausreichend Anlass, die Cowboy Junkies aus Montreal zu krass zu finden, und das nicht nur des Namens oder der Herkunft wegen.
Ed Wilcox + Michel Kristof Duo – Au fond de la coulisse – Muteant Sounds Netlabel 2023
Von Matthias Bosenick (22.06.2023)
Nervöse Musik von entspannten Leuten: Ihr gemeinsames Album mit der Charles-Baudelaire-Zeile „Au fond de la coulisse“ als Titel (aus „Les Fleurs du mal“) verschenken die Impro-Initiatoren Ed Wilcox aus Philadelhia und Michel Kristof aus Paris, die ihrem Projekt lediglich das „Duo“ als Namenszusatz anhängen. Ausschließlich mit Schlagzeug sowie E-Gitarre, Piano oder Cembalo ausgestattet, setzten sich die beiden ins Studio und frickelten fröhlich vor sich hin. Dabei entstand eine Art Jazz, wenn man so will, dem auf weiten Strecken weder Takt noch Melodie zugewiesen sind, sondern eine Stunde lang mal versunken, mal nach außen gewandt frei bearbeitetes Instrumentarium – und das komplett unbearbeitet, einfach mitgeschnitten. Damit schlagen die beiden eine Brücke zwischen Arthur Doyle und Sonny Simmons, für die jeder jeweils musizierte. Beides Freejazz-Saxophonisten, und doch verzichten Kristof und Wilcox bei ihrem Tribut auf exakt jenes Instrument und besinnen sich auf ihre Kernkompetenzen. Und auf Baudelaire.
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Seed Song
Von Onkel Rosebud / Falk Rebbe
In den Krimis von Wolf Haas bekommt der Privatdetektiv Simon Brenner oft Hinweise auf die Lösung des Falls aus seinem Unterbewusstsein in Form von Melodien oder Textzeilen. Leider versäumt es Brenner, auf sein Unterbewusstsein zu hören, sodass er erst nach dem trotzdem irgendwie gelösten Fall erkennt, was ihm mitgeteilt wurde.
Das kann ich gut verstehen. Auch mein Unterbewusstsein kommuniziert mit mir häufig auf diese Weise. Als Grundlage habe ich mir durch intensives und häufiges Musikhören eine große Datenbank aufgebaut, auf die ich zugreifen kann.
WeiterlesenMotherXaoc – Alles und Nichts – db2fluctuation 2023
Von Matthias Bosenick (21.06.2023)
Da denkt man gerade noch, man habe ja lang nichts von Daniel Bressanutti gehört, dessen letztes Album „Shades“ als Daniel.B.Prothese im Jahr 2021 erschien, nachdem er davor im gefühlten Wochentakt unter diversen Aliassen neue Musik herauswarf, NothingButNoise, 99.9, Daniel.B., db2, Prothèse, und ja, sogar Front 242 waren einmal wieder dabei. Und dann so lang Pause, das kennt man gar nicht. Kaum fertig gedacht, ereilt einen die Information, der nun 69-Jährige habe in dieser Off-Zeit unter dem Alias MotherXaoc gleich sechs Alben erstellt, die jetzt nach und nach auf dem Label db2fluctuation erscheinen, das er mit seinem Front-242-Mitgründer Dirk Bergen betreibt. „Alles und Nichts“ legt den Verdacht nahe, Bressanutti habe sich auf eine Zeitreise begeben und die Gegend zwischen Düsseldorf und Berlin Ende der Siebziger erkundet: Krautrock, Ambient nach Berliner Schule, progressive Musik zwischen Elektronik und analogen Instrumenten, nachempfunden mit den Mitteln der Gegenwart. Mehr alles als nichts, und trotz seiner Retroseligkeit durchaus Neu!
Judith Parts – Meadowsweet – Judith Parts 2023
Von Matthias Bosenick (20.06.2023)
Eine Musik wie diese kann nur aus Skandinavien kommen. Von Kopenhagen aus produziert die Estin Judith Parts dieser Tage ihre fragilen Stücke, mit einem elfengleichen klaren Gesang und zurückhaltenden Electro-Experimenten. Erinnerungen an Under Byen, Jomi Massage, Stina Nordenstam und Björk winken aus der Nähe. Nicht nur karge Elektronik und Field Recordings, auch klassische Instrumente wie Cello und Trompete setzt Parts, Ex-Sängerin der estnischen Band Nebula Flowers, ein – nicht alles spielt sie selbst, sie hat Freunde – und generiert daraus ein Debüt-Album, das vordergründig zerbrechlich wirkt, teilweise Anflüge von Soundtracks zu nordischen Filmdramen trägt und in seiner Tiefe sehr experimentierfreudig und minimalistisch vielschichtig ist.
Afsky – Om hundrede år – Vendetta 2023
Von Matthias Bosenick (19.06.2023)
Ole Luk hat keine Angst davor, Akustikgitarren in den Black Metal einzubauen. Schön auf die Zwölf gibt’s natürlich trotzdem, auch wenn er sich unter dem Ein-Personen-Solo-Alias Afsky mit einem Bein in den postmodernen Post-Black-Metal-Gefilden herumtreibt; das andere hat er in der Tradition verankert. Heißt, dass er sehr wohl die Blastbeats und das Gekeife beherrscht, aber das Tempo insgesamt gedrosselt hält und mit den elektrifizierten Gitarren atmosphärische Flächen generiert und damit untermauert, dass seine Variante von Black Metal ausgesprochen emotional behaftet ist. Dazu trägt bei, dass Luk ein versiertes Händchen für Harmonien hat, die er in seinen Lärm kleidet, den er wiederum mit komplett zurückgenommenen Sequenzen unterbricht. „Om hundrede år“ ist tiefdunkel und in seiner heavy Verzweiflung wunderschön. Der Vorgänger „Ofte jeg drømmer mig død“ legte die Qualitätsmarke für grenzüberschreitenden Black Metal ja sehr hoch, Afskys drittes Album reißt sie gottlob nicht ein.
The Wedding Present – 24 Songs – Scopitones 2023
Von Matthias Bosenick (15.06.2023)
Man wird nicht jünger, aber man bleibt Jünger von The Wedding Present: Die Schrammel-Indierock-Könige griffen 2022 ein Konzept von dreißig Jahren zuvor auf und veröffentlichten jeden Monat eine Single mit je zwei neuen Songs, die sie nun, wie weiland auf „Hitparade“, als „24 Songs“ zusammenfassen. Diese Doppel-CD – in der Deluxe-Buch-Version mit DVD – birgt nun sogar 29 Songs in über zwei Stunden, die das Portfolio der heutigen, in dieser Form keine fünf Jahre alten The Wedding Present abdecken, also immer noch mal schnellen, mal entschleunigten Indierock mit dröhnenden Gitarren, angedeutetem Geschrammel und catchy Melodien, aber auch zarte Abwandlungen davon. Und einen Remix von den Utah Saints. Anders als bei „Hitparade 1“ und „Hitparade 2“ ist hier allerdings die Reihenfolge der Singles sowie deren A- und B-Seiten komplett durcheinander, Weihnachten ist jetzt mitten im Jahr, die sehr wenigen Coversongs sind nicht gebündelt. Macht nix. Es gibt gute neue The-Wedding-Present-Musik!
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Wahrer Glaube
Von Onkel Rosebud / Axel Mewes
Eine Freundin hat mir mal von ihrer Beobachtung erzählt, dass Männer – anders als Frauen – diese eine große Liebe hätten. Die sie bis zum Ende ihrer Tage im Herzen tragen, ganz gleich, was in ihrem Leben passiert. Sie hat recht. Wobei es bei mir und der Musik ein bisschen komplizierter ist.
Das erste Kribbeln in den Trommelfellen spürte ich im Alter von 10 Jahren. Meine große Schwester besaß einen Kassettenrekorder; irgendwann öffnete sich ihre Zimmertür, hinter der „Equinoxe“ von Jean-Michel Jarre lief. Ein andermal nuschelte Udo Lindenberg durchs Sternholzimitat, „Live Rust“ von Neil Young war gerade erschienen, Mark Knopfler zupfte die „Sultans Of Swing“. Anfänge des musikalischen Jugendlebens, während samstags nach der Schule Mutter die Fenster zu Lord Knuds „Evergreens à Go Go“ vom RIAS Berlin putzte. Was auch irgendwie fetzte, weil die Frau, der ich für den Rest meines Lebens den Satz „Fürs Tanzen hätte ich das Vaterland verraten!“ zuschreiben werde, die Gassenhauer lauthals fröhlich mitsang und in meiner Erinnerung samstags IMMER die Sonne schien. Wochenend‘ und Sonnenschein. Und Musik.
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