Klidas – No Harmony – Bird’s Robe Records/MBM 2023

Von Matthias Bosenick (15.05.2023)

Das Saxophon als bestimmendes Instrument in einer progressiven Instrumentalrockband, das hat was. Klidas aus Italien ist ein bereits neun Jahre altes Projekt, das jetzt mit der ersten Veröffentlichung in die Welt tritt, auf der die fünf Musizierenden ihre persönlichen Vorlieben miteinander kombinieren, eben zwischen Progrock, Jazz und psychedelischer Rockmusik. „No Harmony“ ist ein Minialbum – und außerdem gelogen: Das Quintett zügelt die Jazzanteile, die Rockmusik ist trotz ihrer Komplexität und Ausflügen ins musikalische Chaos sehr wohl harmonisch.

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Mushroom Giant – In A Forest – Bird’s Robe Records/Dunk! 2023

Von Matthias Bosenick (12.05.2023)

Schon der Bandname Mushroom Giant lässt eine ungefähre Ahnung aufkeimen, womit man es auf „In A Forest“ zu tun bekommt: irgendwas Verdrogtes. Und das trifft auch zu: Die Australier machen instrumentalen Stoner Rock, schön verschleppt und verdudelt, mit einer mittelkleinen Schippe Dreck und einigen heavy Riffs, progressiv im weitesten Sinne und in ausgewählten Bass-Elementen nahe an Tool, mit hübschen Melodien und auch sonst netten Gimmicks. Mit ihrem vierten Album empfiehlt sich die Band aus Melbourne erstmals in ihrer über zwanzigjährigen Existenz als Live-Act in Europa, und die Gigs sollen, sagt die Info, ein aurales Ereignis sein, mit visuellen Effekten unterlegt zudem. Das Album lässt darauf zu Wetten zu.

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Killing Joke – In Dub Rewind (Vol. II) – Cadiz Music 2023

Von Matthias Bosenick (11.05.2023)

Was ist dieses Dub überhaupt? Eigentlich: In den Sechzigern auf Jamaika doppelten die Produzenten Reggae-Tonspuren, fertigten also einen Dub, eine Kopie, an, und legten sie verschoben zueinander übereinander, sodass eine Art Echoeffekt entstand. In den Achtzigern stand Dub nicht ganz selten schlicht für Remix, und heute verhält es sich damit oft nicht so sehr anders. Die reine Lehre predigt auch Youth nicht, der acht ausgewählte Songs aus 40 Jahren seiner Band Killing Joke unter dem Begriff Dub neu bearbeitet (davon zwei zweimal) und die Postpunkstücke zwar mit viel Echo und Hall versieht, aber auch mit anderen elektronischen Spielweisen, Drum And Bass, Big Beat, Electroclash, Techno, Ambient. Außen vor lässt er Goa und Industrial, obwohl beides gerade bei ihm naheliegen würde. Und mit Rinôcérôse ist sogar ein Fremdmixer dabei. Eine schöne Tanzparty mit eingestreuten Offbeats, diese Doppel-LP!

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Goethes Erben – X – Dryland Records 2023

Von Matthias Bosenick (10.05.2023)

Was für ein Werk! Mit pandemiebedingtem Verzug wirft Oswald Henke unter seinem Haupt-Alias Goethes Erben deren zehntes Studioalbum „X“ in die Fangemeinde, die sich selbstredend für die gigantische Box-Version mit dickem, großem Buch und Doppel-DVD entscheidet, nicht für die einfache CD, die natürlich auch schon geil genug ist. Wie die Besetzung der Band, änderte sich auch die musikalische Untermalung von Henkes theatralisch-lyrisch dargebotener Weltanschauung über die Zeit: Dieses Album startet mit Ambient-Drones, aus denen der Künstler dunkle, schöne, zerbrechliche, opulente, wütende Lieder herausschält. Lässt man sich erst auf die klassisch depressiven Themen ein, bricht Henke einem auf halber Strecke das Genick mit der zu Industrial-Sounds geäußerten Feststellung, „der linke Arm muss weg“ – willkommen bei Goethes Erben. Auf den DVDs gibt es Konzerte und Interviews.

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Richard Kersten & Marcus Ghoreischian – Inspired By The Beatles: Sippin‘ Lemonade In The Sunshine – Bear Family Records 2023

Von Matthias Bosenick (09.05.2023)

Die Beatles, ganz klar, vom ersten Ton an, und zwar die späten Beatles, die mit den Diamanten im Himmel und den Walrössern und den Erbeerfeldern und dem Garten eines Kraken und den gelben U-Booten, sind nicht nur die Inspiration, sondern die Ausgangslage für ein Album, auf dem zwei Musiker den Sound der psychedelischen Fab Four mit den Pilzköpfen aus Liverpool (fehlt noch ein Synonym?) im Hier und Jetzt zu neuen Songs im Beatles-Sound generieren. Das kriegen Richard Kersten und Marcus Ghoreischian recht überzeugend hin, man hört die typischen Spielweisen von John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison heraus, neu zusammengesetzt, mit Sitar, gently weeping guitar und der Aussicht auf Wings am Firmament. Die beiden Protagonisten nahmen diesen Songreigen bereits in den Nullern für sich und Freunde auf, das Label Bear Family bringt ihn jetzt als LP unter die Beatles-Fans. Solche werden daran sicherlich ihre Freude haben, und wer mit den Beatles ohnehin nix anfangen kann – nun: Der erkennt immerhin an, dass Kersten und Ghoreischian ihre Sache gut machen.

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22-Pistepirkko – Kind Hearts Have A Run Run – Bare Bone Business/Johanna 2022

Von Matthias Bosenick (08.05.2023)

Und plötzlich sind sie wieder da. Elf Jahre nach dem letzten Studioalbum klingt „Kind Hearts Have A Run Run“, als wären 22 Pistepirkko – jetzt mit Bindestrich, also 22-Pistepirkko – nie weg gewesen, als gäbe es gar keine Lücke in der Discographie, als wären gar keine Zeit vergangen. Das Trio aus Finnland setzt einfach da an, wo man es erwartet, erhofft gar, bei fluffigem Indierock, mal filigran geklimpert, mal elektronisch verfettet, mal ungestüm, mal introvertiert, immer mit der fast weiblich klingenden hohen Stimme von Hannu Keränen alias P.K., in die man sich so verliebt hat, weil sie einzigartig und ausdrucksstark ist, egal, welche Musik dahinter liegt. Das Album ist oberflächlich unspektakulär, die Verzerrer haben hier nämlich weitgehend Atempause, aber die Details sind wunderschön. Darauf wartet man gern eine Dekade lang.

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Shakin‘ Stevens – Re-Set – BMG 2023

Von Guido Dörheide (05.05.2023)

Wer, wie ich, in den 80ern im Westen aufgewachsen ist, kennt Shakin‘ Stevens aus seiner Kindheit, als er (also Shakin‘ Stevens, nicht ich) mehr Platten verkaufte als die Beatles (was kaum Wunder nimmt, denn damals gab es die Beatles seit über zehn Jahren nicht mehr, Shakin‘ Stevens hingegen umso mehr) und hat ihn zehn Jahre später, als sein (also mein) Musikgeschmack gebildet wurde, nicht vermisst und ihn höchstens mal abschätzig als „Schüttel-Stefan“, ein vergessenes Relikt aus längst verblichenen Erinnerungen an die Kindertage, geschmäht. Inzwischen liebe ich es, guilty pleasures anzuhäufen und Leute wie Lindenberg, Collins und Sting gut zu finden. Und ja, verdammt, ich habe das Alter erreicht, in dem ich das nicht nur darf, sondern beinahe schon muss. Nun also auch (und jetzt wird es Zeit für die Nennung des bürgerlichen Namens) Michael Barrat, mit den elastischen Beinen. Barrat ist kein Brite und kein Engländer, sondern Waliser, was mir damals herzlich egal war – von Tom Jones hatte ich nie gehört –, geboren 1948, nur ein gutes Jahr nach meinem Vater, und zur Zeit seiner ersten Karriere alles andere als ein Jungspund: Als er das noch war, spielte er bei „Shakin‘ Stevens and the Sunsets“ und trat sogar im Vorprogramm von den Rolling Stones (bekannt & beliebt durch den bekannten & beliebten Gassenhauer „The Under Assistant West Coast Promotion Man“) auf. Ab 1980 und schon ein Stück älter als 30 war er als Solokünstler dann ständiger Gast in den Charts. Mein Vater kaufte damals einen Volkswagen Golf I GLS in Indianerrot metallic, was ich ebenfalls toll fand. Leider sind beide schlecht gealtert: Beinahe alle Ier-Gölfe sind komplett weggerostet (hihi, also alle jetzt unfreiwillig indianerrot) und Shakin‘ Stevens ist komplett vergessen. Warum? Beim Golf ist mir das egal (notfalls hat Papa Schuld), aber Shakin‘ Stevens hat derlei Vergessen sicher nicht verdient: Ich habe nochmal in seine alten Hits wie „Marie Marie“ (1981) reingehört und musste feststellen, dass mir das heute noch taugt, auch wenn es mir damals (von sagen wir mal 1987 aus) rückblickend peinlich war, jemals was anderes als The Cure gehört zu haben. So, nun aber hier Exkurs Nostalgie Ende.

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Buchwald – Escape From What Life Is – Sireena 2023

Von Matthias Bosenick (05.05.2023)

Diesen Buchwald bekümmert mehr als lediglich eine Oberschenkelzerrung im linken Fuß, was ihn dazu verleitet, dunkle Musik zu machen: Andreas, nicht Guido, ist Ex-Mitglied der Hannoveraner Wave-Band Remain In Silence und setzt seine musikalischen Ausdruckformen nun erstmals solo fort. „Escape From What Life Is“ lautet der programmatische Titel eines dunklen, synthiebasierten, trippigen, atmosphärischen, percussiven, vielseitigen Albums, das man in den Achtzigern bestimmt ganz regulär unter Pop wegsortiert hätte, da waren solche Sachen ganz normal, heute ist dies komplett Nische. Da kann man beim Hören wirklich dem entfliehen, was das Leben so allgemeingültig sein soll, und das auf eine wundervolle Weise.

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Dead Men Walking – Freedom – It Ain’t On The Rise – Eastersnow Recordings 2021

Von Matthias Bosenick (04.05.2023)

Hymnen! Aus der Zeit des ersten Punk und des ersten Postpunk und des ersten New Wave im United Kingdom, dargeboten von den Protagonisten jener Zeit, also den Erfindern dieser Musik, angereichert mit jüngeren und ganz neuen Songs jener Männer, allesamt in akustischen Versionen und – anders als sonst bei Dead Men Walking – ohne Publikum, sondern coronabedingt im Studio. Verwirrenderweise ist dieses das zweite oder dritte Debütalbum dieser mit Fug und Recht als solche bezeichneten Supergroup. Beteiligt sind: Kirk Brandon (Spear Of Destiny, Theatre Of Hate), John „Segs“ Jennings und Dave Ruffer (The Ruts/Ruts DC) sowie John „Jake“ Burns (Stiff Little Fingers). Und verdammt, ist das wieder gut gelungen, dieses Schwelgen im Früher mit dem Blick von heute!

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Teen Prime – Vol. 7 – Teen Prime 2023

Von Matthias Bosenick (02.05.2023)

Ein Fest für Numerologen: „Vol. 7“ ist nach „Vol. 4“ das zweite Album von Teen Prime. Der Rest sind EPs, von denen „Vol. 6“ jedoch noch gar nicht existiert, dafür ist das noch unbetitelte dritte Album des Duos bereits im Kasten. Ein Fest für Noiserock-Fans: Gitarrist Sebastian Fäth und Schlagzeuger Jörg A. Schneider dekonstruieren den Indierock, sie nehmen mit jedem Track einen vertrauten Anlauf und zerbröseln die Musik anschließend, mit unterschiedlichsten Mitteln. Damit sind Teen prime näher am NoWave der Achtziger als am Noisecore der Neunziger, näher am Jazz als am Rock, näher an sich selbst als an irgendwelchen Reglementierungen. Alles andere existiert ja bereits.

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