Von Matthias Bosenick (19.07.2023)
Es ist nur konsequent, dass sich eine Band aus der Industriestadt Wolfsburg Dampfmaschine nennt, oder? „Hopeless Romantic“ ist die zweite Veröffentlichung des Quintetts Steamgenerator, das sich Stoner und Doom auf die Etiketten gemalt hat, dafür jedoch viel zu hoffnungslos romantisch ist – und zu vielseitig: Wie bei den genannten Genres üblich, hört man einen starken Einfluss der Siebziger heraus, Black Sabbath bis Classic Rock, aber auch, ebenfalls dort entnommen, den Grunge der Neunziger – und auch mal den in Richtung Wave schielenden Postpunk der Achtziger. Nicht die reine Lehre also, und das ist auch genau richtig so, alles andere gibt es ja schon – die fünf fördern einen bunt schillernden Diamanten aus dem Kohleflöz zutage.
Archiv des Autors: Van Bauseneick
King Gizzard & The Lizard Wizard – Petrodragonic Apocalypse; Or, Dawn Of Eternal Night: An Annihilation Of Planet Earth And The Beginning Of Merciless Damnation – KGLW 2023
Von Guido Dörheide (18.07.2023)
King G & The LW sind wahrscheinlich keine Menschen, sondern irgendwelche Reptiloiden, die auf ihrem Weg zur Ansichreißung der Weltherrschaft alle gefühlt 14 Tage einen neuen Tonträger in die Regale des Radiohauses (Radiohaus ist ein Wort, das meine jüngere Tochter erfunden hat. Sie meint damit den Elektrofachmarkt im Gewerbegebiet Heinenkamp an der A39) stellen. Anders kann man sich a) diesen Output und b) dieses Zuhausesein in gefühlt 100 Genres nicht erklären.
WeiterlesenGrian Chatten – Chaos For The Fly – Partisan Records 2023
Von Guido Dörheide (18.07.2023)
Grian Chatten ist der Sänger der von mir vollkommen zu Recht verehrten Fontaines D.C., einer Band, die sich, wie der Name schon, sagt auf Johnny Fontane beruft und aus Dublin City stammt.
Was taugt uns jetzt ein Solo-Album des Sängers dieser über jeden Zweifel erhabenen Kapelle? Also erstmal schreie ich allen Fontaines-D.C.-Fans-entgegen: KAUFEN! (Als hätten die das nicht eh schon getan.) Es erwartet uns kein Fontaines-typischer Postpunk, sondern eher ruhigere, nachdenkliche Musik, die jedoch, anders als es mich die erste Hälfte des Openers „The Score“ glauben machte, nicht allein mit Akustikgitarre begleitet (wie es Sänger von Bands auf Soloalben ja gerne mal machen), sondern voll instrumentiert. Aber eben ruhig, zurückgenommen und dennoch voller Energie.
WeiterlesenMeat Beat Manifesto & DHS – Man From Mantis – Love Love Records 2023
Von Matthias Bosenick (18.07.2023)
Die kreuzatlantische Zusammenkunft findet ein Update: Jack Dangers als Meat Beat Manifesto aus Swindon in England und sein langjähriger US-amerikanischer Freund Benjamin Stokes alias Dimensional Holofonic Sound, also DHS, aus San Francisco plündern auf den vier Tracks dieser 12“ ihre eigene elektromusikalische Vergangenheit und generieren etwas Zukünftiges daraus. 808-Acid-Sounds, Breakbeats, 70er-Vocoder, trockene House-Beats, Kraftwerk- und Aphex-Twin-Anleihen, alles drin, was man von beiden und sonst so aus der synthetischen Welt kennt, seit mindestens 40 Jahren und über das gemeinsame Projekt Tino hinaus.
Killer Mike – MICHAEL – Loma Vista 2023
Von Guido Dörheide (17.07.2023)
Ich gebe ja zu, dass ich mit zeitgenössischer Sprechgesangmusik auf Kriegsfuß stehe, wenn es sich nicht gerade um Slowthai oder Little Simz handelt (ups – beide aus UK), aber die Sachen von früher aus USA (N.W.A., Wu Tang, Public Enemy, Ice-T, Biggie Smalls etc. usw.) finde ich immer noch klasse.
Daher freue ich mich, wenn mal wieder einer wie Killer Mike um die Ecke kommt und den Wumms und den Flow von damals um 1990 herum mit aktuellen Texten mischt. Killer Mike ist fast so alt wie ich und macht schon seit den frühen 2000ern Alben und außerdem ist er im Rahmen der „I can‘t breathe“-Kontroverse als eines der beiden Mitglieder von „Run The Jewels“ bekannt geworden, die mit ihren bisher drei Alben nicht nur das Feuilleton, sondern auch die Fans zeitgenössischer Sprechgesangmusik begeistert haben.
WeiterlesenOctopus – The Lost Tape – Sireena 2023
Von Matthias Bosenick (17.07.2023)
Das ist Pech, wenn noch vor dem Beginn der Karriere gleich das erste auf Tape aufgenommene Album verschwindet und man erst mit dem zweiten Album debütieren kann. So wiederfuhr es Octopus, der Progrockband aus Frankfurt am Main, im Jahre 1974, knappe zwei Jahre nach Bandgründung. Immerhin wurde das Label Sky Records durch eine Kopie der Mondial-C60-Kassette auf die Band aufmerksam und nahm sie für drei ihrer vier Alben unter Vertrag. Sängerin Jennifer Kowa, damals Hensel, entdeckte das Tape 2022 unter einem Gewühl von Kassetten ihrer späteren Band The Radio wieder und überließ es Tom „The Perc“ Redecker zur Überarbeitung. Der veröffentlicht es nun als als Epilog nachgeschobenen Prolog der vier offiziellen Alben auf seinem Label Sireena, eben als „The Lost Tape“, und macht diese Mittsiebziger-BRD-Kraut-Prog-Perle fast 50 Jahre später wieder zugänglich.
Es ist heiß. So heiß. Irre heiß…
Von Onkel Rosebud (16.07.2023)
… und im Radio flötet die Moderatorin: „37 Grad. Das ist ein Supersommer!“ Und ich frage mich: Kann man das gute Wetter ernsthaft hassen?
Es ist früh am Morgen, die sogenannte tropische Nacht ist vorbei, es wird nicht regnen heute und es ist heiß. Schon jetzt. Schon wieder. So heiß. So irre heiß. Es ist die Hölle. Man steht also im Bad, hundsmüde, weil man sich in der Nacht hin und her gewälzt hat in einem feinen Film aus Schweiß und delirierenden Vorstellungen von einem besseren Leben in Grönland, und dann flötet eine Stimme aus dem Radio: „Guten Morgen, ach was, es ist ein perfekter Morgen, schon jetzt sind 29 Grad und bis zum Abend freuen wir uns auf 38 Grad. Das ist ein Supersommer!“
WeiterlesenSwans – The Beggar – Mute/Young God Records 2023
Von Matthias Bosenick (13.07.2023)
Steile These: Die Swans sind die einzige Band der Erde, die jemals nach einer Reunion künstlerisch relevante Musik veröffentlichte. Und das, ohne sich an Zeitgeiste anzubiedern oder billig die Erwartungen der Altfans zu erfüllen (okay, so ganz ohne Selbstzitat kommt auch „The Beggar“ nicht aus). Für das neue – nun: Industrial-Indie-Rock-Drone? – Album mit zwei Stunden Spielzeit reduziert die um Bandkopf Michael Gira teilweise neu zusammengetrommelte Truppe den Lärm, aber nicht die Gewalt: Brutalität schwingt immer mit, und sei es nur durch Giras nachdrücklichen, fordernden Gesang oder enervierende fragmentarische Wiederholungen. Und bei jeder neu sich windenden Drehung denkt man nur: Geil, weiter so, nochmal, und bitte die nächste Runde rückwärts! Und die Swans erfüllen den Wunsch. Und ergänzen ihn durch: Schönheit.
Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Meine Plattensammlung
Von Onkel Rosebud / Sascha Greinke
„Alle Künste streben die Musik an …“, habe ich neulich irgendwo gelesen. Muss ein kluger Mensch gewesen sein, der diese bedeutungsschweren Worte verfasst hat. Dieser Satz trifft für mich nur bedingt zu, da ich mir aus meinem kleinen Horizont gar keine abschließende Beurteilung zutraue. Film und Musik sind die Künste, die mich ansprechen, vereinnahmen, mir mehr geben, als vielleicht gesund ist. Da Film sehr abstrakt und dazu noch schwerer zu archivieren ist, bleibt die heimische Plattensammlung, um Reisen anzutreten. Reisen in fremde Länder, unbekannte und ach so bekannte Welten, oder, vielleicht am häufigsten, in die eigene Vergangenheit.
Car Crash Weather – Terra Nostra – Car Crash Weather 2023
Von Matthias Bosenick (12.07.2023)
Die Schweizer Car Crash Weather haben etwas mitzuteilen, und das, obwohl ihr zweites Album „Terra Nostra“ instrumental gehalten ist: Die nur noch vier Musiker aus Zürich greifen das Thema ihres 2018er Konzept-Debüts „Secondary Drowning“ zunächst auf, nämlich Migration und Flucht, und leiten es über in ein weiteres – und hörbar besser produziertes – Konzeptalbum rund um das Zusammenleben der Menschen miteinander und mit der Natur. Konzeptalbum, das deutet schon in die musikalische Richtung, und richtig, Car Crash Weather machen Progrock, aber nicht nur, sie bündeln alles, was ihnen gefällt und was dazu in der Lage ist, musikalisch Emotionen und Bilder auszudrücken, Postrock, Waverock, Postmetal, und versetzen es mit Synthies und Samples. Bei dem Thema ereilt die Hörenden nicht selten der Eindruck, die Musik sei nicht nur klagend, sondern auch anklagend.