Von Matthias Bosenick (07.03.2022)
Sobald nur die Gitarre einsetzt, ist es wie eine Heimkehr, das gilt für die melancholische Dudelgitarre wie für das episch verzerrte Brett: Toundra ist eine Band, die man am Sound erkennt, einzigartig. Den instrumentalen Postrock der Spanier unterscheidet das Progressive von anderen Vertretern, die Stücke sind komplex und abwechslungsreich. Damit Musik nicht wie in diesem Genre üblich alsbald ins Weinerliche driftet, reichern Toundra sie mit einem kraftvollen Schlagzeug und einer streckenweise unerwarteten Härte an. Auch wenn instrumental hier das absolut aufgehende Konzept ist, wünscht man sich doch zusätzlich eine Rückkehr von Niño de Elche zurück, also die Fortsetzung des vorzüglichen gemeinsamen Flamenco-Projektes Exquirla.
Archiv der Kategorie: Vinyl
The Rude Revolution – Stay Rude Stay In Solidarity – Rude Revolution 2021
Von Matthias Bosenick (09.02.2022)
Antifaschistische Bands für antifaschistische Projekte: Das Ska- und Oi!-Kollektiv Rude Revolution mit dem trinkfesten Krokodil als Logo sammelt Songs von Musikgruppen, die mit ihrem Beitrag für den Sampler „Stay Rude Stay In Solidarity“ die Arbeit vom Bündnis gegen Rechts Braunschweig und vom Kulturzentrum Nexus unterstützen, die sich den Erlös aus dem Verkauf dieser Schallplatte teilen. Diese international belegte Auswahl eint, dass sie allesamt Nexus-Bühnenluft in den Lungen tragen und in der breiten Palette zwischen eben Ska und Oi!-Punk nicht nur Haltung zeigen, sondern auch noch gute Laune im Köcher haben.
Spezial: Head Perfume Records
Von Matthias Bosenick (18.01.2022)
Zwei neue LPs bringt der Dresdener Tausendsassa René Seim auf seinem Label Head Perfume Records heraus, in denen der Fuzz eine wesentliche Rolle spielt: „Always Memphis Rock And Roll – Volume 1“ ist eine Zusammenarbeit mit Robert Wyatt von Black & Wyatt Records aus der titelgebenden Gegend mit Songs, die mehrere Jahrzehnte abdecken und die große Bandbreite lokaler Mucker dokumentiert, und die Compilation „Hotzenplotz“, die den Anschein einer Zusammenstellung diverser Artisten hat, indes ausschließlich den verstorbenen Oldenburger Krachmacher Nils Damage in all seinen Inkarnationen portraitiert. Lärm!
Schneider Collaborations – Schneider | Gutjahr Jung – Schneider Collaborations 2021
Von Matthias Bosenick (12.01.2022)
Eine neue Runde Entspannungs-Lärm von Jörg A. Schneider und einem Kollaborateur seiner Wahl, heute: Martin Gutjahr-Jung aus Koblenz, mit dem er bereits im Trio Bone Machine spielte und den er überhaupt seit über 25 Jahren noch aus BluNoise-Zeiten kennt. Heißt für diese LP: Schneiders taktfreies Schlagzeug trifft auf ebenso improvisiert gespielte Gitarre und Bass, was Sounds im Geiste von Jimi Hendrix, früher Swans oder dem Caspar Brötzmann Massaker ergibt, nur ohne die Songs dahinter, aber dafür so dicht atmosphärisch, dass man das Fehlen von Songs nicht als Versäumnis auffasst.
The The – The Comeback Special (Live At The Royal Albert Hall) – Cinéola/Ear Music 2021
Von Matthias Bosenick (02.12.2021)
Matt Johnson häufte in über 40 Jahren einen Riesenberg an geilen Songs an, vorrangig in den Achtzigern und Neunzigern, und aus dieser Zeit speist sich nun auch überwiegend „The Comeback Special“, ein zweistündiges Konzert, das der Komponist, Musiker und Sänger mit seiner neu- und reformierten Band The The vor drei Jahren in London gab. Was hat der Mann eine geile Stimme, was haben The The für geile dunkle Hits und Hymnen! Den alten Männern beim Mucken zugucken, kann man machen, die Mucke selbst ist wichtiger als das Bild. Wer indes beides in einer Box haben will, also Bild- und Ton-Datenträger, muss viel Geld investieren, bekommt aber noch haufenweise exklusives Bonus-Zeug dazu. Man darf gespannt sein auf das, was Johnson noch vorhat!
Jomi – Lyst – Glorious Records 2021
Von Matthias Bosenick (19.11.2021)
Vom Dunkel ins Licht: Eine überraschende Richtung schlägt die um ihren Suffix „Massage“ gekürzte Kopenhagener Sängerin Jomi, eigentlich Signe Høirup Wille-Jørgensen, auf ihrem neuen Soloalbum „Lyst“ ein. War der Vorgänger „Primitives“ 2013 noch eher abgrundtief und schwarz, strahlt „Lyst“ beinahe sonnenhell und hoffnungsvoll, lebendig und befreit. Musikalisch ist das gleichzeitig Indierock mit den Mitteln des Jazz und Jazz mit den Mitteln des Indierock; jenen pflegt Jomi seit den Neunzigern mit der Noiserockband Speaker Bite Me. Jomis Stimme steht hier wie ein kraftvoller Baum inmitten der überwältigenden Arrangements. „Verlangen“ lautet der Titel übersetzt, und Sexualität, Selbstbestimmung und Lust sind bei Jomi auch in ihren Performances immer wieder Thema. Eine großartige Platte!
Human Impact – EP01 – Ipecac 2021
Von Matthias Bosenick (18.10.2021)
Das hier ist wohl das größte Geschenk für alle, die Bock auf mehr haben von Bands wie Swans, Cop Shoot Cop oder Unsane, und die sich Musik wünschen, die wie eine Mischung daraus klingt: Human Impact ist eine Quasi-Supergroup aus New York, die aus Mitgliedern ebenjener Bands besteht, entsprechend todernsten brachialen handgespielten US-Industrial mit Groove, Härte und Noise macht und mit „EP01“ diverse Online-Singles zu einem Compilation-Album auf Vinyl bündelt. Das ist gleichzeitig oldschool und in dieser Mischung so gut wie originell, mithin erfrischend neu.
Solbrud – Levende i Brønshøj Vandtårn – Napalm Records 2021
Von Matthias Bosenick (13.10.2021)
Endlich auf Vinyl und dann auch noch inklusive der DVD! Eine geile Idee überhaupt: Die Black-Metal-Band Solbrud spielte im November 2019 im titelgebenden Kopenhagener Wasserturm im Stadtteil Brønshøj zwei Konzerte, und da der Turm von sich aus einen fünfzehnsekündigen Hall hat, stimmte das Quartett die Songs der bisherigen drei Alben darauf ab und komponierte sogar einen neuen Song dafür. Klar, Black Metal ist Keifen, Blast Beats und Schrammelgitarre, wenn man nur oberflächlich hört, aber Solbrud sind dafür viel zu atmosphärisch, um damit abgekanzelt zu werden, und bauen außerdem nicht nur an diesem Ort in ihre Mucke unerwartete Elemente ein, von Ambient natürlich bis hin in Richtung Progrock. Episch!
GusGus – Mobile Home – Oroom 2021
Von Matthias Bosenick (03.10.2021)
Das geht gleich wieder geil los, mit knarzigen analogen Synthies, deepen Beats, grandiosen Melodien und souligem Gesang. Auf „Mobile Home“ sind GusGus aus Island wieder zu dritt, und zwar mit Margrét Rán Magnúsdóttir von der Band Vök als inzwischen 15. Bandmitglied seit 1995. Die Gesten sind nach wie vor groß, die Songs indes wieder näher am Pop als an der epischen Kathedrale, aber nicht weniger geil. Ein Ohrwurm jagt den nächsten, man mag das Album gar nicht mehr weglegen. Eine Großtat mit der Option auf das Album des Jahres!
Goethes Erben – Elemente – Dryland Records 2021
Von Matthias Bosenick (05.09.2021)
Das mit der „duften Sache“ kam den Initiatoren schon selbst als Werbebotschaft in den Sinn, dennoch sei der hier zugestimmt. Öffnet man nämlich die „Elemente“-Box von Goethes Erben, verströmt sie einen überraschenden Seifenduft – weil ihr Seife beiliegt. Aus der „Seelenbalsam“-Kollektion von Bandchef Oswald Henke nämlich. Und noch viel mehr, darunter die vier 7“-Singles, die den Titel der Box definieren, sowie eine CD mit sämtlichen Songs und einigen Bonusstücken. Neben Liveversionen von Klassikern sind auch neue Stücke enthalten, und zusätzlich erhärten sie den Ruf nach einer geschmackvoll kuratierten Remix-Sammlung mit Neubearbeitungen von Hits und Kuriositäten aus 30 Jahren Neuer Deutscher Todeskunst.