K÷ – K÷93 – Cadiz 2021

Von Matthias Bosenick (06.05.2021)

Die Geschichte dieser EP reicht 40 Jahre zurück, zu einer gemeinsamen Tour, doch als sich Mitglieder von Killing Joke und Joy Division dann endlich wie verabredet zu den vorliegenden Aufnahmen trafen, gab es Joy Division ja längst nicht mehr. Erst 1993 kam es zwischen Jaz Coleman, Kevin „Geordie“ Walker und Peter Hook zu spontanen Sessions, die bis 2019 als verschollen galten. Drei dieser Songs waren rettbar und liegen nun als transparente 10“ vor. Die Songs sind erstaunlich zeitlos und lassen tatsächlich beide beteiliget Projekte heraushören, ohne dass sie wie die Veröffentlichungen von New Order oder Killing Joke aus jenem Jahr klingen. Luftiger Wave-Pop mit Emotion und Melancholie.

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Front 242 – Live 1991 EU + USA/Daniel B. + Elko B. – 66.6 – Alfa Matrix 2021

Von Matthias Bosenick (12.04.2021)

Wenn man schon nicht auf Tour gehen kann, dann plündert man eben sein Archiv, und was die EBM-Erfinder Front 242 so an Livemitschnitten aus dem „Tyranny“-Jahr 1991 zutage fördern, ist klanglich bombastisch und als historisches Dokument ohnehin bemerkenswert. Das Label Alfa Matrix veröffentlicht einen Mitschnitt aus Europa als Doppel-LP und einen aus den USA als CD, dazu zwei noch ältere Gigs als Downloads. Und 242-Soundtüftler Daniel Bressanutti nimmt sich zum zweiten Mal alte Tracks vor und verpasst ihnen ein zeitgemäßes Outfit; bei „66.6“ hilft dem Brüsseler sein Antwerpener Kumpel Elko Blijweert.

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Yo La Tengo – Sleepless Night – Matador 2020

Von Matthias Bosenick (16.03.2021)

Wenn man sich von Corona künstlerisch nicht niederschmettern lässt, nimmt man eben auch distanziert neue Platten auf. Yo La Tengo gleich zwei, „We Have Amnesia Sometimes“ zunächst nur als Download, inzwischen auch auf Vinyl erhältlich, und „Sleepless Night“ als einseitig bespielte 12“-EP. Darauf macht das Trio aus Hoboken das, was es besonders gern macht: andere Leute covern. Die sechs Stücke begleiteten ursprünglich eine Ausstellung des Künstlers Yoshitomo Nara in Los Angeles, und der durfte selbstredend das Cover dieser Cover-EP gestalten. Entspannter Indie-Poprock ohne Noiseausbrüche, schön zum Runterkommen.

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Cryptic Brood & Night Hag – Swollen With Rancid Phlegm (Split)/Repulsive Feast – Meat Hook Mutilation – Rotted Life/Lycanthropic Chants 2021/2020

Von Matthias Bosenick (15.03.2021)

Gleich zweimal schwere Kost aus Flechtorf: Cryptic Brood bespielen eine Split-LP mit Night Hag aus den USA und Repulsive Feast knüppeln eine 7“-Single mit vier Songs ein. Die drei Beiträge können kaum verschiedener sein: Cryptic Brood schwenken das Tempo zwischen Doom und Death herum, Night Hag bleiben auf der dunkel-schleppenden Doomlinie und Repulsive Feast grooven den Punk in den Metal, knüppeln mithin einen gutgelaunten Grindcore. Und das in lustig bunten Vinylvarianten: So geht Metal!

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Die Müller Verschwörung – Artfremd an verschiedenen Orten – Die Müller Verschwörung 2020

Von Matthias Bosenick (04.01.2021)

Alles anders und doch so vertraut: Aus der 2002 gegründeten Band Müller & die Platemeiercombo wurde in den zurückliegenden fünf Jahren irgendwann Die Müller Verschwörung, aus grafischen Gründen leider ohne Bindestrich (aber gottlob auch ganz ohne Q). Grund war der beruflich bedingte Abgang von Plate und Heyl und die daraus folgende personelle Neubesetzung. Auch am Mikro: Bandchef „Bo“ Müller teilt sich den Posten des Sängers jetzt mit Theaterperformer und Multiinstrumentalist Roland Kremer, und darin liegt im Grunde der größte Unterschied zur Platemeiercombo, denn ansonsten behält die Band musikalisch den catchy Mix aus vermeintlichen Easy-Listening-Rhythmen und latentem Stoner-Rock bei. „Artfremd an verschiedenen Orten“ stellt inhaltlich eine Art Konzeptalbum dar: Die meisten Texte behandeln Weltekel allgemein und Kapitalismuskritik speziell. Das Album als Doppel-10“ kauft man der Band aber trotzdem bereitwillig ab.

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Henriette Sennenvaldt – Something Wonderful – Paper Bag Records 2020

Von Matthias Bosenick (30.12.2020)

Sie sing auf Englisch! Man kann sie plötzlich verstehen, sofern man nicht sowieso Dänisch spricht, denn als sie noch bei Under Byen war, gehörte es zu den wundervoll mystischen Parametern jener Band, dass man ihr dänisches Säuseln einfach mal nur als Stimme und also als Instrument auffassen und sich unabgelenkt in der Musik fallen lassen konnte. Plötzlich bindet sie den Hörenden an ihre Worte, und dabei entgeht ihm womöglich, dass ihr Solo-Debüt musikalisch in manchen Teilen nicht so weit weg ist von dem, was sie mit Under Byen machte: verträumt, vertrödelt, versponnen, hier nur eher assoziativ barjazzig. „Something Wonderful“, fürwahr!

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Roji – Oni/Alexander – I – Schneider Collaborations 2020

Von Matthias Bosenick (23.11.2020)

Zwei Schlagzeug-Bass-Projekte von Jörg Alexander Schneider, die er im Spätsommer nicht nur digital, sondern auch als Schallplatte unter die Leute brachte: „Oni“, das zweite Freejazz-Album von Roji, seiner dritten Zusammenarbeit mit Gonçalo Almeida (nicht dem luxemburgischen Fußballspieler), und „I“, das Drone-Debüt von Alexander, seiner Allianz mit Kyle Alexander McDonald, mit dem er den titelgebenden Zweitnamen teilt. Beide Alben könnten unterschiedlicher kaum sein: „Oni“ der pure improvisierte Lärm, mit ausgewählten Gästen erzeugt, und „I“ beinahe entspannender schwermütiger Noise-Drone.

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Toundra – Das Cabinet des Dr. Caligari – Inside Out/Sony 2020

Von Matthias Bosenick (19.11.2020)

Da kann man ganz tief abtauchen und entspannen, eine Wohltat in diesen Zeiten. Die spanischen Instrumental-Postrocker Toundra nehmen auf diesem angenommenen Soundtrack zu dem nun genau einhundert Jahre alten Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“ dem Postrock auf weiten Strecken das Schlagzeug und legen den Fokus mehr auf das genretypische wavige Gitarrendudeln. Nach den rockigen Alben „(IV)“ und „Vortex“ sowie insbesondere dem emotional überwältigenden Exquirla-Projekt war dieser Rückzug ins Leise nicht zu erwarten, gefällt aber bestens, sobald man sich darauf einlässt, den Weg mitzugehen. Ein gottlob kitschfreier Höhepunkt der anstehenden Jahresbestenlisten.

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Goethes Erben – Flüchtige Küsse – Dryland Records 2020

Von Matthias Bosenick (12.10.2020)

Wer alles von Goethes Erben hat, hält einen sehr variablen musikalischen Schatz in den Händen: Zwei Jahre nach dem eher bandorientierten Album „Am Abgrund“ überrascht Oswald Henke, einzig konstanter Kopf der Erben, mit der klassisch instrumentierten Live-Doppel-LP „Flüchtige Küsse“ mit ausschließlich neuen Stücken. Henkes Lyrik – der Bandname kommt schließlich nicht von Ungefähr – ist darauf ausschließlich von Flügel und Cello begleitet. Seine Mitmusiker wählte der Dichter mit bedacht: Man hätte nicht gedacht, dass derartig reduziert gestaltete Musik so voluminös und dicht klingt. Und: Der ansonsten für sein rezitatives Sprechen gefeierte Henke singt! Gelegentlich.

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Mrs. Piss – Self-Surgery – Sargent House 2020

Von Matthias Bosenick (04.10.2020)

Noch so ein herausragendes Beispiel dafür, welche Wucht die Musik von nur zwei Leuten haben kann: Mrs. Piss sind Chelsea Wolfe und Jess Gowrie, die mit „Self-Surgery“ ein unmittelbares Minialbum auf die Fressen der Hörer loslassen. Jeder der acht Tracks bedient ein anderes Genre, einig ist ihnen, dass keiner Fröhlichkeit ausstrahlt – alles ist Wut, Wucht, Wumms. Das Vinyl ist dem wenig goutierbaren Bandnamen und dem trefflich geschmacklosen Cover entsprechend in schwarzgelbem Splatter gehalten mit einem Etching auf der B-Seite versehen – als wäre die Musik nicht schon Kaufgrund genug.

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