The Smile – A Light For Attracting Attention – XL Recordings 2022

Von Matthias Bosenick (04.08.2022)

Was machen Radiohead heute? Pause irgendwie, mit „Kid A Mnesia“ auch mal Resteverwertung, seit sechs Jahren oder so. Dafür bauen Sänger Thom Yorke und Gitarrist Jonny Greenwood mit dem ausgeborgten Schlagzeuger Tom Skinner eben ein neues Projekt, um auch in der Pandemie ihre Version von progressiv-verschachtelter Electro-Rockmusik fortzusetzen. The Smile nennt sich das Trio und unterscheidet sich nicht so wesentlich vom Mutterschiff. Nach all den Jahren versteht man beim Durchhören von „A Light For Attracting Attention“ auch diejenigen, die Radiohead wegen des Gejammers nicht ertragen: Yorke kann das aber auch sehr. So richtig wert ist The Smile das Bohei nicht, das darum gemacht wird. Solide Arbeit, die in Details anstrengt, weil sie nervt. Mehr Rock wäre schön gewesen, so ist es streckenweise ermüdend – leider.

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Roji – Dual Gaia – Schneider Collaborations 2022

Von Matthias Bosenick (01.08.2022)

Noise? Avantgarde? Oder doch schlicht und einfach Jazz? Zum dritten Mal kam das Projekt Roji („Taubedeckter Boden“ auf Japanisch) zusammen, um ein Album einzuimprovisieren, mit Schlagzeug, Bass, Synthies, Saxophon und Trompete, also klassisch – nun: weder Rock noch Jazz, und das trifft auch auf die Musik zu, die ist komplett eigen. Und ein weiterer Beleg dafür, dass Schönheit auch im vermeintlich Unhörbaren liegen kann: „Dual Gaia“ ist arhythmisch, kakophonisch und in allen Aspekten ungewöhnlich – aber nicht stressig, lärmig, wenngleich sicherlich für ungeübte Hörende anstrengend. Miles Davis und John Coltrane hätten sicherlich ihre Freude daran, mitzuerleben, welche Haken man auf ihrem eingeschlagenen Pfad so schlagen kann, ausgehend von Hückelhoven.

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Sacred Son – The Foul Deth Of Engelond – Sacred Son 2022

Von Matthias Bosenick (28.07.2022)

England hat schon wieder die Pest, und der Londoner Dane Cross macht ein Album darüber. „The Foul Deth Of Engelond“ ist das zweite Album seines Projektes Sacred Son, auf dem er mit einer ganzen Band auftritt, und sein vormaliger One-Man-Black-Metal bekommt dadurch eine wohltuende Wärme. Nicht erst seit dem Solo-Debüt des Dawnwalker-Musikers ist klar, dass er mehr zu bieten hat als nur den in Black-Metal-Kreisen provokativen Lacher mit dem Cover, auf dem er mit Sonnenbrille am Strand zu sehen ist. Diese optische Leichtigkeit behält auch die Band Sacred Son bei, die musikalische Wucht und Schwere kommt hier sogar noch viel besser zur Geltung als auf den drei Alben davor. Fassettenreicher Black Metal, der die Genregrenzen gottlob sprengt. Und das pestfaulige England gleich mit.

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Spiritualized ® – Everything Was Beautiful – Fat Possum/Bella Union 2022

Von Matthias Bosenick (25.07.2022)

Ab ins All mit Spiritualized! Der Treibstoff dafür ist wie ehedem synthetisch und der Soundtrack einmal mehr wundervoll psychedelisch. Mit dem neunten Studioalbum „Everything Was Beautiful“ setzt Jason Pierce aus Rugby nicht nur seinen in jeder Hinsicht dichten, dazu epischen, repetetiven, gospelartigen, chilligen, noisigen, warmen Drogenrock fort, sondern auch noch zwei Ankerpunkte zu früheren Alben: Der Titel bildet die erste Hälfte des Kurt-Vonnegut-Zitats, das das Vorgängeralbum „And Nothing Hurt“ (2018) vervollständigt – Zeitparadoxien sind möglich –, und das Cover erinnert an die Pillenpackung des Erfolgsalbums „Ladies And Gentlemen We Are Floating In Space“ (1997). Und das sind wir in der Tat immer noch.

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Die Cigaretten – Emotional Eater – Broken Silence 2021

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Von Guido Dörheide (21.07.2022)

Wie schon mein Großonkel Gerd immer sagt: „Man kann alt werden wie ne Kuh und lernt doch immer noch dazu!“ Onkel Gerd – wenn Du das hier liest: Herzlichen Glückwunsch zu deinem 94. Geburtstag am ersten Juli, ich hatte mehrmals versucht, Dir zu gratulieren, aber Du bist nicht rangegangen.

Seit ungefähr 1987 verbringe ich mit nichts so viel Zeit wie damit, mir gute Musik anzuhören, und seit ungefähr 2019 hatte ich den Eindruck, dass momentan eigentlich nichts, was mir gefällt, unter meinem Radar durchflöge, und ausgerechnet dann kommt mein Freund Frank um die Ecke, schickt mir einen Youtube-Link und sagt, wenn ich darüber mal was schreibe, würde auch er es lesen.

Alsdann, gehen wir es an: Der Link war „Vibe Ride“ (2019) von Die Cigaretten aus Hamburg, von denen ich tatsächlich nie zuvor etwas gehört hatte. Ja klar, von Zigaretten hatte ich schon mal was gehört und habe in der Tat ein Problem damit, widerstehe jetzt dennoch, aber sonst echt: Nichts gehört. Lieber Frank, ich hoffe, Du bleibst hier jetzt trotzdem am Lesen dran, auch wenn ich nicht „Vibe Ride“ rezensiere, sondern das letztjährige Werk „Emotional Eater“.

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Straight Shooter – 4 Alben – Sky Records/Sireena 1978-1983/2022

Von Matthias Bosenick (20.07.2022)

Was buddeln die Leute von Sireena denn jetzt wieder aus? Straight Shooter, eine Hardrockband aus Düsseldorf, die zwischen 1978 und 1984 aktiv war. Vier von fünf Alben veröffentlichen die Bremer nun verteilt auf zwei CDs und lassen offen, warum das zweite Album nicht dabei ist. Man begleitet das wechseln besetzte Quin- bis Sextett chronologisch eigensinnig auf seinem Weg vom tighten Orgelrock zur Discofizierung und mithin zur Auflösung, weil sich dann doch nicht so viele Leute für diese Transformation begeistern konnten. Als Zeitdokument sind diese beiden CDs aufschlussreich und bergen so manche Perle, die offenbar sogar in lokalen Barfußtanzdiscos zu Clubhits wurden. Ah nee, der Song war ja auf dem zweiten Album. Dennoch: Es geht geil los mit ausufernd georgeltem Hardrock, der sich international gar nicht zu verstecken gebraucht hätte.

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Miranda Lambert – Palomino – Sony Music 2022

Von Guido Dörheide (04.07.2022)

Egal ob solo oder zusammen mit Ashley Monroe und Angaleena Presley in der gemeinsamen Country-Supergroup Pistol Annies – ein neues Album von Miranda Lambert wird von mir immer mit großer Spannung erwartet und hat mich noch nie enttäuscht – im Gegenteil, sowohl die Pistol Annies als auch Lambert solo werden von Veröffentlichung zu Veröffentlichung immer besser. Der Einstieg in Lamberts Werk war für mich vor einigen Jahren der Song „The House That Built Me“ vom 2009er Album „Revolution“, der in dem Rolling-Stone-Artikel „50 Country Albums Every Rock Fan Should Own“ als möglicherweise bester Country-Song des noch jungen Jahrhunderts bezeichnet wurde und dadurch mein Interesse weckte. „The House…“, einen wunderschönen, sentimentalen Song über Lamberts Elternhaus und ihre Gefühle gegenüber ihren Eltern, habe ich seitdem gefühlt Hunderte von Malen gehört und es niemals geschafft, am Ende nicht zu heulen wie am Spieß.

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Kreator – Hate über alles – Nuclear Blast 2022

Von Guido Dörheide (28.06.2022)

Kreator. Von den großen 4 des Teutonic Thrash Metal die Allergrößten. In meinen Augen größer, als Metallica es je werden können. OK – Metallica haben den (in meinen Augen allereinzigsten) Vorteil, dass sie seit dem Rauswurf des begnadetsten, wenn auch bescheuertesten Thrashmetalgitarristen der gesamten Bay Area ihr Line-up nur einmal gezwungenermaßen geändert haben, und das war, als der Bassist Cliff Burton infolge eines supertragischen Tourbusunfalls verstorben ist. Und durch den wahrhaft großen Jason Newsted ersetzt wurde, mit dem Metallica ihr letztes gutes Album (nein Matze – nicht das Schwarze [der Ansicht bin ich auch gar nicht, Anm. d. Matze]) aufgenommen haben. Der spätere Abgang von Newsted und sein Ersatz durch Rod Gonzales oder wie der heißt läuft m.E. nur noch unter Ferner Liefen. Aber ich schweife ab: Kreator sind natürlich in erster Linie Mille Petrozza. Und das reicht erstmal völlig aus. Und neben Mille klebt der wahnsinnige Ausnahmeschlagzeuger Jürgen „Ventor“ Reil im Line-Up der Band wie eine Tube Pattex – nur in den 90ern war er mal für ca. zwei Jahre nicht dabei. Und das ist der Hammer – normalerweise sind es die Schlagzeuger, die ob ihrer harten körperlichen Maloche am Schnellsten verschleißen (siehe beispielsweise Phil Collins).

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Ivan Nahem + ex->tension – Crawling Through Grass – Arguably Records 2022

Von Matthias Bosenick (22.06.2022)

Wenn Noiserocker andere Stecker einstöpseln: Das neue Solo-Album von Ivan Nahem aus New York, der seit Ende der Siebziger in diversen Bands und Projekten von Ritual Tension, Carnival Crash bis Swans die stromgitarrenbefeuerte Lärmmusik mitgestaltet, fördert eine überraschende andere Seite des Yoga-Lehrers zutage: „Crawling Through Grass“ ist Ambient, und wer Ambient weitgefasst kennt, weiß, dass diese chillige musikalische Spielart auch Lärm beinhalten kann, nur sanfter, gern als Drone getarnt, mit Field Recordings und Improvisationen versetzt, mitnichten ein langweiliger Soundteppich mithin, und genau so verhält es sich bei diesem Album. So richtig solo ist es auch nicht, Nahem holte sich teilweise via Internet satte zwei Handvoll Gäste dazu, die mit ihm durchs Gras krabbeln. Und wie schön es dort ist!

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Vinterdracul – The Lee Variations – Canticle Throe 2022

Von Matthias Bosenick (21.06.2022)

Mit einem guten Witz fängt das neue Vinterdracul-Album an: Der erste Track auf „The Lee Variations“ heißt nämlich „End Scene“. Das Duo aus Baltimore bindet alles in sein Vampirkonzept ein, bei dem titelgebenden Lee handelt es sich wahlweise um den Schauspieler Christopher oder um eine Figur aus „The Vampire Diaries“. An die Sisters Of Mercy angelehnten Black Metal wollen Weirding Batweilder und Jean Farriage machen, wie sich die Musiker themengerecht nennen, doch – nun: Die Musik ist ein relativ proberaumiges Gerumpel mit einem enervierenden Geschrei als Gesang. Es fällt schwer, das Album durchzuhalten und die möglichen guten kompositorischen Ideen herauszufiltern; es gibt sie, durchaus, man braucht aber Durchhaltekraft, der Mucke auf den Zahn fühlen zu wollen, sonst beißt man sich die Zähne aus.

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