Helmut Exner – Rio und die mörderischen Bilder – EPV 2023

Von Guido Dörheide (27.07.2023)

Hammer. Ende Juli 2023 legte Helmut Exner den bereits 20. Kriminalroman über die eigenwilligen Ermittlungleistungen der pensionierten Lehrerin Lilly Höschen aus Lautenthal vor. 90 Jahre ist die Gute inzwischen alt und über die zahlreichen Romane hat sie sich zur vielzitierten Miss Marple des Harzes entwickelt. Fräulein Höschen (Aussprache übrigens nicht wie Schlübber, sondern so, dass es sich auf „löschen“ reimt) legt Wert auf ebendiese Anrede und beeindruckt ihre Mitmenschen nicht nur durch Scharfsinn und Vehemenz, wenn es um das Aushecken und Umsetzen mitunter gefährlicher Ideen geht, sondern hat zudem eine riesengroße Klappe, mit der sie immerfort Redewendungen raushaut wie „Am Arsch vorbei führt auch ein Weg“ oder „Sind Sie eigentlich naturdoof oder muss man das studieren?“ Ein weiteres Markenzeichen der Lilly-Höschen-Serie ist die liebevolle Einbeziehung zahlreicher Schauplätze des Harzes in die Handlung. Beim Lesen wünsche ich jedes Mal, ich wäre gerade dort, insbesondere, wenn mein Lieblingsort Clausthal-Zellerfeld mal wieder Ort der Handlung ist ist.

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Charly Maucher – Performance – Teldec 1980/Siereena 2023

Von Matthias Bosenick (27.07.2023)

Es gibt mehr in Hannover als die Scorpions, jaja! Norbert „Charly“ Maucher ist so einer, leider: war so einer, er verstarb vor vier Jahren an Leukämie. Berühmt wurde er durch seine Mitgliedschaft bei der Progrock-Band Jane, und 1980, einige Zeit nach seinem Ausstieg dort sowie zwischen diversen weiteren Engagements, nahm er sein Soloalbum „Performance“ auf. Das klingt erstaunlicherweise weniger nach Kraut oder Prog, sondern mehr nach Nordamerika, nach Classic Rock, nach Südstaaten-Rock, nach Hippie-Rock, nach US-Folk-Rock (also Country und Western), von allem gottlob die unplakative Variante, also ohne Posen, dafür mit filigran gespielten kontemplativen Songs im unteren Midtempo. Eine schöne kleine Perle, die Sireena da wieder entdeckt!

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: The Devil’s Hour – Schlaflos in der Teufelsstunde

Von Onkel Rosebud

Wenn es um Schlaf geht, dann ist meine Freundin wirklich zu beneiden. Sie kann immer und überall büseln, wie man in Österreich sagen würde. So lang, bis die Augen nicht von allein wieder zu gehen. Ich wiederum kenne das Gegenteil: nachts aufwachen und nicht wieder einschlafen können. Deshalb kann ich die Protagonistin der Serie „The Devil’s Hour“, Lucy Chambers (Jessica Raine), auch gut verstehen. Sie erwacht jeden Morgen zur gleichen Zeit, zur „Teufelsstunde” zwischen 3 und 4 Uhr. Und zwar genau um 3:33 Uhr, jeden, aber auch wirklich jeden Morgen. Die junge Mutter wird von Albträumen geplagt. Verstörende Bilder, deren Bedeutung sie zunächst nicht erkennt, verfolgen sie im Schlaf. Tagsüber schlägt Lucy sich als Sozialarbeiterin mit problematischen Familien herum, kümmert sich um schwierige Fälle, bei denen es um Missbrauch, Vernachlässigung und Drogendelikte geht. Gleichzeitig betreut sie liebevoll ihren achtjährigen Sohn Isaac (Benjamin Chivers), mit dem etwas nicht stimmt. Der schüchterne Junge zeigt keine Emotionen, er weint nicht, lacht nicht, kann keinen Schmerz empfinden. PsychiaterInnen können ihm nicht helfen.

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Hemina – Romancing The Ether – Bird’s Robe Records 2023

Von Matthias Bosenick (26.07.2023)

Okay, Leute, was für Musiker und Genres mögt ihr so? – Hm, Djent wie bei Meshuggah! – Devin Townsend! – Foreigner! – Achtziger-Progrock kurz vor Metal! – Operette! – Streicher! – Ambient! – Techno! – R’n’B-Chartspop! – Stadionrock! – Jau, perfekt, das mischen wir alles mal gut durch, und wenn euch noch etwas einfällt, packt es einfach mit rein, frisst ja kein Brot. Irgendwelche Strukturen, ach, machen wir einfach einen einzelnen Track draus, das wirkt dann wenigstens künstlerisch und nach Sendungsbewusstsein, ausgewählte knackige Elemente können wir immer noch als Single extrahieren. „Romancing The Ether“ heißt es, ist das fünfte Album des Quartetts Hemina aus Sydney und klingt genau so, wie im Anlauf erdacht – bunt gewürfelt, jedoch bewusst konsumiert äußerst anstrengend.

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Voïvod – Morgöth Tales – Century Media 2023

Von Guido Dörheide (24.07.2023)

Voïvod haben heuer wieder einmal mehr ein Album mit mehr als zweifelhaftem Coverartwork veröffentlicht. Eine Best-of sogar, und zwar eine, für die die ersten sieben Songs neu eingespielt wurden, dann folgt ein neues Stück und dann noch eine Coverversion („Home“ von Public Image Ltd.). Kann das gutgehen?

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Andris Zeiberts – Jazzkeller – Bartling Schallplatten/JAW Records 2023

Von Matthias Bosenick (24.07.2023)

Man kann es nicht anders sagen, aber nach Carsten Bohn hatte einfach jeder Schwierigkeiten, mit seiner Hörspielmusik, nicht nur für das Europa-Label und Hauptserien wie Die drei ???, Fünf Freunde oder TKKG, an dem grandiosen Oeuvre des Frumpy-Schlagzeugers anzuknüpfen und trotzdem eine eigenen Note einzubringen. Seit fast 30 Jahren trägt Andris Zeiberts nun Musik nach Europa, und weil das Interesse an Hörspielmusik ungebrochen groß ist, bringt er seine Beiträge jetzt ebenfalls gebündelt heraus. Aus Platzgründen schaffen es leider nur 14 von 24 Tracks auf die Vinyl-Version, aber da Zeiberts und sein Herausgeber Felix Bartling wissen, was die Leute wollen, lassen sie die Tracks weg, die nicht direkt mit den Drei Fragezeichen verknüpft sind, und ermöglichen den Zugriff auf das alles den Rest wenigstens per Download. Der Titel „Jazzkeller“ sagt überdies schon aus, dass Zeiberts‘ Musik der von Bohn noch recht nahe kommt: Hier stecken mehr gespielte Instrumente drin als in den rein elektronisch erzeugten Soundtracks der Kollegen. Und ja, die Stücke der LP kennt man alle, sofern man Hörspiele hört, zum Teil auch schon von der Neuauflage der Drei-Fragezeichen-Folge 29, „Die Originalmusik“.

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Guided By Voices – Welshpool Frillies – Guided By Voices Inc. 2023

Von Guido Dörheide (23.07.2023)

Was King Gizzard & The Lizard Wizard für Australien sind, ist Robert Pollard für Dayton, Ohio. Bzw. sind Guided By Voices für die USA. Seit Ende der 1980er Jahre gibt es die Band in wechselnder Besetzung, neben Pollard wirkte Tobin Sprout für lange Zeit als Songschreiber und Bandmitglied, seit dessen endgültigem Ausstieg im Jahr 2014 ist GbV das alleinige Projekt Pollards. Und er haut Album um Album raus, seit einigen Jahren mehrere pro Jahr. Und das tut er nicht nur, um seinen Ruf als produktivster Songschreiber aller Zeiten zu zementieren, nein, es lohnt sich jedes Mal, seine Alben aufmerksam und immer wieder anzuhören. GbV haben einen hohen Wiedererkennungswert: Das liegt zum einen an Pollards Stimme und zum anderen an seiner Art, Songs zu schreiben, die schnell auf den Punkt kommen, Melodien aufweisen, denen man sich als Freund des Gitarrenindierocks niemals entziehen kann und die zumeist roh und ohne viel Schnickschnack eingespielt und produziert werden. Pollard hört sich an wie ein Onkel von Michael Stipe, dessen Plan, die größte aller Indie-Bands zu gründen, von multinationalen Konsortien hintertrieben wurde und der deshalb dazu verdammt ist, alle paar Monate mit einem Tonträger um die Ecke zu kommen, der sich ähnlich anhört wie der vorherige und dennoch unverzichtbar für die Sammlung eines jeden GbV-Fans ist.

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Big Red Fire Truck – Trouble In Paradise – Bird’s Robe Records 2023

Von Matthias Bosenick (20.07.2023)

Ich mochte solche Musik nicht, als sie neu war, ich mochte sie nicht, als sie als Retro-Phänomen neu war, und ich mag sie auch immer noch nicht, wenn jetzt selbst das Retro-Phänomen retrofiziert wird. Sowas macht sicherlich einige Laune bei 1,3 Atü auf dem Altstadtfest, wenn man sich gegen kurz nach nachts nicht entscheiden kann, ob man bleibt, noch in den Club gehen soll, in dem man 30 Jahre zuvor abhottete und in dem man jetzt von Kids umringt wird, oder besser gleich nach Hause, bevor man vergisst, dass man zum Ausnüchtern inzwischen drei Tage braucht. Big Red Fire Truck aus Sydney spielen auf „Trouble In Paradise“ alle Level durch: Powerchords, Gniedelsoli, mehrstimmiger Grölgesang zum Mitmachen, matschige Drums, Neonschrift auf dem Cover, Löwenmähnen, Jeansjacken, Wildtierprintklamotten und Schnauzbärte, angeblich Hardrock, aber das gilt vielleicht für Anfang der Achtziger gerade noch so – 2023 gibt’s seit 40 Jahren Härteres und Rockigeres. Auch ohne FCKW ist Haarspray diskutabel.

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Was meine Freundin gerne sieht – die Serienkolumne: Wrexham-Bromance

Von Onkel Rosebud

Meine Freundin und ich haben keine „Bromance“, weil dieser Begriff eine platonische Beziehung zwischen Männern bezeichnet. Es gibt kein weibliches Äquivalent dazu. Dieses Extrawort bezeichnet die Begründung, warum zwei Männer miteinander Essen gehen oder sonstige Zuneigung einander ausdrücken. Strittig ist, ob dieses Wort erst Anfang des 21. Jahrhundert erfunden wurde, oder ob His Grönemeyeress im Jahr 1984 seiner Zeit voraus war („Männer nehm′n in den Arm…“). „Bromance“ wird offensichtlich gebraucht, weil die Bezeichnung „Männerfreundschaft“ in den einschlägigen Kreisen einfach zu homosexuell rübergekommt.

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Anohni And The Johnsons – My Back Was A Bridge For You To Cross – Rough Trade 2023

Von Guido Dörheide (19.07.2023)

Alleine der Titel des Albums ist ja schon mal klasse und erinnert an den Ausspruch von Herbie Hancock, nachdem Joe Zawinul die Brücke in die Zukunft war, über die Miles Davis [mit „In A Silent Way“, Anm. d. V. d. Z.] gegangen ist.

Über welche Brücke geht Anohni mit ihrem neuen Album? Bzw. über welche Brücke ist Anohni noch nicht gegangen? Heuer revitalisiert sie den Bandnamen, den sie früher, damals noch unter ihrem Geburtsnamen Antony Hegarty, bereits als „Antony And The Johnsons“ gebrauchte, und das „Johnson“ bezieht sich dabei auf Marsha P. Johnson, die als New Yorker Drag Queen und Transgender-Aktivistin seit den späten 60er Jahren bis zu ihrem Tod aus ungeklärter Ursache 1992 von sich reden machte und bis heute relevant ist und die auch auf dem Cover von „My Back Was A Bridge For You To Cross“ abgebildet ist.

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